Leitsatz (amtlich)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die Festsetzung der Erbschaftsteuer auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 ErbStG angesichts der Absätze 2 bis 4 des § 23 ErbStG mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist.
Normenkette
ErbStG 1959 § 23 Abs. 1
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin ist Hofnacherbin ihres verstorbenen Vaters. Hofvorerbin ist ihre Mutter. Diese hat unter Mitwirkung der Beschwerdeführerin den Hof in ein Flurbereinigungsverfahren eingebracht und gegen eine Abfindung von 1 218 000 DM auf Landausgleich verzichtet. Von der auf ein gemeinsames Konto beider einbezahlten Abfindung hat die Beschwerdeführerin 200 000 DM erhalten. Als Einheitswert des Hofes hat die Beschwerdeführerin unwidersprochen 61 800 DM angegeben. Das FA hat gegen sie 9 350 DM Schenkungsteuer vorläufig festgesetzt. Das FG hat die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist begründet. An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids bestehen ernstliche Zweifel (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO); dessen Vollziehung war daher auszusetzen (§§ 132, 69 Abs. 3 Satz 1 FGO). Den Umständen nach ist es angebracht, die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Steuerbetrags abhängig zu machen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2, Abs. 2 Satz 4 FGO).
Der Erwerb der Beschwerdeführerin unterlag der Erbschaftsteuer (§ 1 Abs. 1 ErbStG). Nach dem - für eine abschließende Beurteilung nicht ausreichenden - Inhalt der Akten kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, daß der Nacherbfall eingetreten wäre (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1, §§ 7, 14 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. h ErbStG), oder die Beschwerdeführerin der Vorerbin ihre Erbanwartschaft (vgl. Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 101 S. 185 - RGZ 101, 185 -) gegen eine Abfindung von 200 000 DM übertragen (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 ErbStG) oder diesen Betrag als Abfindung für die Ausschlagung der Nacherbschaft (§§ 2142, 1945 BGB) erhalten hätte (§ 2 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG). Dagegen ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Sachverhalt gegeben, der die Anwendung des § 3 Abs. 1 Nr. 6 ErbStG rechtfertigt. Denn sofern keine besonderen Umstände vorliegen, ist darin, daß die Beschwerdeführerin bei der Veräußerung des Hofes mitgewirkt hat, eine Einwilligung (vgl. § 2120 BGB) in die Verfügung der - soweit ersichtlich nicht befreiten (§§ 2136, 2137 BGB) - Vorerbin zu sehen, welche die Anwendung des § 2113 BGB ausschließt (RGZ 65, 219). Die bei der Veräußerung erlangte Abfindung gehört gemäß § 2111 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Erbschaft. Ob abweichende Vereinbarungen wirksam wären, kann dahingestellt bleiben; die Beschwerdeführerin hat jedenfalls keine Tatsachen glaubhaft gemacht, aus denen der Wille der Vor- und der Nacherbin zu einer abweichenden Regelung hervorginge. Diese würde nicht allein daraus folgen, daß bei dem von der Vorerbin erworbenen Hof etwa kein Nacherbenvermerk (§ 51 der Grundbuchordnung - GBO -) in das Grundbuch eingetragen wurde. Die der Beschwerdeführerin zugeflossenen 200 000 DM hat somit - sofern nicht Tatsachen vorliegen, die sich weder aus dem Inhalt der Akten noch aus dem Vortrag der Beteiligten ergeben - die Vorerbin der Beschwerdeführerin als Nacherbin mit Rücksicht auf die angeordnete Nacherbschaft vor ihrem Eintritt herausgegeben (§ 3 Abs. 1 Nr. 6 ErbStG). Eine Verfügung der Vorerbin ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt zu bezweifeln, daß die Abfindungssumme auf ein gemeinsames Konto der Vorerbin und der Beschwerdeführerin einbezahlt war. Der Besteuerungstatbestand ist demzufolge nach dem bislang erkennbaren Sachverhalt nicht zweifelhaft.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids bestehen jedoch deshalb, weil dieser bezüglich der Wertermittlung auf § 23 ErbStG beruht, zufolge dessen Absatz 1 sich die Berwertung zwar grundsätzlich nach den Allgemeinen Bewertungsvorschriften des Ersten Teils des BewG richtet, zufolge dessen Absatz 2 aber für land- und forstwirtschaftliches Vermögen, für Grundvermögen, für Betriebsgrundstücke und für Gewerbeberechtigungen grundsätzlich der Einheitswert maßgebend ist. Die erstgenannte Gruppe der Erwerbe (§ 23 Abs. 1 ErbStG) wird also nach gemeinen (§ 9 BewG 1965) oder anderen dem Verkehrswert nahekommenden Werten (vgl. §§ 11, 12 BewG) besteuert, die zweitgenannte (§ 23 Abs. 2 ErbStG) dagegen zu den wesentlich geringeren Einheitswerten.
