Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf einer Prozessvollmacht durch Fax; Erlöschen einer Prozessvollmacht und Unterbrechung des Klageverfahrens durch Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters
Leitsatz (NV)
- Ein Urteil darf dem Prozessbevollmächtigten nach Widerruf der Prozessvollmacht nicht mehr zugestellt werden. Die Prozessvollmacht ist widerrufen, wenn das FG von dem Widerruf durch ein Faxschreiben Kenntnis erlangt.
- Die Prozessvollmacht erlöscht im Insolvenzeröffnungsverfahren auch bei Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters nicht gemäß § 117 InsO kraft Gesetzes.
- Das Klageverfahren vor dem FG wird durch die Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung nicht gemäß § 240 Satz 2 ZPO unterbrochen, wenn das Insolvenzgericht dem Gemeinschuldner nur einen Zustimmungsvorbehalt und kein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt.
Normenkette
FGO §§ 53, 62 Abs. 3 S. 5, § 90 Abs. 1, § 91 Abs. 1, § 120 Abs. 1 S. 1, § 155; ZPO §§ 87, 189, 240 S. 2; InsO § 21 Abs. 2 Nr. 2, § 22 Abs. 1 S. 1, § 117
Tatbestand
I. In der Sache streiten die Beteiligten um die Inanspruchnahme von Verlustvorträgen (§ 8 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes ―KStG― (Frage nach der wirtschaftlichen Identität). Gegenstand der Beschwerde ist allerdings nicht diese Frage, vielmehr jene nach dem ordnungsgemäßen Ergehen des angefochtenen Urteils des Finanzgerichts (FG) und dessen ordnungsmäßige Bekanntgabe:
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, firmierte zunächst als …, später als … Ihre Anteile sowie ihr gegenüber bestehende, verzinsliche Forderungen von nominell über 1,2 Mio. DM wurden, nachdem sie in Vermögensverfall geraten und ihre Liquidation beschlossen worden war, von der Erbin des verstorbenen früheren Gesellschafters unentgeltlich auf den Prozessbevollmächtigten, einen Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, übertragen. Dieser hob die Liquidation der Klägerin auf und führte die Klägerin als … Steuerberatungsgesellschaft mbH fort. Alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin wurde zunächst die Ehefrau des Prozessbevollmächtigten, eine Steuerberaterin. Mit Vertrag vom 31. August 1993 wurden dieser die Anteile an der Klägerin unentgeltlich übertragen. 1997 erfolgte die abermalige Umfirmierung der Klägerin und die Bestellung eines neuen Geschäftsführers.
Durch Beschluss vom 4. Juni 1999 wurde die Klägerin aufgelöst. Die Auflösung wurde im Handelsregister eingetragen. Der seinerzeitige Geschäftsführer wurde abberufen; Liquidator wurde der Prozessbevollmächtigte. Über die Geschäftsführerabberufung und die Neubestellung des Liquidators besteht zwischen dem Prozessbevollmächtigten und dessen Ehefrau, die zwischenzeitlich ihrerseits Prozessbevollmächtigte der Klägerin geworden war, Streit, der in der Frage wurzelt, ob der nunmehrige Prozessbevollmächtigte trotz der 1993 erfolgten Anteilsabtretung noch Gesellschafter der Klägerin ist und deren Auflösung beschließen konnte. Darüber hat nach Aktenlage zwischenzeitlich das Oberlandesgericht (OLG) im Sinne des Prozessbevollmächtigten entschieden; dieses Urteil wurde am 21. Februar 2003 verkündet.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) lehnte den von der Klägerin begehrten Abzug von Verlusten wegen fehlender wirtschaftlicher Identität gemäß § 8 Abs. 4 KStG ab und erließ entsprechende Steuerbescheide. Die dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos; die Revision wurde vom FG nicht zugelassen.
