Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Geschäftsführers trotz Vertrauens auf Aufrechnungslage
Leitsatz (NV)
- Das bloße Vertrauen auf einen zukünftigen Mittelzufluss oder das Bestehen einer Aufrechnungslage kann den Geschäftsführer nicht von der Pflicht entbinden, die Lohnsteuer zum gesetzlichen Fälligkeitstermin zu entrichten.
- Dies gilt auch dann, wenn der Geschäftsführer damit rechnet, er werde rückständige Lohnsteuern mit einem vermeintlichen Vorsteuer-Guthaben ausgleichen können, das sich später als nicht realisierbar erweist.
- Durch diese Konkretisierung der Sorgfaltspflicht des Geschäftsführers wird die generelle Möglichkeit, Lohnsteuern durch Verrechnung mit Vorsteuer-Guthaben zu begleichen, nicht in Frage gestellt.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2; AO 1977 §§ 69, 226 Abs. 3
Verfahrensgang
FG des Saarlandes (Urteil vom 11.09.2003; Aktenzeichen 2 K 37/98) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war Geschäftsführer einer in Konkurs geratenen GmbH. Im Dezember 1996 verkaufte er der GmbH mehrere Maschinen. Die aus der Veräußerung resultierende Umsatzsteuer machte die GmbH in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat Dezember 1996 als Vorsteuer geltend. Sodann rechnete sie in insgesamt drei Schreiben rückständige Lohnsteuerschulden mit Umsatzsteuer-Guthaben auf und bat um entsprechende Umbuchungen. Dem folgte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) jedoch nicht, sondern führte eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch. Am … fertigte ein Sachbearbeiter der Vollstreckungsstelle des FA einen Aktenvermerk, nach dem die Umsatzsteuer-Sonderprüfung abgeschlossen sei und das "Guthaben Dezember 1996 … kurzfristig eingebucht" werden solle. In seinem Prüfungsbericht kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass letztlich kein die GmbH zum Vorsteuerabzug berechtigender steuerbarer Umsatz vorgelegen habe, so dass der geltend gemachte Vorsteuerabzug nicht anerkannt werden könne.
Am … nahm das FA den Kläger für rückständige Lohnsteuern und Nebenabgaben der GmbH in Haftung. Der Einspruch führte zu einer Verminderung der Haftungssumme. Die Klage gegen den Haftungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung hatte indes keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass der Kläger den Haftungstatbestand des § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfüllt habe. Hinsichtlich der Lohnsteuer-Anmeldungszeiträume April und November 1996 habe er die Pflichten zur Abführung der Lohnsteuer vorsätzlich verletzt bevor das vermeintliche Umsatzsteuer-Guthaben entstanden sei. In Bezug auf die Lohnsteuer-Anmeldungszeiträume Dezember 1996, Januar und Februar 1997 habe der Kläger zumindest grob fahrlässig gehandelt, da die Aufrechnung aufgrund der mangelnden Zustimmung des FA (§ 168 Satz 2 AO 1977) nicht wirksam geworden sei. Die besonderen Bestimmungen des § 168 AO 1977 gingen den in § 226 Abs. 3 AO 1977 festgelegten Grundsätzen vor. Der Kläger hätte deshalb nicht von einer Umsatzsteuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ausgehen können. Vielmehr hätte er für die fristgerechte Abführung der Lohnsteuern Sorge tragen müssen. Darüber hinaus habe das FA durch das zunächst positive Ergebnis der Umsatzsteuer-Sonderprüfung keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, der im Rahmen der Ausübung des Entschließungsermessens zu berücksichtigen wäre. Denn das FA habe diese Prüfung erst zu einem Zeitpunkt durchgeführt, als die Lohnsteuerbeträge bereits fällig waren. Im Übrigen habe der Kläger damit rechnen müssen, dass die GmbH den Kaufpreis für die Maschinen nicht würde begleichen können und dass das Veräußerungsgeschäft gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) rückgängig zu machen sein würde.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, die er auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) stützt. Er ist der Ansicht, dass das FG die tatbestandlichen Voraussetzungen einer wirksamen Aufrechnung i.S. von § 226 Abs. 1 AO 1977 verkannt habe. Unmittelbar im Anschluss an die Sonderprüfung habe der Sonderprüfer telefonisch den Bestand des Vorsteuer-Guthabens bestätigt. Der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis sei damit unbestritten gewesen und die Aufrechnung wirksam erfolgt. Einer Zustimmung des FA habe es nicht bedurft. Das FG habe auch verkannt, dass der Kläger nicht grob fahrlässig gehandelt habe, denn die Nichtabführung der Lohnsteuer beruhe auf der Zusage des Sonderprüfers, die sich das FA zurechnen lassen müsse. Hinsichtlich der Lohnsteuer sei eine Zahlungsaufforderung bzw. Mahnung nicht erfolgt. Das Mitverschulden des FA in Form der erteilten Zusage hätte das FG bei der Beurteilung des Entschließungsermessens berücksichtigen müssen. Darüber hinaus habe das FG den Senatsbeschluss vom 1. Februar 2000 VII B 256/99 (BFH/NV 2000, 939) im Ergebnis falsch angewendet, weil das Vorsteuer-Guthaben nicht als "Kredit oder sonstiges Fördermittel" im Sinne der Senatsentscheidung angesehen werden könne. Auch weiche das Urteil des FG von den Entscheidungen des Senats vom 2. August 1988 VII R 60/85 (BFH/NV 1989, 150) und vom 5. Februar 1985 VII R 124/80 (BFH/NV 1987, 2) ab. Danach hätte das FA die Gegenforderung innerhalb angemessener Frist substantiiert bestreiten müssen. Im Streitfall sei dies erst über sieben Monate nach der Aufrechnungserklärung erfolgt und damit unbeachtlich.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Kläger hat in der Beschwerdeschrift den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage nicht schlüssig dargelegt. Darüber hinaus liegt die behauptete Abweichung des erstinstanzlichen Erkenntnisses von den zitierten Entscheidungen des Senats nicht vor.