Die erhebliche Diskrepanz zwischen den Einheitswerten und den Verkehrswerten - der zur Vorerbschaft gehörende Hof wurde für beinahe das Zwanzigfache seines Einheitswerts veräußert - legt die Erwägung nahe, die unterschiedlichen in § 23 ErbStG verfügten Ansätze könnten bei einer auf die unentgeltliche Bereicherung gelegten Steuer (§§ 1, 11 Abs. 3 ErbStG) gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen mit der Folge, daß das Gebot des § 23 ErbStG, hier dessen Absatz 1, nichtig sein könnte (vgl. § 123 Abs. 1 GG). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob diese Abweichungen nur durch die Rückbeziehung der derzeit für die Erbschaftsteuer noch maßgebenden Einheitswerte (Art. 3 Abs. 1 ÄndG-BewG 1965, BGBl I 1965, 851) auf die Wertverhältnisse vom 1. Januar 1935 (§ 3a Abs. 1 BewDV) erzeugt sind, oder ob sie - wenn auch in geringerem, so doch relevantem (Art. 3 Abs. 1 GG) Ausmaß - mit darauf beruhen, daß die Einheitswerte bestimmter Grundstücke (§ 76 Abs. 1 BewG 1965) nicht im Sachwertverfahren (§§ 83 ff. BewG 1965), sondern im Ertragswertverfahren (§§ 78 ff. BewG 1965) zu ermitteln sind. Jedenfalls treten wegen der verfassungsrechtlichen Problematik (Art. 3 Abs. 1 GG) der bewertungsrechtlichen Unterscheidungen des § 23 ErbStG neben die für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids sprechenden Umstände gewichtige gegen dessen Rechtmäßigkeit sprechende Gründe; die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids ist demnach ernstlich zweifelhaft (vgl. Beschluß des BFH III B 9/66 vom 10. Februar 1967, BFH 87, 447 [450], BStBl III 1967, 182).
Solche Zweifel hat der Senat, wenn auch für einen besonders gelagerten Fall, bereits in dem Beschluß II B 40-41/69 vom 9. Dezember 1969 (BFH 97, 315 [317 ff.], BStBl II 1970, 121) anerkannt. Diesen ist das FG Münster in dem Urteil III 321/69 vom 26. Juni 1970 (EFG 1970, 505) entgegengetreten. Der Senat hat aber in dem Beschluß II S 2-4/70 vom 27. Oktober 1970, der einen wiederum anders gelagerten Fall betraf, an seinen ernstlichen Bedenken festgehalten und zugleich durch Beschluß II R 87-89/70 vom 27. Oktober 1970 den BdF aufgefordert, den zu den Hauptsachen anhängigen Revisionsverfahren beizutreten (§ 122 Abs. 2 Satz 3 FGO).
