Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfluss von Schuldzinsen durch Lastschrift auf einem Verrechnungskonto des Gläubigers
Leitsatz (NV)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob ein Abfluss von Schuldzinsen verneint werden kann, wenn eine GmbH für eine Grundstücks-GbR mit identischem Gesellschafterkreis Zahlungen leistet, dafür ein Verrechnungskonto führt, dessen Saldo verzinst wird, und die Zinsen vereinbarungsgemäß ebenfalls dem Verrechnungskonto belastet werden.
Normenkette
EStG § 11 Abs. 2 S. 1; FGO § 69 Abs. 2-3
Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist eine Grundstücksgemeinschaft in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt. Ihre drei Gesellschafter sind zugleich die einzigen Gesellschafter einer Steuerberatungs-GmbH. Sie sind in gleicher Weise an verschiedenen anderen Grundstücksgemeinschaften beteiligt. Die GmbH beglich fällige Zahlungsverpflichtungen der Antragstellerin. Gemäß einer Vereinbarung vom 2. Mai 1990 belastete sie dementsprechend ein bei ihr für die Antragstellerin geführtes Verrechnungskonto, dessen Schuldenstand mit 8 v.H. verzinst wurde. Auch die Zinsen wurden vereinbarungsgemäß dem Verrechnungskonto belastet.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) ließ die als Werbungskosten geltend gemachten Schuldzinsen unberücksichtigt, weil die Antragstellerin nicht in der Lage sei, ihren Verpflichtungen gegenüber der GmbH nachzukommen. Nach erfolglosem Einspruch stellte die Antragstellerin im anschließenden Klageverfahren einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, nachdem das FA einen entsprechenden bei ihm gestellten Antrag abgelehnt hatte.
Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag ab (Beschluss vom 14. November 2002 1 B 1210/02, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst ―DStRE― 2003, 466). Es hatte keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Feststellungsbescheide. Zwar hätten die Gesellschafter der Antragstellerin kraft gleichgerichteter Interessen die GmbH hinsichtlich der Darlehensgewährung und Verzinsung beherrscht. Sie hätten jedoch die auf dem Verrechnungskonto belasteten Zinsen tatsächlich nicht gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geleistet. Die Zinsen seien nur buchmäßig als Forderung festgehalten worden. Es habe weder eine Aufrechnung noch eine Schuldumschaffung, z.B. durch ein Saldoanerkenntnis im Rahmen eines Kontokorrentvertrages, stattgefunden. Die angefochtenen Bescheide seien auch nicht im Hinblick auf eine Aufrechnungslage rechtswidrig. Eine nur mögliche, aber nicht vollzogene Aufrechnung sei nicht zu berücksichtigen. Die GmbH hätte ―von einer Aufrechnung abgesehen― den Leistungserfolg der Zinszahlung nicht bewirken können, sondern dafür den üblichen Weg zivilprozessualer Rechtsverfolgung beschreiten müssen.
Mit der ―vom FG zugelassenen― Beschwerde trägt die Antragstellerin vor: Die Gesellschafter hätten die auf den Verrechnungskonten gebuchten Zinsen als Einnahmen aus Kapitalvermögen erklärt, obwohl keine Auszahlung an sie stattgefunden habe. Gleichwohl sei von einem Zufluss auszugehen. Entsprechendes gelte für den Abfluss, wenn eine Kapitalgesellschaft ihren Gesellschaftern verzinsliche Darlehen gewähre, auch dann, wenn den Gesellschaftern das Darlehen in GbR gewährt werde. Der Saldo des Verrechnungskontos sei jeweils durch Feststellung der Bilanz bestätigt und den Gesellschaftern in Form einer Novation weiter zur Verfügung gestellt worden. Im Übrigen hätten die Gesellschafter jederzeit die auf ihren persönlichen Verrechnungskonten vorhandenen Guthaben umbuchen und die Aufrechnung erklären können. Dies sei auch später tatsächlich geschehen, und zwar unmittelbar nachdem das FA den Abfluss der Zinsen verneint habe.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, den Beschluss des FG aufzuheben und die Vollziehung der angefochtenen Feststellungsbescheide im Umfang der steuerlichen Auswirkung der strittigen Zinsen auszusetzen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss des FG ist aufzuheben und die Vollziehung ist antragsgemäß auszusetzen.
1. Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit aussetzen. Ernstliche Zweifel liegen nach der ständigen Rechtsprechung vor, wenn neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 5. März 2001 IX B 90/00, BFHE 195, 205, BStBl II 2001, 405).
2. Im Streitfall liegen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Feststellungsbescheide sprechende Gründe vor.
a) Ausgaben sind gemäß § 11 Abs. 2 EStG in dem Kalenderjahr als Werbungskosten anzusetzen, in dem sie geleistet worden sind. Der Begriff "Leistung" ist dabei wirtschaftlich zu verstehen.
Geldbeträge fließen beim Steuerpflichtigen in der Regel dadurch ab, dass dieser sie entweder bar entrichtet oder sie von seinem Konto überweist.
