Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiladung einer Organgesellschaft zur Ermöglichung einer Folgeänderung
Leitsatz (NV)
1. Beantragt der Organträger die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen dahingehend, dass bei seiner Besteuerung die Umsätze und Leistungsbezüge der Organgesellschaft außer Ansatz bleiben, da die Voraussetzungen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft nicht erfüllt seien, kann die Organgesellschaft im finanzgerichtlichen Verfahren beigeladen werden.
2. Eine Beiladung kommt nur dann nicht in Betracht, wenn die Interessen der Organgesellschaft durch den Ausgang des anhängigen Rechtsstreits eindeutig nicht berührt sein können.
Normenkette
UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2; AO § 174 Abs. 5 Sätze 1-2, Abs. 4, § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; FGO § 60
Verfahrensgang
Tatbestand
Rz. 1
I. Der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), nunmehr in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG, wurden durch die gegen sie ergangenen Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 2004 bis 2007 (Streitjahre) als Organträgerin die Umsätze und Leistungsbezüge der Beigeladenen (GmbH) als Organgesellschaft zugerechnet. Sie beantragte beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre dahingehend, dass bei ihrer Besteuerung die Umsätze und Leistungsbezüge der GmbH außer Ansatz bleiben, da die Voraussetzungen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nicht erfüllt seien. Der Antrag und der Einspruch der Klägerin blieben erfolglos.
Rz. 2
Im Klageverfahren beantragte das FA am 29. Juli 2011 die Beiladung der GmbH, "um im Falle des Erfolgs der Klage die Umsatzbesteuerung hinsichtlich der Besteuerungsgrundlagen dieser Organgesellschaft über § 174 Abs. 4 Abgabenordnung [AO] sicherstellen zu können".
Rz. 3
Mit Beschluss vom 25. Oktober 2013 hat das Finanzgericht (FG) die GmbH zum Verfahren beigeladen. Gegen diesen Beiladungsbeschluss hat die Klägerin Beschwerde eingelegt.
Rz. 4
Sie beantragt sinngemäß, den Beiladungsbeschluss des FG vom 25. Oktober 2013 aufzuheben.
Rz. 5
Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
II. Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die Voraussetzungen einer Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO zu Recht angenommen.
Rz. 7
1. § 174 Abs. 5 Satz 2 AO enthält einen selbständigen Beiladungsgrund; danach ist eine Beiladung unabhängig davon zulässig, ob auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60 FGO erfüllt sind (vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 2010 IX B 176/09, BFH/NV 2010, 832; vom 15. Oktober 2010 III B 149/09, BFH/NV 2011, 404, m.w.N.).
Rz. 8
2. Für eine Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO ist lediglich erforderlich, dass ein Steuerbescheid wegen irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts möglicherweise aufzuheben oder zu ändern ist und hieraus rechtliche Folgerungen bei einem Dritten zu ziehen sind (BFH-Beschlüsse vom 17. Mai 1994 IV B 84/93, BFH/NV 1995, 87; vom 22. Oktober 2001 XI B 16/00, BFH/NV 2002, 308; vom 14. Dezember 2004 I B 137/04, BFH/NV 2005, 835). Denn die Möglichkeit zur Korrektur von Steuerbescheiden wegen irriger Beurteilung von bestimmten Sachverhalten besteht nicht nur gegenüber dem Steuerpflichtigen, aufgrund dessen Antrag der ursprünglich ergangene Steuerbescheid aufgehoben oder geändert wird, sondern gemäß § 174 Abs. 5 Satz 1 AO auch gegenüber Dritten. Um diese Korrekturmöglichkeit zu gewährleisten, kann das FA die Beiladung des Dritten in dem gegen den ursprünglich ergangenen Bescheid angestrengten Klageverfahren beantragen. Für diese Beiladung genügt es, dass die Möglichkeit einer Folgeänderung besteht (z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2005, 835; vom 24. November 2010 II B 48/10, BFH/NV 2011, 408). Voraussetzung einer solchen Beiladung ist insbesondere nicht, dass der Beizuladende bereits zum Einspruchsverfahren gemäß § 360 AO hinzugezogen war (vgl. BFH-Urteil vom 5. Mai 1993 X R 111/91, BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817, unter 3.a; von Groll in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 174 AO Rz 310).
Rz. 9
a) Im Streitfall besteht die Möglichkeit, dass die Klägerin mit ihrer Klage durchdringt, dass die Voraussetzungen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht erfüllt und damit ihr die Umsätze und Leistungsbezüge der GmbH nicht zuzurechnen seien. Entsprechende Folgerungen wären dann ggf. bei der Besteuerung der GmbH zu ziehen.
Rz. 10
b) Eine Beiladung des Dritten i.S. des § 174 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 174 Abs. 4 AO kann nur dann unterbleiben, wenn dessen Interessen durch den Ausgang des anhängigen Rechtsstreits eindeutig nicht berührt sein können (z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2010, 832; in BFH/NV 2011, 404). Mit Blick auf den erhobenen Verjährungseinwand käme eine Beiladung mithin nur dann nicht in Betracht, wenn dem Erlass auf § 174 Abs. 5 Satz 1 AO gestützter neuerlicher Umsatzsteuerbescheide für 2004 bis 2006 sowie eines erstmaligen Umsatzsteuerbescheides für 2007 gegenüber der GmbH zweifelsfrei der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegenstünde. Dies ist hier im Hinblick auf die Vorschriften von § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und § 174 Abs. 4 Satz 3 AO (vgl. hierzu BFH-Beschluss in BFH/NV 1995, 87) nicht der Fall. Zudem darf die Beiladung die Entscheidung über eine etwaige Verjährung des Steueranspruchs nicht vorwegnehmen; diese Frage ist nicht im Beiladungsverfahren, sondern ggf. in einem Folgeänderungsverfahren zu entscheiden (BFH-Beschlüsse vom 20. April 1989 V B 153/88, BFHE 156, 389, BStBl II 1989, 539; in BFH/NV 2010, 832; in BFH/NV 2011, 404).
Rz. 11
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. Von einer Kostenentscheidung ist lediglich dann abzusehen, wenn über einen Beiladungsbeschluss im Beschwerdeverfahren im Sinne des Rechtsmittelantrags entschieden wird. Für ein erfolgloses Beschwerdeverfahren ist indes eine Kostenentscheidung zu treffen (z.B. BFH-Beschluss vom 11. Juli 2012 IV B 1/11, BFH/NV 2012, 1929).
Fundstellen
Haufe-Index 6793483 |
BFH/NV 2014, 1012 |