Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für Verfahrensaussetzung nach § 74 FGO; Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung und einer Divergenz
Leitsatz (NV)
1. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO ist nach der Rechtsprechung des BFH bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen dann geboten, wenn vor dem BVerfG bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren wegen einer im Streitfall anzuwendenden Norm anhängig ist.
2. Macht der Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend, so muss er zunächst eine bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Des Weiteren muss er substantiiert darauf eingehen, weshalb die Beantwortung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Zur schlüssigen Darlegung der Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage muss er außerdem begründen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage zweifelhaft und streitig ist.
3. Die schlüssige Darlegung einer Abweichung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO setzt u.a. voraus, dass der Beschwerdeführer einen tragenden und abstrakten Rechtssatz aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus der vorgeblichen Divergenzentscheidung andererseits herausarbeitet und gegenüberstellt, um so eine Abweichung zu verdeutlichen.
Normenkette
FGO §§ 74, 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 116 Abs. 3 S. 3, § 155; ZPO § 251
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 17.11.2006; Aktenzeichen 11 K 2119/06 E) |
Gründe
1. Der Senat sieht davon ab, gemäß der Anregung der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen sowie das Ruhen des Verfahrens zu beschließen.
a) Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen dann geboten, wenn vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren wegen einer im Streitfall anzuwendenden Norm anhängig ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 1992 III B 24, 25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408; vom 18. September 1992 III B 43/92, BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123; vom 25. August 1993 X B 32/93, BFHE 171, 412, BStBl II 1993, 797, und vom 30. April 1996 III R 211/90, BFH/NV 1997, 23).
Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Zwar ist gegen das Senatsurteil vom 8. November 2006 X R 45/02 (BFHE 216, 47, BStBl II 2007, 574) Verfassungsbeschwerde eingelegt worden (2 BvR 325/07). Der Senat hält gleichwohl an seiner wiederholt dokumentierten Auffassung fest, nach der Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen in den Veranlagungszeiträumen vor 2005 nur als Sonderausgaben mit den sich aus § 10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der bis zum Ablauf des Jahres 2004 geltenden Fassung (a.F.) ergebenden Höchstbeträgen abziehbar sind (vgl. auch Senatsurteil vom 8. November 2006 X R 11/05, BFH/NV 2007, 673). Diese Zuordnung wird durch das Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) nicht rückwirkend für das Streitjahr 2004 in Frage gestellt. Das folgt aus der zeitlichen Geltungsanordnung des § 52 EStG i.d.F. des Art. 1 Nr. 25 AltEinkG.
b) Das Ruhen des Verfahrens, das nicht an die einschränkenden Voraussetzungen einer Verfahrensaussetzung gebunden ist, kann auch hinsichtlich einer Nichtzulassungsbeschwerde angeordnet werden (vgl. BFH-Beschluss vom 23. Juni 1998 V B 160/96, BFH/NV 1999, 83). Voraussetzung hierfür ist außer der Zustimmung der Beteiligten, dass diese Anordnung aus wichtigen Gründen zweckmäßig ist (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung).
Im Streitfall kommt die Anordnung der Verfahrensruhe bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) sich dem entsprechenden Antrag der Klägerin nicht angeschlossen hat.
2. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
a) Macht der Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) geltend, so muss er zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Des Weiteren muss er substantiiert darauf eingehen, weshalb die Beantwortung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Zur schlüssigen Darlegung der Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage muss er außerdem begründen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und streitig ist (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 32, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
Es mag dahinstehen, ob die Beschwerdebegründung diesen Anforderungen genügt. Die von der Klägerin sinngemäß aufgeworfene Frage, ob der Gesetzgeber verpflichtet gewesen wäre, auch für die Jahre vor 2005 die Besteuerung der Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden werde, ist durch die Rechtsprechung bereits geklärt.
Die Rechtsprechung des beschließenden Senats, wonach Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus § 22 EStG, sondern als Sonderausgaben im Rahmen der Höchstbeträge des § 10 Abs. 3 EStG a.F. abziehbar sind (vgl. z.B. Urteil vom 21. Juli 2004 X R 72/01, BFH/NV 2005, 513) wurde jedenfalls im Ergebnis auch von anderen Senaten des BFH übernommen (vgl. z.B. Urteile vom 9. Mai 2007 XI R 43/06, BFH/NV 2007, 1859; vom 19. Mai 2004 III R 55/03, BFHE 206, 260, BStBl II 2006, 291; Beschlüsse vom 23. Februar 2007 III B 17/06, BFH/NV 2007, 1117; vom 14. März 2006 IV B 2/05, BFH/NV 2006, 1283). Die Mehrzahl der Finanzgerichte (FG) hat sich dieser Auffassung ebenfalls angeschlossen (vgl. FG Nürnberg, Urteil vom 1. Februar 2007 VI 263/2004, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2007, 1226; FG Köln, Urteil von 20. Dezember 2006 12 K 2253/06, DStRE 2007, 1224; FG Düsseldorf, Urteil vom 17. März 2005 11 K 6920/02 E, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2005, 943; Niedersächsisches FG, Urteil vom 26. August 2005 16 K 465/02, DStRE 2006, 1094; FG Düsseldorf, Urteil vom 20. Oktober 2005 15 K 4546/03 E, EFG 2006, 240; Niedersächsisches FG, Urteil vom 16. November 2005 9 K 120/97, EFG 2006, 729; Hessisches FG, Urteil vom 24. November 2005 1 K 3274/05, EFG 2006, 791; FG Hamburg, Urteil vom 28. November 2005 VII 126/02, EFG 2006, 786; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7. Dezember 2005 1 K 1940/04, EFG 2006, 493; FG Münster, Urteil vom 9. Februar 2006 5 K 1841/04 E, EFG 2007, 256; FG Hamburg, Urteil vom 26. Juli 2006 2 K 105/05, EFG 2006, 1839; FG Köln, Urteil vom 16. August 2006 4 K 4544/01, EFG 2006, 1893).
b) Die Zulassung der Revision wegen Abweichung und damit zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin keine tragenden und abstrakten Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus den vorgeblichen Divergenzentscheidungen andererseits herausgearbeitet und einander gegenübergestellt hat, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (vgl. zu diesem Erfordernis z.B. BFH-Beschluss vom 12. Juli 2002 XI B 152/01, BFH/NV 2002, 1484).
c) Die Aussetzung des Klageverfahrens hat das FG --entgegen der Auffassung der Klägerin-- verfahrensfehlerfrei abgelehnt. Das FG konnte davon ausgehen, dass der beschließende Senat im Revisionsverfahren X R 11/05 an seiner bereits zuvor dokumentierten Rechtsprechung festhalten werde, wonach die Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen in den Veranlagungszeiträumen vor 2005 nur als Sonderausgaben mit den sich aus § 10 Abs. 3 EStG a.F. ergebenden Höchstbeträgen abziehbar sind (vgl. hierzu oben unter 1.).
Fundstellen