Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensmängel; Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Sachaufklärungspflicht
Leitsatz (NV)
1. Das FG muss einen Beteiligten im Verfahren wegen Umsatzsteuer nicht vorab darauf hinweisen, dass die von dem Beteiligten beim FG eingereichte Umsatzsteuererklärung und eine nachfolgend bei hm durchgeführte Außenprüfung Gegenstand der mündlichen Verhandlung sein werden.
2. Wird als Verfahrensmangel geltend gemacht, die laut Protokoll der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge "entsprächen nicht ganz dem Verlauf der mündlichen Verhandlung und seien geschönt", weil das FG habe "rasch zum Ende kommen" wollen, muss dargelegt werden ,dass der Beschwerdeführer die Protokollierung seines weiter gehenden Beweisantrags verlangt, eine Protokollrüge erhoben oder beim FG eine Protokollberichtigung beantragt hat.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, §§ 94, 96 Abs. 2; ZPO § 160 Abs. 4, § 164
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, deren Unternehmensgegenstand im Streitjahr (1995) Herstellung, Mischung, An- und Verkauf sowie die Aufbereitung und Behandlung von Futtermitteln und Mühlengütern aller Art war, stellte ihren Betrieb am 31. Oktober 1995 ein. Die Gesellschafter der Klägerin beschlossen am 12. März 1997, die Klägerin aufzulösen. Der frühere Geschäftsführer der Klägerin, X, wurde abberufen und der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, Rechtsanwalt Y, zum Liquidator bestellt. Am 26. Februar 2003 wurde die Klägerin wegen Vermögenslosigkeit nach § 141a des Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit --FGG-- (RGBl I 1898, 189) aus dem Handelsregister gelöscht.
Da die Klägerin für das Streitjahr keine Umsatzsteuererklärung abgegeben hatte, schätzte das Finanzamt (FA) die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977).
Am 17. Oktober 1997 übersandte Y dem FA das Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 12. März 1997. Dieses lautet auszugsweise wie folgt: "Im Jahr 1995 konnte … nur noch ein Umsatz von DM 2 665 738,95 gem. BWA per 31.12.1995 erzielt werden." Daraufhin änderte der mittlerweile örtlich zuständig gewordene Beklagte und Beschwerdegegner (das FA) am 30. Juli 1999 den Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr nach § 164 Abs. 2 AO 1977 und setzte Umsatzsteuer in Höhe von 149 494 DM fest. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Im Rahmen des Klageverfahrens machte die Klägerin zunächst geltend, sie habe auch für 1995 eine Umsatzsteuererklärung abgegeben.
Schließlich reichte die Klägerin am 5. Mai 2003 beim Finanzgericht (FG) eine Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr ein, in der sie bei Umsätzen in Höhe von 2 087 540 DM einen Vorsteuerüberhang in Höhe von 13 924,20 DM geltend machte. Das FA folgte dem nach Durchführung einer Außenprüfung nicht.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem FG beantragte die Klägerin, der im Sitzungssaal anwesende X solle als Zeuge gehört werden "zu dem Gespräch hinsichtlich aufgetretener Probleme zur eingereichten Umsatzsteuererklärung 1995 mit dem Vorsteher des FA gegen Ende 1995 bzw. Anfang 1996. Ferner zu dem Umstand, dass es bei dem Gespräch um Fragestellungen zu den Sachkonten gegangen sei und daher die ehemalige Angestellte Frau Z zu dem Gespräch hinzugezogen wurde". Ferner beantragte die Klägerin, die im Sitzungssaal anwesende Frau A solle als Zeugin dazu gehört werden, "dass sie über das Gespräch mit dem Vorsteher in Kenntnis gesetzt worden sei". Das FG unterbrach daraufhin die Sitzung. Nach Fortsetzung der mündlichen Verhandlung stellte die Klägerin ihren Sachantrag; das FA beantragte Klageabweisung. Das FG hat die gestellten Anträge laut diktiert, die Beteiligten haben sie genehmigt, und die Vorsitzende hat die mündliche Verhandlung geschlossen, ohne dass die Klägerin die Nichteinvernahme der Zeugen gerügt hätte. Anschließend wurde der Beschluss verkündet, dass eine Entscheidung im Anschluss an die Sitzung verkündet wird.