Das FG beruft sich auf das Urteil des III. Senats des BFH III 205/65 vom 1. Dezember 1967 (BFH 91, 261, BStBl II 1968, 302), das im wesentlichen auf dessen Urteil III 186/64 U vom 30. Juli 1965 (BFH 83, 200, BStBl III 1965, 574) Bezug nimmt, und den Beschluß des BVerfG vom 7. Mai 1968 - 1 BvR 420/64 - (BVerfGE 23, 242), und vermerkt, daß der II. Senat des BFH sich im Beschluß II B 40-41/69 vom 9. Dezember 1969 (BFH 97, 315 [317 ff.], BStBl II 1970, 121) mit diesen Entscheidungen nicht auseinandergesetzt habe. Indessen sind die Entscheidungen des BVerfG und des III. Senats des BFH zur Vermögensteuer ergangen; deren Problematik ist in der maßgebenden Beziehung der der Erbschaftsteuer nicht völlig gleich. Eben in dem Beschluß II B 40-41/69 ist hervorgehoben, daß die Einheitswerte als Rechnungsgrößen wertneutral und als bloße Bewertungen objektiver Güter nicht - wie es für die Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG erforderlich wäre - auf den Menschen bezogen sind (BFH 97, 318), es somit - jedenfalls zunächst - für die erbschaftsteuerrechtliche Frage nur um den im ErbStG enthaltenen Anwendungsbefehl (§ 23 ErbStG) geht. Dies vorausgesetzt ist aber der Senat nicht veranlaßt, sich in einem Erbschaftsteuerfall darüber auszusprechen, ob er die seinerzeit zur Vermögensteuer entschiedenen Fälle gleichbeurteilt hätte.
Gewisse Unterschiede sind jedenfalls gegeben. Denn die Erbschaftsteuer erfaßt den Erwerb - unter anderem auch von Grundstücken - einmalig als Bereicherung ohne Rücksicht darauf, ob der Erwerber die Grundstücke behält oder veräußert, während die Vermögensteuer fortdauernd auf das jeweils - wenn auch zu Stichtagen - vorhandene Vermögen gelegt ist. Die Frage erhält dadurch zumindest bei solchen Grundstücken, bei denen auf Ertragswerte abzustellen ist, einen anderen Akzent. In dem Beschluß II S 2-4/70 vom 27. Oktober 1970 hat der Senat ausdrücklich hervorgehoben, daß bei Grundstücken, deren Erträge nicht im üblichen Verhältnis zu ihrem Verkehrswert stehen, eine besondere Behandlung angebracht sein kann. Sind auch offenbare Gemeinsamkeiten der erbschaftsteuerrechtlichen und der vermögen- und grundsteuerrechtlichen Bewertungsfrage nicht zu verkennen, so wäre doch der Senat in diesem Verfahren (§ 69 Abs. 3 FGO) nicht befugt, sich mit der gegenteiligen Rechtsprechung eines anderen Senats oder des BVerfG auseinanderzusetzen, sofern es auf eine etwaige Divergenz nicht ankommt.
Der vorliegende Fall unterscheidet sich - wie das FG richtig erkannt hat - von dem in dem Beschluß des BFH II B 40-41/69 vom 9. Dezember 1969 (BFH 97, 315, BStBl II 1970, 121) entschiedenen dadurch, daß nicht gleichzeitige Anfälle von demselben Erblasser zu vergleichen sind (Art. 3 Abs. 1 GG). Vielmehr tritt die Vorerbschaft mit dem Erbfall (§ 1922 Abs. 1 BGB), die Nacherbschaft (§ 2100 BGB) mit dem dafür festgesetzten Zeitpunkt oder Ereignis (§ 2106 BGB) ein (§ 2139 BGB). Insoweit trifft zwar die Bemerkung des Beschwerdegegners zu, daß der Wert eines Gegenstands und der Wert der für diesen Gegenstand bei seiner Veräußerung erlangten Gegenleistung nicht gleich zu sein brauchen. Im vorliegenden Fall kann es aber nicht ernstlich darum gehen, daß der Unterschied zwischen dem Einheitswert des Hofes von 61 800 DM und dem Veräußerungspreis von 1 218 000 DM mit "besonderer Geschäftstüchtigkeit des Verkäufers" oder mit der "besonderen Interessenlage des Käufers" oder ähnlichem zu erklären wäre. Der Unterschied beruht vielmehr - wenn nicht ausschließlich, so zumindest überwiegend - darauf, daß die der Bewertung zugrunde zu legenden Einheitswerte keinen Bezug haben zu den aktuellen gemeinen Werten, wie sie bei jeder Veräußerung zu erzielen wären, wenn diese nicht durch ungewöhnliche oder persönliche Umstände beeinflußt sind.