a) Für die nach § 116 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO zu fordernde Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) muss der Beschwerdeführer konkret auf eine Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Er muss zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Erforderlich ist darüber hinaus ein konkreter und substantiierter Vortrag aus dem ersichtlich wird, warum im Einzelnen die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln, die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 27. Oktober 2003 VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232, und vom 2. Dezember 2002 VII B 203/02, BFH/NV 2003, 527, m.w.N.)
Soweit sich der Kläger dagegen wendet, dass das FG die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 226 Abs. 1 und 3 AO 1977 verkannt habe, rügt er im Kern seines Vorbringens die materiell-rechtliche Würdigung des Streitfalles durch das erstinstanzliche Gericht. Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im Einzelfall rechtfertigen jedoch nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2003 VII B 130/03, BFH/NV 2004, 215; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 24 und § 116 Rz. 34, jeweils m.w.N.). Darüber hinaus stellt der Kläger keine abstrakte Rechtsfrage heraus, der über den Streitfall hinaus eine allgemeine Bedeutung zukommen soll. Vielmehr konzentriert sich sein Vortrag auf eine Wiedergabe der Besonderheiten des Streitfalles, die zu dem Schluss hätten führen müssen, dass die von ihm zur Aufrechnung gestellte Forderung infolge der Äußerungen des Sonderprüfers als unbestritten anzusehen sei.
Dies gilt auch hinsichtlich der vermeintlich fehlerhaften Überprüfung der Ausübung des Entschließungsermessens durch das FG und der Verkennung des Rechtsbegriffes der "groben Fahrlässigkeit" i.S. von § 69 AO 1977. Auch in diesem Zusammenhang verweist der Kläger auf die Besonderheiten des Streitfalles, die seiner Ansicht nach darin liegen, dass das vom FG als pflichtwidrig eingestufte Verhalten des Klägers auf einer Zusage des Sonderprüfers des FA beruhte und vom FG daher beim Ansatz des Sorgfaltsmaßstabes eines GmbH-Geschäftsführers hätte berücksichtigt werden müssen.
Selbst wenn in dem Vorbringen hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung der Äußerungen des Sonderprüfers eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung gesehen werden könnte, wäre ihre Beantwortung nicht entscheidungserheblich, denn die Annahme der Pflichtverletzung durch das FG beruht nicht auf einer Verkennung der rechtlichen Bedeutung dieser vermeintlichen Zusage. Wie das FG ausgeführt hat, hätte der Kläger die Lohnsteuer bei Fälligkeit entrichten müssen und nicht auf das Bestehen einer Aufrechnungslage vertrauen dürfen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ―wie der Kläger selbst vorträgt― die telefonische Bestätigung des Bestandes des Vorsteuer-Guthabens durch den Sonderprüfer erst zu einem Zeitpunkt erfolgte, in dem die gesetzliche Fälligkeit der Lohnsteueransprüche für die streitbefangenen Lohnsteuer-Anmeldungszeiträume gemäß § 41a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 EStG bereits eingetreten war. Der Kläger konnte also im Zeitpunkt der Pflicht zur Entrichtung der Steuer nicht davon ausgehen, dass die Umsatzsteuer-Voranmeldung vom FA ohne Beanstandungen akzeptiert würde. Das Ergebnis der Umsatzsteuer-Sonderprüfung lag ihm nämlich noch nicht vor. Damit hat der Kläger den Tatbestand des § 69 AO 1977 bereits vor der vermeintlichen Zusage des Sonderprüfers erfüllt, so dass diese nicht dazu führen könnte, dass die Verwirklichung des Haftungstatbestandes nachträglich wieder entfiele.
b) Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO liegen ebenfalls nicht vor, denn das FG ist mit seiner Entscheidung nicht von den vom Kläger in Bezug genommenen Senatsentscheidungen abgewichen.