Mit Schreiben vom 3. Dezember 2002 hatte der Prozessbevollmächtigte die Prozessvollmacht seiner Ehefrau gegenüber dem FG widerrufen und sich selbst zum Bevollmächtigten bestellt. Das Widerrufsschreiben ging beim FG nur als Fax und ohne Unterschrift ein. Das FG hat den Widerruf im Ergebnis ignoriert, weil das angefochtene Urteil bereits am 21. November 2002 ergangen und verkündet worden war. Das Urteil wurde der bisherigen Prozessbevollmächtigten ausweislich des in den Akten befindlichen Empfangsbekenntnisses am 11. Januar 2003 zugestellt.
Mit ihrer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin im Wesentlichen nicht ordnungsmäßige Ladung zur mündlichen Verhandlung sowie nicht ordnungsmäßige Vertretung in der mündlichen Verhandlung und damit Verletzung der § 53 i.V.m. § 91 Abs. 1 und § 90 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Beschwerde ging beim Bundesfinanzhof (BFH) erst am 18. Februar 2003 und damit nach Ablauf der Monatsfrist gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ein, letztere Frist berechnet vom Zeitpunkt der Zustellung des Urteils an die bisherige Prozessbevollmächtigte am 11. Februar 2003. Die Klägerin beruft sich insoweit auf die nicht ordnungsmäßige Zustellung des FG-Urteils. Dieses sei der früheren Prozessbevollmächtigten zugestellt worden, obwohl deren Vollmacht infolge der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung über ihr Vermögen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) kraft Gesetzes gemäß § 117 InsO erloschen sei. Die Klägerin legt dazu eine Ausfertigung des entsprechenden Beschlusses des zuständigen Amtsgerichts vor. Verfügungen der Schuldnerin waren danach gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam.
Durch diese Anordnung des Amtsgerichts sei das Prozessverfahren gemäß § 155 FGO i.V.m. § 240 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) unterbrochen worden; eine Fortführung des Verfahrens gemäß § 246 ZPO komme auch im Anwaltsprozess nicht in Betracht. Infolge dieser Rechtslage sei die Prozessbevollmächtigte als vollmachtlose Vertreterin aufgetreten. Es fehle deshalb eine Sachentscheidungs- und Prozesshandlungsvoraussetzung. Eine ordnungsmäßige Ladung zur mündlichen Verhandlung sei nicht gegeben. Das Urteil sei auch wegen der nicht berücksichtigten Unterbrechung des Verfahrens fehlerhaft.
Hilfsweise hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) beantragt. Ihr Prozessbevollmächtigter sei davon ausgegangen, dass das Klageverfahren unterbrochen gewesen sei. Die frühere Prozessbevollmächtigte, von der er sich als Ehemann Anfang des Jahres 2000 getrennt habe, habe ihn nicht über den Fortgang des Verfahrens informiert. Gleichermaßen habe das FG es unterlassen, ihn rechtzeitig über das ergangene Urteil in Kenntnis zu setzen, obwohl dazu in Anbetracht des am 3. Dezember 2002 erfolgten Vollmachtswiderrufs Anlass bestanden habe. Statt dessen habe das FG das Urteil der bisherigen Bevollmächtigten zugestellt und ihm das Urteil erst auf Nachfrage am 20. Januar 2003 als formfreie Leseabschrift zur Kenntnis übersandt. Dass das Widerrufsschreiben vom 3. Dezember 2002 dem FG aus technischen Gründen nicht ordnungsmäßig ―ohne Unterschrift― übermittelt worden sei, sei ihm erst mit Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 18. März 2003 mitgeteilt worden. Die versäumte Rechtshandlung werde nunmehr nachgeholt. Die Klägerin begründet sodann ihre Beschwerde und rügt die Unrichtigkeit der Vorentscheidung.
Das FA hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist zwar zulässig, aber unbegründet.