Der vorliegende Fall nötigt also dazu, die verfassungsrechtliche Problematik des § 23 ErbStG allgemeiner zu betrachten als in dem Beschluß II B 40-41/69 vom 9. Dezember 1969 (BFH 97, 315 [317 ff.], BStBl II 1970, 121). Denn dort genügte es, die Behandlung der Beteiligten desselben Erbfalls zu vergleichen (Art. 3 Abs. 1 GG). Ein Vergleich der Rechtslage beim Vorerben und beim Nacherben wird dagegen dadurch erschwert, daß der Vorerbe nur auflösend bedingter Erbe ist (§ 2139 BGB), während der Nacherbe, sofern nicht weitere Nacherbschaft angeordnet ist, - wenn auch für einen späteren Zeitpunkt (§ 2100 BGB) und für eine unter Umständen inhaltlich veränderte Erbschaft (§§ 2111, 2112, 2130 BGB) - zum vollen Erben wird. Augenfällig ist insofern nur, daß die Beschwerdeführerin zufolge § 23 Abs. 2 ErbStG weniger Steuer schulden würde, wenn ihr die Vorerbin den Hof selbst herausgegeben hätte, als sie bei Gültigkeit des § 23 Abs. 1 ErbStG schuldete, nachdem die Vorerbin mit ihrer Zustimmung den Hof veräußert und ihr nur weniger als ein Fünftel des Verkaufserlöses herausgegeben hat.
Für die Prüfung eines Gesetzes (Art. 1 Abs. 3 GG) am Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist es nicht typisch, daß die - wirklich oder vermeintlich - ungleich behandelten Menschen untereinander durch ein Rechtsverhältnis verbunden sind. Gesetze enthalten vielmehr grundsätzlich abstrakte Aussagen (vgl. Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG), welche für alle Sachverhalte gelten, auf die ihr Tatbestand zutrifft. Werden sie, der Anordnung des Art. 1 Abs. 3 GG entsprechend, am Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) geprüft, kommt es also nicht allein darauf an, ob der einzelne Mensch, um den es im Einzelfall geht, einem bestimmt zu bezeichnenden anderen Menschen gegenüber ungleich behandelt wird. Vielmehr muß das Gesetz in seiner abstrakten Aussage alle Menschen gleichbehandeln ohne Rücksicht darauf, ob sie durch ein Rechtsverhältnis verbunden sind oder nicht. Mit diesem Gebot schließt der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zwar nicht aus, verschiedene Lebenssachverhalte durch unterschiedliche Tatbestände zu erfassen; es ist daher nicht schlechthin ausgeschlossen, den Erwerb von Grundstücken und den Erwerb anderer Gegenstände verschieden zu-besteuern (vgl. z. B. die Grunderwerbsteuer). Die entscheidende und ernstlich zweifelhafte Frage ist aber, ob eine solche Unterscheidung für eine auf die unentgeltliche Bereicherung gelegte Steuer (§§ 1, 11 Abs. 3 ErbStG) deren eigener innerer Rechtfertigung gemäß, also sachgerecht ist, wenn es nicht darauf ankommt, ob der Erwerber das Grundstück behält oder alsbald veräußert. In dem letztgenannten Falle ist nämlich seine Bereicherung der einer Geldzuwendung in Höhe des erzielten Verkaufspreises angenähert.