Ein Abfluss von Schuldzinsen i.S. von § 11 Abs. 2 EStG kann aber auch durch eine gesonderte Vereinbarung zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger bewirkt werden, auf Grund derer der Zinsbetrag nunmehr aus einem anderen Rechtsgrund (in der Regel auf Grund eines Darlehens) geschuldet werden soll. In dieser Schuldumschaffung (Novation) kann eine Verfügung des Schuldners über den geschuldeten Betrag liegen, die einkommensteuerrechtlich so zu werten ist, als ob der Schuldner die Altschuld (Zinsen) durch tatsächliche Zahlung beglichen hätte (= Abfluss beim Schuldner) und der Gläubiger den vereinnahmten Betrag infolge des neu geschaffenen Verpflichtungsgrundes dem Schuldner sofort wieder ―als Darlehen― zur Verfügung gestellt hätte (vgl. BFH-Urteile vom 14. Februar 1984 VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480, unter 2. c der Gründe; vom 22. Juli 1997 VIII R 57/95, BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755, unter II. 2. a, bb der Gründe; vom 7. Dezember 1999 VIII R 8/98, BFH/NV 2000, 825). Auf Grund der Novation lässt sich der Schuldner unter Abkürzung des zuvor beschriebenen Leistungswegs die ihm in Höhe des Zinsbetrags zustehende Darlehenssumme nicht auszahlen, sondern verrechnet sie mit den von ihm geschuldeten Zinsen (BFH in BFH/NV 2000, 825).
Ob sich die Novation als Änderung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht darstellt, ist von der Rechtsprechung des BFH anhand des Beweisanzeichens beurteilt worden, ob die Schuldumschaffung im Interesse des Gläubigers liegt (vgl. BFH-Urteile in BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480, unter 2. c der Gründe, m.w.N.; vom 24. März 1993 X R 55/91, BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499, unter 3. c, aa der Gründe; in BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755).
Die Interessenlage der Vertragspartner ist als Indiz für die Änderung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht jedoch von geringerer Bedeutung, wenn beide Vertragsparteien ein annähernd gleichwertiges Interesse an der Novation haben (BFH in BFH/NV 2000, 825), oder wenn die Novation im Vorhinein vereinbart wird (vgl. BFH-Urteile in BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499, unter 3. c, bb der Gründe; in BFH/NV 2000, 825). In derartigen Fällen kommt es für die Frage, ob der Schuldner die wirtschaftliche Verfügungsmacht über den von ihm geschuldeten Betrag verloren hat, darauf an, ob die Novation Ausdruck der freien Dispositionsbefugnis der Vertragsbeteiligten über den geschuldeten Geldbetrag ist. Dies ist der Fall, wenn sich die Novation bei wirtschaftlicher Betrachtung lediglich als Abkürzung des Leistungswegs erweist; hierzu ist erforderlich, dass der Schuldner kreditwürdig ist, ihm deshalb der Gläubiger den für die Begleichung der Zinsschuld erforderlichen Geldbetrag als Darlehen auch ausbezahlen würde und der kreditwürdige Schuldner in der Lage wäre, den ihm ausbezahlten Darlehensbetrag zur umgehenden Begleichung der Zinsschuld zu verwenden (BFH in BFH/NV 2000, 825).
b) Nach Maßgabe der vorstehend aufgezeigten Grundsätze sprechen bei summarischer Prüfung gewichtige Gründe dafür, einen Abfluss der strittigen Schuldzinsen zu bejahen, weil sie der Antragstellerin durch Belastung auf dem Verrechnungskonto der GmbH als Darlehen zurückgewährt worden sind.
Die Lastschrift der Zinsen auf dem Verrechnungskonto war im Vorhinein eindeutig vereinbart. Überdies verfolgten die GmbH und die Antragstellerin auf Grund der Identität ihrer Gesellschafter ―wie das FG zutreffend erkannt hat― hinsichtlich der Darlehensgewährung und der Verzinsung übereinstimmende Interessen. Mithin erweist sich die Novation als Ausdruck der freien Dispositionsbefugnis der Vertragsbeteiligten über den geschuldeten Geldbetrag. Die Antragstellerin war aus der Sicht der GmbH als Darlehensnehmerin kreditwürdig. Zu Unrecht meint das FG, die GmbH habe den Leistungserfolg der Zinszahlung nicht ohne weiteres bewirken können, sondern dazu den Prozessweg beschreiten müssen. Gegen diese Erwägung des FG sprechen die gleichgerichteten Interessen der für die GmbH und die Antragstellerin identischen Gesellschaftergruppen. Wenn die GmbH, deren Willensbildung von ihren drei Gesellschaftern bestimmt wird, von der Antragstellerin die Zahlung der Zinsen verlangt, so werden dieselben Gesellschafter nicht im Namen der Antragstellerin den gegenläufigen Standpunkt einnehmen, sondern die Auszahlung veranlassen und die Antragstellerin erforderlichenfalls mit den dafür notwendigen finanziellen Mitteln ausstatten.
Fundstellen
Haufe-Index 962755 |
BFH/NV 2003, 1327 |