Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Überlassung der Gerichtsakten in Anwaltskanzlei
Leitsatz (NV)
Die Überlassung der Gerichtsakten in die Wohnung oder die Geschäftsräume eines Rechtsanwalts kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Zur Begründung eines Ausnahmefalls reicht der Hinweis auf die Arbeitsüberlastung der Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe nicht aus.
Normenkette
FGO § 78 Abs. 1; VwGO § 100 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Auf die Bitte der Prozeßbevollmächtigten der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ihnen die Gerichtsakten zur kurzfristigen Einsicht in ihre Kanzlei zu überlassen, hatte ihnen der Vorsitzende des Spruchkörpers des Finanzgerichts (FG) mitgeteilt, daß Gerichtsakten grundsätzlich nicht außer Haus gegeben würden. Die den Streitfall betreffenden Gerichtsakten könnten beim FG eingesehen werden.
Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Beschwerde, die sie damit begründen, daß im Streitfalle die angefochtene Entscheidung des Vorsitzenden keine Ermessensausübung erkennen lasse. Für die Bitte auf Überlassung der Gerichtsakten in die Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten der Kläger spreche insbesondere die Arbeitsüberlastung der Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe. Durch die angefochtene Verfügung werde diese Belastungssituation verschärft. Überzeugende Gründe hierfür seien nicht ersichtlich. Schließlich bestehe die Gefahr des Aktenverlustes auf dem Übersendungswege nicht, da ein kanzleieigener Kurierdienst zum Gericht unterhalten werde, der für den Transport der Akten verantwortlich sei.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die angefochtene Verfügung aufzuheben und das FG anzuweisen, die Gerichtsakten ihrem Prozeßbevollmächtigten in dessen Kanzlei zu überlassen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) beantragt, ebenfalls sinngemäß, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde gegen die genannte Verfügung des Gerichtsvorsitzenden, der das FG nicht abgeholfen hat, ist zwar nach § 128 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. Dezember 1974 VII B 88/74, BFHE 114, 173, BStBl II 1975, 235); sie ist jedoch unbegründet.
Nach § 78 Abs. 1 FGO können die Beteiligten die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen und sich durch die Geschäftsstelle auf ihre Kosten Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen. Eine dem § 100 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entsprechende Vorschrift, daß nach dem Ermessen des Vorsitzenden die Akten dem bevollmächtigten Rechtsanwalt zur Mitnahme in seine Wohnung oder in seine Geschäftsräume übergeben werden können, fehlt nicht nur in § 78 FGO, sie ist vielmehr für das Gebiet der Finanzgerichtsbarkeit bewußt vom Gesetzgeber nicht aufgenommen worden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 29. September 1967 III B 31/67, BFHE 90, 312, BStBl II 1968, 82; in BFHE 114, 173, BStBl II 1975, 235; vom 10. August 1978 IV B 20/77, BFHE 126, 1, BStBl II 1978, 677, und vom 24. März 1981 VII B 64/80, BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475).
Deshalb kann die Herausgabe der Gerichtsakten in die Wohnung oder die Geschäftsräume eines Rechtsanwalts nur die Ausnahme von der Regel darstellen, daß die Akten grundsätzlich - auch von einem Rechtsanwalt - nur in der Geschäftsstelle des Gerichts eingesehen werden dürfen. Gründe, die die Annahme einer solchen Ausnahme rechtfertigen könnten, wurden nicht vorgetragen. Der Hinweis auf die Arbeitsbelastung reicht nicht aus (Beschluß in BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475). Der Vorwurf, daß der vorinstanzliche Gerichtsvorsitzende mit seiner Weigerung der Aktenherausgabe von seinem Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht hätte, ist somit unbegründet. Durch seine Maßnahme ist im übrigen auch Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland nicht verletzt. Denn die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs bleibt den einzelnen Verfahrensordnungen (hier: § 78 FGO) überlassen. Danach haben die Beteiligten nur einen Anspruch, die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einzusehen. Nach dieser Vorschrift können auch bevollmächtigte Rechtsanwälte nicht verlangen, die Gerichtsakten und Beiakten in ihrer Wohnung und in ihren Geschäftsräumen einzusehen (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 26. August 1981 BvR 637/81, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1982, 77).
Fundstellen
Haufe-Index 414153 |
BFH/NV 1987, 374 |