Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (NV)
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 Abs. 1 und 2 FGO setzt voraus, daß die Tatsachen zur Begründung innerhalb der Antragsfrist substantiiert vorgetragen worden sind. Der vage Hinweis auf einen Poststreik genügt nicht.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1-2
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hatte die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) abgewiesen. Das Urteil wurde am 12. März 1992 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 3. April 1992, beim FG eingegangen am 6. April 1992, legte die Klägerin durch ihre Prozeßbevollmächtigten Revision ein. Die Begründung der Revision sollte nachgereicht werden.
Am 14. Mai 1992 ging beim Bundesfinanzhof - BFH - ein (im Telefaxverfahren übermitteltes) Schreiben der Prozeßbevollmächtigten vom selben Tag ein. Darin beziehen sich die Prozeßbevollmächtigten auf eine telefonische Auskunft der Senatsgeschäftsstelle, wonach ein Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist noch nicht eingegangen sei, und führen weiter aus: Sie sähen einen Zusammenhang mit dem Poststreik und wiederholten deshalb ihren Antrag auf Fristverlängerung. Gleichzeitig bäten sie vorsorglich um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dem Schreiben war eine Abschrift eines Schreibens vom 30. April 1992 beigefügt, in dem gebeten wird, die Revisionsbegründungsfrist zu verlängern. Mit Schreiben vom 18. Mai 1992 wies der Vorsitzende des beschließenden Senats die Klägerin darauf hin, daß gemäß § 56 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) innerhalb der Antragsfrist für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ,,die versäumte Rechtshandlung nachzuholen", hier also die Revisionsbegründung einzureichen sei. Am 22.Mai 1992 ging beim BFH ein Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten ein, in dem diese die Revision in der vom FG entschiedenen Rechtsfrage begründeten. Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision enthält der Schriftsatz nicht.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hält die Revision für unzulässig. Hierzu führt er in seiner Revisionserwiderung u.a. aus: Der von der Klägerin wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne keinen Erfolg haben. Der Hinweis auf den Poststreik reiche nicht aus, die Säumnis zu entschuldigen. Der Poststreik sei bereits am 8. Mai 1992 beendet und deshalb für die Versäumung der Frist nicht ursächlich gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der gesetzlichen Frist begründet wurde und dieser Mangel nicht durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beseitigt werden kann. Sie war daher durch Beschluß zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).
1. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Nach Satz 2 der Vorschrift kann die Frist für die Revisionsbegründung auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag durch den Vorsitzenden des zuständigen Senats des BFH verlängert werden.
Im Streitfall endete die Revisionsfrist am 13. April 1992, einem Montag (§ 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Dementsprechend lief die Revisionsbegründungsrist bis zum 13. Mai 1992 (zur Fristberechnung vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 120 Anm.20). Diese konnte nicht verlängert werden, da der Fristverlängerungsantrag nicht - wie vorgeschrieben - vor Ablauf der Frist, sondern erst am 14. Mai 1992 beim BFH eingegangen war. Die am 22.Mai 1992 - also nach Fristablauf (13. Mai 1992) - eingegangene Revisionsbegründung war mithin verspätet.
2. Nach § 56 Abs. 1 FGO ist demjenigen, der unverschuldet verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen zweier Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift). Dies bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des BFH, daß die vorgenannten Tatsachen innerhalb der Zweiwochenfrist substantiiert vorzutragen sind (vgl. BFH-Beschluß vom 9. Juli 1992 IV R 102/91, BFH/NV 1993, 37, m.w.N.).
Hieran fehlt es im Streitfall. Die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin haben nur ganz allgemein auf den Poststreik verwiesen. Sie haben nicht vorgetragen, zu welchem Zeitpunkt sie den Schriftsatz mit dem Fristverlängerungsantrag abgesandt haben und welche Umstände ursächlich dafür gewesen sind, daß der Schriftsatz nicht innerhalb der Frist beim BFH eingegangen ist.
3. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nach § 56 Abs. 2 Satz 4 FGO auch ohne Antrag gewährt werden, wenn innerhalb der Antragsfrist (Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift) die versäumte Rechtshandlung nachgeholt worden ist.
Zwar hat die Klägerin die Revisionsbegründung innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntwerden der Säumnis beim BFH eingereicht. Eine Wiedereinsetzung gemäß § 56 Abs. 2 Satz 4 FGO ist gleichwohl nicht möglich. Denn nach ständiger Rechtsprechung sind auch in diesem Fall die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuches innerhalb der Antragsfrist vorzutragen (vgl. BFH-Urteile vom 21. Juli 1988 V R 87/83, BFHE 155, 177, BStBl II 1989, 60 unter II.B.2., und vom 16. Dezember 1988 III R 13/85, BFHE 155, 282, BStBl II 1989, 328 unter II.1. vor a, m.w.N.). Geschieht dies - wie vorliegend im Streitfall - nicht, kann Wiedereinsetzung gewährt werden, wenn die präsenten und gerichtskundigen Tatsachen eine Wiedereinsetzung rechtfertigen, ein Wiedereinsetzungsgrund ,,offensichtlich", d.h. gerichtsbekannt, akten- oder offenkundig ist (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 56 Anm.58, m.w.N.). Derartige Tatsachen liegen im Streitfall nicht vor. Aus dem vagen Hinweis der Klägerin kann jedenfalls nicht ohne weitere Ermittlungen geschlossen werden, der Poststreik sei ursächlich dafür gewesen, daß der Fristverlängerungsantrag nicht rechtzeitig beim BFH eingegangen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 419050 |
BFH/NV 1993, 615 |