Entscheidungsstichwort (Thema)
Die Merkmale der Organschaft sind voneinander unabhängig zu prüfen
Leitsatz (NV)
- Eindeutig aus dem Gesetz beantwortbar und damit nicht klärungsbedürftig ist, dass die Bejahung eines Eingliederungsmerkmals der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft nicht der Bejahung eines anderen Eingliederungsmerkmals entgegenstehen kann; dies gilt insbesondere für die Prüfung der wirtschaftlichen Eingliederung, wenn an der Organgesellschaft nicht die Organträgergesellschaft, sondern deren Gesellschafter (mehrheitlich) beteiligt ist.
- Ein Verfahrensmangel ist nicht ordnungsgemäß geltend gemacht, wenn lediglich vorgetragen wird, das FG habe eine andere Rechtsauffassung vertreten und deshalb den Sachverhalt anders würdigen müssen.
- Neuer Sachvortrag ist (auch) im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht berücksichtigungsfähig.
Normenkette
UStG 1980 § 2 Abs. 2 Nr. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3
Tatbestand
I. Die S-OHG (OHG), die B-GmbH sowie die W-GmbH waren zunächst entsprechend ihren Erklärungen vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) im Streitjahr 1988 umsatzsteuerrechtlich als (selbständige) Unternehmer behandelt worden. Alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer aller Gesellschaften war jeweils S, der an der W-GmbH allein, an den anderen beiden Gesellschaften mehrheitlich beteiligt war. Mit Schreiben vom 9. Oktober 1991 teilten die drei Gesellschaften dem FA mit, dass in Wirklichkeit zwischen ihnen eine Organschaft mit der OHG als Organträgerin bestanden habe. Dem folgte das FA zunächst, indem es die Steuerfestsetzungen für die Klägerin und die W-GmbH aufhob.
Anlässlich einer Außenprüfung kamen die Prüfer jedoch zu der Auffassung, dass eine Organschaft nur zwischen der OHG und der B-GmbH, nicht aber mit der W-GmbH vorgelegen habe, weil es insoweit an der erforderlichen wirtschaftlichen Eingliederung gefehlt habe. Die Angaben zur wirtschaftlichen Eingliederung im Schreiben vom 9. Oktober 1991 ―Verpachtung von Bauhof sowie von Geschäfts- und Betriebsgebäuden durch die OHG― hätten nur auf die B-GmbH, nicht aber auf die W-GmbH zugetroffen. Deren Tätigkeiten für die beiden anderen Gesellschaften (Werbe- und Vertriebsleistungen mittels einer 1987 neu gegründeten Vertriebsabteilung) seien nur von untergeordneter Bedeutung gewesen; überwiegend habe die W-GmbH Leistungen an andere erbracht. Darauf erließ das FA am 23. Juni 1994 gegenüber der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) als Gesamtrechtsnachfolgerin der W-GmbH (wegen 1993 erfolgter Verschmelzung) einen Umsatzsteuer-Bescheid 1988, mit dem es Umsatzsteuer in Höhe von 65 786 DM festsetzte.
Die dagegen nach erfolglosem Vorverfahren gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Es sah die W-GmbH als (selbständige) Unternehmerin i.S. des § 2 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG) an, weil sie zwar i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG finanziell und organisatorisch, nicht aber wirtschaftlich in das Unternehmen der OHG eingegliedert gewesen sei. Daran ändere die Erbringung (insbesondere von Werbe-)Leistungen durch die W-GmbH an die OHG bzw. die Klägerin nichts, da diese im Vergleich zur sonstigen Betätigung der W-GmbH "von derart untergeordneter Bedeutung" gewesen seien, dass sie bei der gebotenen Gesamtwürdigung die wirtschaftliche Eingliederung der W-GmbH nicht begründen könnten. In den Jahren 1988 bis 1990 habe deren Umfang nur knapp 3 Mio. DM erreicht, während allein die Umsatzerlöse aus der im eigenen Namen durchgeführten Bauträgermaßnahme "X" mit 34 Einfamilienhäusern im selben Zeitraum fast 12 Mio. DM ausmachten. Dazu komme noch die ―ebenfalls unabhängig von der OHG ausgeübte― Betätigung als Bauträgerin in Zusammenarbeit mit der L-Baubetreuungsgesellschaft, in deren Rahmen insgesamt 69 Einfamilienhäuser errichtet worden seien. Die wirtschaftliche Betätigung der W-GmbH habe sich ab 1988 also überwiegend auf den Bauträgersektor erstreckt; diese Tätigkeit habe aber die der OHG weder gefördert noch ergänzt. Eine wirtschaftliche Eingliederung werde auch nicht dadurch begründet, dass S habe bestimmen können, welche Gesellschaft einen Auftrag erhalten habe; dies rechtfertige nur die Annahme einer Beherrschung der W-GmbH und der Klägerin durch S. Die für den Unternehmenserfolg wesentlichen Erfahrungen und Kontakte des S habe dieser als Geschäftsführer der W-GmbH zur Verfügung gestellt.
Die Klägerin erhob Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.
Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Einen Verfahrensmangel hat die Klägerin nicht ordnungsgemäß dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Rügt der Beschwerdeführer die Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 76 FGO), bedarf es der Darlegung, welche Fragen tatsächlicher Art aufklärungsbedürftig waren, welche Beweismittel zu welchem Beweisthema das Finanzgericht (FG) ungenutzt ließ, warum der Beschwerdeführer nicht von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, warum sich die Notwendigkeit der Beweiserhebung jedoch dem FG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen und inwieweit die als unterlassen gerügte Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 8. November 2000 XI B 38/00, BFH/NV 2001, 478). Maßgeblich für die Frage, ob das FG den Sachverhalt hätte weiter aufklären müssen, ist insoweit allein dessen im Urteil vertretene Rechtsauffassung (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juli 1999 VIII R 12/98, BFHE 189, 148, BStBl II 1999, 731, m.w.N.). Die Klägerin trägt zur Begründung des Verfahrensmangels lediglich vor, das FG hätte eine andere Rechtsauffassung vertreten und deshalb den Sachverhalt anders würdigen müssen. Das genügt nicht.
2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Die Zulassung der Revision kommt nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nur wegen einer Rechtsfrage in Betracht, die im Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist (z.B. BFH-Beschluss vom 21. März 2002 V B 87/01, BFH/NV 2002, 1012).
Die Klägerin meint, grundsätzliche Bedeutung habe die Rechtsfrage, "inwieweit es der Annahme einer 'wirtschaftlichen Eingliederung' ―im Gegensatz zu einer 'finanziellen Eingliederung'― entgegenstehen kann, dass die Verbindung zwischen der Organträgergesellschaft und der Organgesellschaft lediglich 'über' eine natürliche Person verläuft, die Gesellschafter der als Organträgergesellschaft fungierenden Personengesellschaft ist". Diese Frage ist nicht klärungsbedürftig. Denn sie lässt sich eindeutig aus dem Gesetz beantworten (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 3. September 2001 V B 228/00, BFH/NV 2002, 376, zu II. 2.):
Eine Organgesellschaft ist nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG eine juristische Person, die nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein Unternehmen eingegliedert ist. Es ist zwar nicht erforderlich, dass alle drei angeführten Merkmale einer Eingliederung sich gleichermaßen deutlich feststellen lassen. Dagegen reicht es nicht aus, dass sie nur in Beziehung auf zwei der genannten Merkmale besteht (BFH-Urteil vom 20. Februar 1992 V R 80/85, BFH/NV 1993, 133). Die Prüfung der einzelnen Tatbestandsmerkmale hat demnach ―unbeschadet einer abschließenden Gesamtwürdigung― voneinander unabhängig zu erfolgen. Die Bejahung eines Eingliederungsmerkmals kann somit nicht der Bejahung eines anderen Eingliederungsmerkmals entgegenstehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die finanzielle Eingliederung ―wie der Sache nach hier vom FG― (nur) als mittelbar erfüllt angesehen wird. Der wirtschaftlichen Eingliederung der beherrschten Gesellschaft steht dann nicht entgegen, dass die Verbindung zwischen ihr und der Obergesellschaft "über eine natürliche Person verläuft", die deren Gesellschafter ist.
Das FG hat im Übrigen den beherrschenden Einfluss des S der Annahme einer wirtschaftlichen Eingliederung der W-GmbH nicht als entgegenstehend, sondern jenen ―insoweit zutreffend― lediglich nicht als ausreichend angesehen.
3. Auch eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO kommt nicht in Betracht, weil der Zulassungsgrund "Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung" auch die Divergenz der Entscheidung des FG von der Rechtsprechung des BFH oder eines anderen obersten Bundesgerichts umfasst. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgeht, sie habe mit ihrem Vortrag, das FG hätte den Sachverhalt unter Berücksichtigung des BFH-Urteils vom 15. Juni 1972 V R 15/69 (BFHE 106, 475, BStBl II 1972, 840) ermitteln und deshalb zu einem anderen Ergebnis kommen müssen, auch eine Zulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO begehrt, entspricht die Begründung der Beschwerde insoweit nicht den Anforderungen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
Zur schlüssigen Rüge einer Divergenz (Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur "Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung"; § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) muss der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus der (mutmaßlichen) Divergenzentscheidung des BFH andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (ständige Rechtsprechung, zuletzt u.a. Senatsbeschluss vom 13. September 2002 V B 51/02, BFH/NV 2003, 212). Daran fehlt es. Im Übrigen geht die Klägerin selbst davon aus, dass der Sachverhalt, der der Entscheidung des FG zugrunde liegt, und der des zitierten BFH-Urteils unterschiedlich sind.
Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang vorträgt, neben dem Vertrieb habe der W-GmbH auch die Buchhaltung für den Unternehmensverbund oblegen, sie habe das gemeinsame Betriebsgrundstück genutzt (vgl. zur unentgeltlichen Überlassung BFH-Urteil vom 24. April 1991 X R 84/88, BFHE 164, 385, BStBl II 1991, 713) und es hätten gegenseitige Haftungszusagen bestanden, handelt es sich zudem um einen neuen Sachvortrag, der (auch) im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht berücksichtigungsfähig ist (vgl. § 118 Abs. 2 FGO und BFH-Beschluss vom 4. Februar 2002 V B 29/01, juris, zu II. 5.).
4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 935211 |
BFH/NV 2003, 949 |