Das FG wies die Klage ab. Unabhängig davon, ob die Klägerin vor dem Jahr 2003 eine Umsatzsteuererklärung eingereicht habe, sei das FA zur Schätzung befugt gewesen. Für eine Zusage des FA, durch die das FA an der Änderung des Umsatzsteuerbescheids vom 8. August 1997 gehindert gewesen sei, bestünden keine Anhaltspunkte. Die von der Klägerin gestellten Beweisanträge seien unerheblich. Zuletzt sei die Schätzung des FA auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin Verfahrensmängel. Die Klägerin habe "zum Beweis dafür, dass Anfang 1996 mit dem zuständigen Sachbearbeiter des FA eine einvernehmliche Vereinbarung getroffen wurde", die am Gerichtssaal präsenten Zeugen (X und A) benannt. Die im Protokoll des FG wiedergegebenen Beweisanträge "entsprächen nicht ganz dem Verlauf der mündlichen Verhandlung, sondern sie seien geschönt". Das FG habe jedoch "rasch zum Ende kommen" wollen und darum die Zeugen nicht gehört. Zwar habe die Vorsitzende erklärt, dass eine Entscheidung am Schluss der Sitzung ergehen solle, bei der Klägerin sei jedoch der Eindruck entstanden, ein Urteil wie vorliegend werde nicht ergehen, ohne dass dem von Y gestellten Anträgen nachgegangen werde. Diese seien entscheidungserheblich. Im Übrigen sei Y vom FG "überfahren" worden, weil das FG ihn hätte vorab darauf hinweisen müssen, dass es auch über die Umsatzsteuererklärung vom 5. Mai 2003 und die nachfolgende Außenprüfung verhandeln wolle.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Beschwerde ist zulässig, obwohl die Klägerin am 26. Februar 2003 im Handelsregister gelöscht worden ist. Sie hat hierdurch ihre Beteiligtenfähigkeit für das vorliegende Verfahren nicht verloren; da sie durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist, kann auch in der Sache entschieden werden (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. März 2000 III R 29/98, BFHE 192, 157, BStBl II 2000, 444, unter II.1.; vom 27. April 2000 I R 65/98, BFHE 191, 494, BStBl II 2000, 500, unter III.1.; vom 13. Februar 1992 V R 112/87, BFH/NV 1993, 59).
2. Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg. Die von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
a) Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die Nichtzulassung kann durch Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist danach die Revision nicht wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen.
aa) Rechtliches Gehör wird den Beteiligten dadurch gewährt, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem Sachverhalt zu äußern, der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden soll. Das rechtliche Gehör bezieht sich vor allem auf Tatsachen und Beweisergebnisse (§ 96 Abs. 2 FGO); darüber hinaus darf das FG seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt nur stützen, wenn die Beteiligten zuvor Gelegenheit hatten, dazu Stellung zu nehmen (§ 139 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO-- i.V.m. § 155 FGO; vgl. auch § 93 Abs. 1 FGO; BFH-Beschluss vom 15. Juni 2001 VII B 45/01, BFH/NV 2001, 1580). Eine schlüssige Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs, die auf einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte des vorinstanzlichen Urteils bezogen ist, erfordert, dass im Einzelnen dargelegt wird, wozu der Beschwerdeführer sich nicht hat äußern können und was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte (vgl. BFH-Beschlüsse vom 3. September 2002 I B 107/01, BFH/NV 2003, 68; vom 11. Februar 2003 V B 157/02, BFH/NV 2003, 929).
bb) Eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör liegt danach nicht vor. Die Klägerin ist im vorliegenden Verfahren (wegen Umsatzsteuer für das Streitjahr) zur mündlichen Verhandlung geladen worden. Dass in diesem Verfahren die von ihr selbst beim FG eingereichte Umsatzsteuererklärung vom 5. Mai 2003 und die nachfolgend bei ihr durchgeführte Außenprüfung entscheidungserheblich sein werden, ist offensichtlich. Schon deshalb greift ihr Vorwurf, das FG habe sie vorab darauf hinweisen müssen, es werde auch dazu mündlich verhandeln, nicht durch.
cc) Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang meint, das FG hätte die Erledigung der Hauptsache aussprechen müssen, weil die ursprünglichen Schätzungsbescheide mit der Einreichung der Umsatzsteuererklärung als erledigt anzusehen seien, greift auch dieser Einwand nicht durch. Die Hauptsache ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur dann erledigt, wenn das gesamte im Klageantrag zum Ausdruck kommende Klagebegehren objektiv gegenstandslos geworden ist (vgl. BFH-Urteile vom 20. Oktober 2004 II R 74/00, BFHE 207, 355, BStBl II 2005, 99, unter II.1.; vom 22. Mai 2001 VII R 71/99, BFHE 195, 19, BStBl II 2001, 683, unter II.2., jeweils m.w.N.). Davon ist im Streitfall nicht auszugehen; denn die Klägerin hat an ihren Sachanträgen, den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben, festgehalten.