Die ordnungsmäßige Erhebung einer Divergenzrüge setzt voraus, dass der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeitet und einander gegenüberstellt, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 11. September 2003 X B 103/02, BFH/NV 2004, 180, und vom 12. Juli 2002 II B 33/01, BFH/NV 2002, 1482). Der Senat lässt offen, ob das Vorbringen des Klägers diesen Anforderungen hinsichtlich jeder der drei von ihm zitierten Senatsentscheidungen gerecht wird. Jedenfalls kann die Beschwerde deshalb keinen Erfolg haben, weil das FG-Urteil von diesen Entscheidungen nicht abweicht.
Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass das FG den Senatsbeschluss in BFH/NV 2000, 939 ―wie der Kläger behauptet― falsch angewendet hat. Nach der Rechtsprechung des Senats kann die bloße Erwartung, Lohnsteuerrückstände nach Eintritt der gesetzlichen Fälligkeit ausgleichen zu können, den Geschäftsführer nicht ohne weiteres entlasten. Denn mit dieser Erwartung geht der Geschäftsführer bewusst ein Haftungsrisiko ein. Werden seine Erwartungen später enttäuscht, so liegt dieser Umstand in seiner Risikosphäre. Bei dieser Betrachtung kann es nicht darauf ankommen, ob der Geschäftsführer auf den Zufluss von Mitteln aus dem Kredit eines privaten Kreditgebers oder einer Behörde, aus Außenständen der Gesellschaft oder auf den Zufluss sonstiger Fördermittel (wie z.B. Investitionshilfen) vertraut. Deshalb finden die vom Senat entwickelten Grundsätze auch dann Anwendung, wenn der Geschäftsführer damit rechnet, er werde rückständige Lohnsteuern mit einem vermeintlichen Vorsteuer-Guthaben ausgleichen können, das sich später als nicht realisierbar erweist.
Auch die behauptete Abweichung von der Senatsentscheidung in BFH/NV 1989, 150 liegt nicht vor. Denn der Senat hat ausgeführt, dass eine Verpflichtung aus § 41a Abs. 1 Nr. 2 EStG zur Abführung der einbehaltenen Lohnsteuer auch dann nicht, auch nur zeitweise, dadurch entfallen könne, dass sich für eine GmbH rechnerisch ein Vorsteuer-Guthaben ergeben würde, mit dessen Erstattung der Haftungsschuldner rechne. Als Abzugsteuer sei die Lohnsteuer in jedem Fall im Zusammenhang mit der Lohnzahlung innerhalb der in § 41a Abs. 1 Satz 1 EStG genannten Frist zu entrichten, ohne Rücksicht darauf, ob für die Zukunft mit einem Anspruch auf Erstattung anderer Steuern gerechnet werden könne. Wie im Streitfall konnte auch in dem vom Senat entschiedenen Fall eine wirksame Aufrechnung nicht angenommen werden; denn es fehlte bereits an einem entsprechenden Antrag auf Verrechnung. Die Versagung der Wirksamkeit der Aufrechnung im Streitfall widerspricht deshalb nicht der Senatsentscheidung, weil die generelle Möglichkeit, Lohnsteuern durch Verrechnung mit Vorsteuer-Guthaben zu begleichen, von beiden Entscheidungen grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird.
Der Senat vermag auch keine Abweichung des FG-Urteils zu seinem Urteil in BFH/NV 1987, 2 zu erkennen. Dieser Entscheidung sind die Grundsätze zu entnehmen, dass Steuerpflichtige gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen aufrechnen können (§ 226 Abs. 3 AO 1977) und dass ein Bestreiten des FA nicht unmittelbar im Zeitpunkt des Zugangs der Aufrechnungserklärung erfolgen muss. Eine Aussage dahin gehend, dass ein erheblich späteres Bestreiten unbeachtlich sei, ist der Entscheidung jedoch nicht zu entnehmen. Vielmehr hat der Senat dem FA eine gewisse Prüfungsfrist eingeräumt, ohne konkrete Aussagen über die Dauer dieser Frist zu treffen.
Im Übrigen hat der Kläger ―wie bereits ausgeführt― den Haftungstatbestand des § 69 AO 1977 schon vor dem Zeitpunkt verwirklicht, zu dem selbst nach der Ansicht der Beschwerde ein Bestreiten der Forderung noch möglich gewesen wäre. Damit würde das erstinstanzliche Urteil nicht auf einer Abweichung von der in BFH/NV 1987, 2 veröffentlichten Senatsentscheidung beruhen, selbst wenn eine solche Divergenz vorliegen würde.
2. Von einer weiteren Begründung des Beschlusses sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
Fundstellen
Haufe-Index 1160159 |
BFH/NV 2004, 1069 |