Dieser Fall ist nicht so selten, daß er als unvermeidbare Randerscheinung außer Betracht bleiben könnte. Vielmehr dürfte es - von geringen Ausnahmen (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) abgesehen - für die derzeitige Besteuerung der Erbschaften und Schenkungen typisch sein, daß sie den gesamten Vermögensanfall erfaßt (§ 24 Abs. 1 Satz 1 ErbStG) ohne Rücksicht auf dessen spätere Verwendung. Der Erwerb eines Grundstücks durch Schenkung (oder von Todes wegen) unterliegt demnach der Steuer aus dem Einheitswerte (§ 23 Abs. 2 ErbStG), selbst wenn das Grundstück vom Erwerber alsbald veräußert werden soll, während die Zuwendung eines Geldbetrags (insbesondere auch in Höhe des Verkaufserlöses eines Grundstücks) der Besteuerung nach dessen Nennwert unterliegt (§ 23 Abs. 1 ErbStG, § 12 Abs. 1 BewG 1965). Gewichtige Gründe sprechen dafür, eine solche Unterscheidung für unvereinbar mit dem Wesen einer Bereicherungsteuer (§ 11 Abs. 3 ErbStG) und demzufolge für gleichheitswidrig (Art. 3 Abs. 1 GG) zu halten. Wäre, was immerhin denkbar ist, die mehrbelastende Norm des § 23 Abs. 1 ErbStG aus diesem Grunde nichtig (Art. 1 Abs. 3, Art. 123 Abs. 1 GG), so würde sie nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören und dürfte demnach zu Lasten eines Steuerpflichtigen nicht angewendet werden (Art. 2 Abs. 1 GG).
Die Frage ist in diesem Verfahren (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO) nicht abschließend zu beantworten. Es genügt vielmehr, daß ernstliche Zweifel gegen die Anwendbarkeit des § 23 Abs. 1 ErbStG bestehen, ohne dessen Gültigkeit der angefochtene Verwaltungsakt nicht rechtmäßig sein kann (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO). Es ist daher für dieses Verfahren (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO) unerheblich, daß die Beschwerdeführerin wegen ihres Erwerbs von 200 000 DM keiner anderen Besteuerung unterworfen worden ist, als das Gesetz allgemein für Gelderwerbe dieser Höhe vorsieht. Doch ist auch diese Gleichstellung bereits zweifelhaft, wenn man den Erwägungen des BFH-Beschlusses II B 40-41/69 vom 9. Dezember 1969 (BFH 97, 315 [317 ff.], BStBl II 1970, 121) folgt. Denn wenn man die dort angeschnittenen Fragen dahin lösen wollte, daß Pflichtteilsberechtigten oder anderen Abfindungsberechtigten keine höhere Besteuerungsgrundlage zugerechnet werden dürfe, als ihrem realen Anteil an dem vom Erblasser stammenden Vermögen entspricht, so wäre bereits ein - nicht allzu seltener - Fall gegeben, in dem ein der Erbschaftsteuer unterliegender (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) Gelderwerb nicht mit seinem Nennwert (§ 12 Abs. 1 BewG 1965) zur Erbschaftsteuer herangezogen würde. Dazu hat aber bereits der Beschluß II B 40-41/69 das - für diesen Fall entscheidende - Bedenken geäußert, das es "kaum erträglich" - wenn nicht ebenso gleichheitswidrig (Art. 3 Abs. 1 GG) - erscheint, bei der Besteuerung eines Geldvermächtnisses bestimmter Höhe danach zu differenzieren, ob sich dieser Betrag unmittelbar im Nachlaß findet oder gar der gesamte Nachlaß der Bewertung nach dem Allgemeinen Teil des BewG unterliegt (§ 23 Abs. 1 ErbStG, § 1 BewG), oder ob der mit dem Vermächtnis belastete Vermögensanfall ganz oder teilweise der Einheitsbewertung unterliegt (BFH 97, 320).