1. Die Beschwerde ist zulässig; sie ist insbesondere nicht nach Ablauf der Beschwerdefrist des § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO eingelegt worden.
a) Danach ist die Beschwerde bei dem Bundesfinanzhof (BFH) innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils (vgl. § 104 Abs. 1 Satz 2 FGO) schriftlich einzulegen. In welcher Weise das Urteil zuzustellen ist, richtet sich gemäß § 53 Abs. 2 FGO nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung, also nach §§ 166 bis 190 ZPO.
b) Im Streitfall wurde das am 21. November 2002 verkündete Urteil des FG dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin bis heute nicht förmlich zugestellt. Es ist ihm aber in Gestalt einer Leseabschrift nach dem 22. Januar 2003 bekannt gegeben worden. Der Zustellungsmangel wird dadurch geheilt. Das Urteil gilt gemäß § 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 189 ZPO in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es dem Prozessbevollmächtigten tatsächlich zugegangen ist. Aufgrund dieser Zustellungsfiktion ist der Beschwerdeschriftsatz der Klägerin am 18. Februar 2003 fristgerecht beim BFH eingegangen.
Der Umstand, dass das Urteil bereits zuvor ―ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 11. Januar 2003― an die frühere Prozessbevollmächtigte der Klägerin zugestellt worden ist, ändert daran nichts. Eine Zustellung durfte der früheren Bevollmächtigten gegenüber nicht mehr vorgenommen werden, weil deren Prozessvollmacht durch das Faxschreiben der Klägerin vom 3. Dezember 2002 gegenüber dem FG widerrufen worden war (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 87 ZPO). Dieser Widerruf war unbeschadet der fehlenden Unterschrift wirksam, da an ihn keine höheren Anforderungen zu stellen sind als an die Vollmachterteilung (vgl. dazu § 62 Abs. 3 FGO; Kruse/Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 62 FGO Tz. 9 und 18). Er brachte die Vollmacht sonach mit unmittelbarer Wirkung zum Erlöschen. Das Urteil war aufgrund dessen an den neuen Bevollmächtigten zuzustellen (vgl. § 62 Abs. 3 Satz 5 FGO; Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 62 Rz. 85).
2. Die Beschwerde ist aber unbegründet.
a) Die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensfehler ―nicht ordnungsmäßige Ladung zur mündlichen Verhandlung (§ 53, § 91 Abs. 1 FGO) sowie Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne ordnungsmäßige Vertretung (§ 90 Abs. 1 FGO)― liegen nicht vor. Bis zum Vollmachtswiderruf am 3. Dezember 2002, also auch noch zu den Zeitpunkten der Ladung zur mündlichen Verhandlung und deren Durchführung am 21. November 2002, bestand das Vollmachtsverhältnis zu der früheren Bevollmächtigten der Klägerin fort. Bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Widerrufs vorgenommene Prozesshandlungen bleiben unberührt (vgl. Spindler in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 62 FGO Rz. 108, m.w.N.).
b) Bei diesen Wirkungen bleibt es auch trotz Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung über das Vermögen der Klägerin:
Die der Prozessbevollmächtigten erteilte Vollmacht war dadurch nicht gemäß § 117 InsO kraft Gesetzes erloschen, weil diese Vorschrift im Insolvenzeröffnungsverfahren auch dann nicht anwendbar ist, wenn ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird (vgl. Berscheid in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Aufl., § 118 Rz. 16). Ebenso wenig ist das Klageverfahren infolge der vom Insolvenzgericht angeordneten vorläufigen Insolvenzverwaltung gemäß § 240 Satz 2 ZPO unterbrochen worden. Denn das Insolvenzgericht hat der Klägerin kein allgemeines Verfügungsverbot (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1, § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO), sondern nur einen Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 InsO) auferlegt, weshalb die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Klägerin nicht, wie für eine Unterbrechung gemäß § 240 Satz 2 ZPO vorausgesetzt, nach § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergegangen ist (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 21. Juni 1999 II ZR 70/98, Neue Juristische Wochenschrift 1999, 2822).
Fundstellen
Haufe-Index 985335 |
BFH/NV 2003, 1434 |