Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiedereinsetzung bei Organisationsmangel
Leitsatz (NV)
Wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) kann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mit der Begründung begehrt werden, die Frist sei von einer Büroangestellten des Prozeßbevollmächtigten versehentlich unter Berücksichtigung von Gerichtsferien berechnet worden. Es liegt ein Organisationsmangel vor.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, §§ 155, 85 Abs. 2 ZPO
Tatbestand
Das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde den Prozeßbevollmächtigten des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) am 11. Juni 1985 zugestellt. Nachdem diese hiergegen am 5. Juli Revision eingelegt hatten und bis zum 12. August 1985 keine Revisionsbegründung eingegangen war, wurden die Prozeßbevollmächtigten mit Verfügung des Vorsitzenden des erkennenden Senats vom 20. August 1985 unter Hinweis auf § 56 FGO auf das Nichteingehen der Revisionsbegründung innerhalb der Revisionsbegründungsfrist hingewiesen.
Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 1985, eingegangen beim BFH am 31. Oktober 1985, haben die Prozeßbevollmächtigten die Zustellung des finanzgerichtlichen Urteils als nicht ordnungsgemäß beanstandet, weil das Urteil von dem Postbeamten einer Kanzleiangestellten übergeben worden sei, die in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten als Halbtagskraft für den Empfang und Telefondienst zuständig und daher nicht in den Personenkreis des § 183 Abs. 2 ZPO einzubeziehen sei.
Unter Vorlage der Revisionsbegründungsschrift haben die Prozeßbevollmächtigten außerdem mit einem bereits vorher, nämlich am 4. September 1985 beim BFH eingegangenen Schreiben die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung wird ausgeführt, daß die als zuverlässig bekannte Anwaltsgehilfin den Lauf der Revisionsbegründungsfrist unter Berücksichtigung von Gerichtsferien berechnet und infolgedessen als Ablauftermin den 11. Oktober 1985 - mit einer Vorfrist zum 4. Oktober 1985 - vermerkt habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Die Revision ist gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO spätestens innerhalb eines Monats nach Ablauf der einmonatigen Frist für die Einlegung der Revision zu begründen. Da das finanzgerichtliche Urteil im Streitfall lt. Postzustellungsurkunde am 11. Juni 1985 durch Übergabe an die Kanzleiangestellte, die in der Kanzlei als ,,Gehilfe" i.S. von § 183 ZPO tätig war (vgl. Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2. Aufl., Anm. B III a zu § 183 ZPO; Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., Tz. 7 und 8 zu § 183), rechtswirksam zugestellt wurde (§ 3 Abs. 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes i.V.m. § 183 Abs. 2 ZPO), ist die Revisionsbegründungsfrist am 12. August 1985 abgelaufen (§ 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 ZPO i.V.m. §§ 185 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches). Die Revisionsbegründungsschrift ist jedoch erst am 4. September 1985 - also verspätet - beim BFH eingegangen.
Die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann dem Kläger nicht gewährt werden, weil er nicht ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO). Da die Vorschriften über die Gerichtsferien nur im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit - übrigens auch dort versehen mit zahlreichen Ausnahmen - Anwendung finden, nicht aber im Bereich der anderen Gerichtsbarkeiten (vgl. hierzu Kissel, Gerichtsverfassungsgesetz, Rdnr. 3 zu § 199, für die Finanzgerichtsbarkeit die Nichterwähnung von § 223 ZPO in § 54 Abs. 2 FGO), beinhaltet es einen nicht unerheblichen Organisationsmangel, wenn dessen ungeachtet der Fristenlauf im Streitfall unter Berücksichtigung der Sondervorschrift des § 223 ZPO berechnet und dies in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten des Klägers, aus welchen Gründen auch immer, nicht bemerkt worden ist. Zwar kann ein Prozeßbevollmächtigter die Berechnung von einfachen, d.h. häufig vorkommenden Fristen seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen (Urteil des BFH vom 11. Dezember 1968 VII B 17/68, BFHE 94, 433, BStBl II 1969, 190). Abgesehen davon, daß die Revisionsbegründungsfrist (§ 120 Abs. 1 FGO) nicht diesen einfach zu berechnenden Fristen zuzurechnen ist (Urteil des BFH vom 27. März 1984 IV R 47/81, Der Betrieb 1984, 1332), war im Streitfall die Überwachung und Information der Anwaltsgehilfin nicht ausreichend sichergestellt (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., Tz. 4 zu § 56 FGO i.V.m. Tz. 22 zu § 110 AO 1977). Denn diese hat in ihrer eidesstattlichen Versicherung erklärt, sie habe nicht daran gezweifelt, daß die Revisionsbegründungsfrist durch die Gerichtsferien gehemmt werde. Das zeigt, daß sie durch die Prozeßbevollmächtigten nicht ausreichend über die Berechnung finanzgerichtlicher Fristen belehrt worden ist. Das Verschulden der Prozeßbevollmächtigten muß der Kläger gegen sich gelten lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 415633 |
BFH/NV 1988, 652 |