Die im vorliegenden Falle gebotene allgemeine Betrachtung des § 23 ErbStG scheint die Frage nahezulegen, ob nicht die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 Abs. 1 GG) dadurch herzustellen ist, daß für die Erbschaftsteuer schlechthin der Grundsatz des § 23 Abs. 1 ErbStG Platz greift, während die in den Absätzen 2 bis 4 und 6 des § 23 ErbStG verfügten Ausnahmen als dem GG widersprechend nicht fortgelten würden (Art. 123 Abs. 1 GG). Die gegen eine solche Betrachtung bestehenden Bedenken sind bereits in dem Beschluß II S 2-4/70 vom 27. Oktober 1970 dargelegt worden; an ihnen ist festzuhalten.
Zwar kann die etwaige Gleichheitswidrigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) eines Bündels von die Steuerpflichtigen teils mehr, teils weniger belastenden Vorschriften für die Zukunft sowohl dadurch behoben werden, daß die Steuerpflicht der (relativ) Begünstigten bis zur Höhe der Steuerpflicht der stärker Belasteten angehoben wird, als auch dadurch, daß der Umfang der Steuerpflicht der zweitgenannten Gruppe auf eine der Steuerpflicht der erstgenannten Gruppe entsprechende Höhe gesenkt wird. Doch steht diese Wahl nur dem Gesetzgeber zu, und auch diesem nur vorbehaltlich der verfassungsrechtlichen Grenzen rückwirkender Gesetze. Aufgabe des Gesetzgebers ist es, den Kreis der steuerbaren Tatbestände und deren Umfang zu bestimmen (Urteil des BVerfG 1 BvR 232/60 vom 11. Juli 1961, BVerfGE 13, 318 [328]). Auf eine höhere als die sich aus dem Gesetz ergebende Steuer trifft nicht der Tatbestand zu, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AO). Sie wäre folglich durch das Gesetz nicht gedeckt (Art. 20 Abs. 3 GG) und vom Steuerpflichtigen nicht hinzunehmen (Art. 2 Abs. 1 GG).
Demnach muß es ernstlich zweifelhaft (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO) erscheinen, ob die Absätze 2 bis 4 des § 23 ErbStG zu Lasten des Steuerpflichtigen unbeachtet bleiben dürfen, oder ob nicht vielmehr die - hier als ernstlich möglich zu unterstellende - Gleichheitswidrigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) dazu führen müßte, § 23 Abs. 1 ErbStG die Anwendung zu versagen. Denn obschon § 23 Abs. 1 ErbStG systemgerecht ist, hat der Gesetzgeber seine vorbehaltlose Geltung offenbar nicht gewollt. Manches spricht dafür, daß der Gesetzgeber auch künftig die derzeit vermittels der Absätze 2 bis 4 des § 23 ErbStG vorgeschriebene Bewertung weder ändern kann noch will (vgl. Art. 3 Abs. 1 ÄndG-BewG 1965, BGBl I 1965, 851), ohne zugleich die Steuersätze (§ 11 ErbStG) herabzusetzen oder (und) die Freibeträge (§ 17 ErbStG) zu erhöhen, zumal der vorbehaltlose Ansatz gemeiner Wert die Erben sozial schwacher Grundbesitzer schwer treffen würde (vgl. auch Art. 14 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 GG).
Demzufolge muß ernstlich in Betracht gezogen werden, daß zufolge des Vorrangs des GG (Art. 1 Abs. 3 GG) § 23 ErbStG insgesamt oder hinsichtlich seines ersten Absatzes nichtig ist. In beiden Fällen wäre die festgesetzte Steuer in voller Höhe rechtswidrig. Das würde wahrscheinlich auch dann gelten, wenn man es für zulässig hielte, § 23 Abs. 1 ErbStG (obwohl sein Wortlaut eine solche Begrenzung nicht zuläßt) nur insoweit für nichtig zu erachten, als er zu einer höheren Steuer führt, als sie dem Durchschnitt der gemäß den Absätzen 2 bis 4 des § 23 ErbStG zu behandelnden (vergleichbaren?) Fälle entspricht. Die Frage ist in diesem Verfahren (§ 69 Abs. 3 FGO) nicht abschließend zu prüfen; der ernstliche Zweifel allein erzwingt die Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 69214 |
BStBl II 1971, 394 |
BFHE 1971, 402 |