Entscheidungsstichwort (Thema)
Nicht entschuldbarer Irrtum über Revisionsbegründungsfrist nach erfolgreicher NZB
Leitsatz (NV)
1. Nach erfolgreicher NZB beträgt die Frist zur Begründung der Revision einen Monat (§ 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO).
2. Ein Irrtum über diese Frist ‐ auf die in der Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich hingewiesen ist ‐ ist bei einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe nicht entschuldbar, so dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht kommt.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1-2, § 116 Abs. 7 S. 2, § 120 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Auf Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) hat der Senat mit Beschluss vom 21. Oktober 2005 (V B 96/05) die Revision gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts (FG) vom 4. Mai 2005 (6 K 1595/03) betreffend Umsatzsteuer 1998 und 1999 zugelassen. Der Beschluss enthält im ersten Absatz des rechtlichen Hinweises die Erläuterung: "… Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses ist jedoch bei dem Bundesfinanzhof eine Begründung der Revision einzureichen." Der Beschluss wurde der Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Postzustellungsurkunde am 9. November 2005 zugestellt; die Prozessvollmacht vom 8. Juni 2005 enthält ausdrücklich auch die Zustellungsvollmacht.
Mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2005 (Eingang per Telefax beim Bundesfinanzhof --BFH-- am selben Tag) legte die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Revisionsbegründung vor und beantragte gleichzeitig wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Zur Begründung macht sie geltend, die Fristversäumnis beruhe auf einem Rechtsirrtum über eine Verfahrensfrage; irrtümlich sei vom Vorliegen der zweimonatigen Begründungsfrist des § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO ausgegangen worden, die in allen vom Unterzeichner bisher behandelten Fällen zugetroffen habe. Erst durch den Hinweis des BFH mit Schreiben vom 14. Dezember 2005 --eingegangen am 16. Dezember 2005-- sei dieser Irrtum entdeckt worden. Die versäumte Rechtshandlung --die Revisionsbegründung-- sei innerhalb der Frist von zwei Wochen zusammen mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nunmehr vorgenommen worden, weshalb Wiedereinsetzung erlangt werden könne.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen (§ 124 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 126 Abs. 1 FGO). Sie ist verspätet begründet worden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 und 2 FGO) kommt nicht in Betracht.
1. Die Revisionsbegründungsfrist ist versäumt worden. Die Laufzeit der Frist hängt nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO davon ab, ob die Revision vom FG oder erst aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde vom BFH zugelassen worden ist. Für einen Beschwerdeführer, dessen Nichtzulassungsbeschwerde --wie im Streitfall-- Erfolg hatte, beginnt die Revisionsbegründungsfrist mit der Zustellung der Entscheidung über die Zulassung (§ 116 Abs. 7 Satz 2 FGO). Die Revisionsbegründungsfrist beträgt einen Monat seit Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO). Hierauf wurde in der Rechtsmittelbelehrung des Beschlusses vom 21. Oktober 2005 hingewiesen.
Für den Kläger lief danach eine Begründungsfrist von einem Monat seit Zustellung des BFH-Beschlusses über die Zulassung der Revision am 9. November 2005. Die Frist lief mit Ablauf des 9. Dezember 2005 ab; die am 23. Dezember 2005 eingegangene Begründung wahrte die Begründungsfrist nicht.
2. Dem Kläger kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.
a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist --unter den weiteren Voraussetzungen des Abs. 2-- auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Verschulden eines Prozessbevollmächtigten muss sich der Verfahrensbeteiligte zurechnen lassen (§ 85 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO). Einen rechtskundigen Verfahrensbevollmächtigten trifft ein Verschulden an einer Fristversäumnis nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur dann nicht, wenn die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt angewendet worden ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 16. August 1993 VII B 163/93, BFH/NV 1994, 384, 385).
b) Diesen Anforderungen hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers, eine Angehörige der steuerberatenden Berufe, nicht genügt. Wer als derartiger Berufsangehöriger ein Rechtsmittel einlegt, muss nicht nur die Voraussetzungen und die Anforderungen für dieses Rechtsmittel kennen oder sich zumindest davon Kenntnis verschaffen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 23. November 1992 III B 76/92, BFH/NV 1994, 105, und vom 7. Januar 1998 VII B 222/97, BFH/NV 1998, 616), sondern muss auch Rechtsmittelbelehrungen oder rechtliche Hinweise in oder im Zusammenhang mit der angefochtenen Entscheidung beachten (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 9. August 2001 III R 14/01, BFH/NV 2002, 48). Im Streitfall war der Prozessbevollmächtigten des Klägers nach eigener Darstellung nicht bekannt, dass die Revisionsbegründungsfrist im Fall der Zulassung der Revision durch den BFH nur einen Monat beträgt. Diese Kenntnis hätte sie sich durch bloße Gesetzeslektüre verschaffen müssen. Zumindest war von ihr aber zu erwarten, dass sie den "rechtlichen Hinweis" im Beschluss über die Zulassung der Revision zur Kenntnis genommen hat (s. dazu insbesondere BFH-Beschluss vom 11. August 2003 IV R 13-16/02, BFH/NV 2004, 61). Die Frist ist daher nicht "ohne Verschulden" versäumt worden.
Fundstellen
BFH/NV 2006, 1323 |
HFR 2006, 789 |