c) Das FG hat auch seine Sachaufklärungspflicht nicht verletzt.
aa) Wird als Verfahrensmangel Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) durch Nichterhebung von angebotenen Beweisen gerügt, müssen zur ausreichenden Bezeichnung des Verfahrensmangels insbesondere die angeblich übergangenen Beweismittel einschließlich der Beweisthemen sowie die genaue Stelle angegeben werden, an der die Beweise angetreten worden sind (vgl. BFH-Beschluss vom 27. Oktober 2004 XI B 182/02, BFH/NV 2005, 564). Wird geltend gemacht, das FG habe es zu Unrecht unterlassen, als Zeugen benannte Personen über die Erteilung einer Zusage des FA zu vernehmen, so ist u.a. darzulegen, dass das Urteil des FG auf der Nichteinvernahme der Zeugen beruhen könnte. Überdies muss dargelegt werden, dass die Nichterhebung des Beweises rechtzeitig gerügt worden ist oder auf Grund des Verhaltens des FG nicht mehr rechtzeitig gerügt werden konnte; bei der Übergehung eines Beweisantrags handelt es sich nämlich um einen verzichtbaren Verfahrensmangel (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 4. Oktober 2000 VIII B 32/00, BFH/NV 2001, 202, und vom 2. Juli 2001 III B 74/00, BFH/NV 2001, 1593).
bb) Soweit die Klägerin rügt, das FG habe im Gerichtssaal anwesende Zeugen (X und A) nicht dazu vernommen, dass Anfang 1996 "mit dem zuständigen Sachbearbeiter des FA eine einvernehmliche Vereinbarung getroffen wurde", hat sie nicht dargelegt, warum sie nicht von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt und das Unterlassen der Beweiserhebung gerügt hat. Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 16. Juni 2004 hat die Klägerin diesen Beweisantrag nicht gestellt, sondern nur beantragt, X als Zeuge "zu dem Gespräch hinsichtlich aufgetretener Probleme zur eingereichten Umsatzsteuererklärung 1995 mit dem Vorsteher des FA gegen Ende 1995 bzw. Anfang 1996" zu vernehmen und A als Zeugin dazu, "dass sie über das Gespräch mit dem Vorsteher in Kenntnis gesetzt worden sei", zu hören.
cc) Soweit die Klägerin geltend macht, die laut Protokoll "gestellten Beweisanträge entsprächen nicht ganz dem Verlauf der mündlichen Verhandlung und seien geschönt", weil das FG habe "rasch zum Ende kommen" wollen, hat die Klägerin nicht --was erforderlich ist (vgl. BFH-Beschluss vom 5. September 2001 I B 178/00, BFH/NV 2002, 204, m.w.N.)-- dargelegt, sie habe die Protokollierung ihres weiteren Beweisantrags verlangt, eine Protokollrüge erhoben oder beim FG eine Protokollberichtigung (§ 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 4, § 164 ZPO) beantragt.
dd) Zuletzt kann das Urteil auf dem Übergehen des angeblich gestellten Beweisantrags nicht beruhen. Selbst wenn man --trotz des abweichenden Inhalts des Sitzungsprotokolls-- zugunsten der Klägerin nach ihrem jetzigen Vortrag unterstellt, sie habe den Beweisantrag gestellt und die benannten Zeugen hätten bekundet, "Anfang 1996 sei mit dem zuständigen Sachbearbeiter des FA eine einvernehmliche Vereinbarung getroffen worden", wäre das FA an diese "Vereinbarung" schon deshalb nicht gebunden gewesen, weil der Sachbearbeiter für die Erteilung einer solchen Zusage funktionell nicht zuständig ist (vgl. BFH-Urteile vom 31. März 2004 I R 71/03, BFHE 206, 42, BStBl II 2004, 742; vom 22. April 1998 X R 4/95, BFH/NV 1998, 1221).
ee) Hinsichtlich der nach dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2004 gestellten Beweisanträge hat die Klägerin ihr Rügerecht nach § 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO verloren, weil sie das Übergehen dieser (anderen) Beweisanträge durch das FG nicht gerügt hat. Die Klägerin musste aufgrund des Sitzungsverlaufs damit rechnen, dass das FG die Beweisanträge als unerheblich ansieht (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 31. Januar 1989 VII B 162/88, BFHE 155, 498, BStBl II 1989, 372; vom 5. Februar 2002 IX B 175/01, BFH/NV 2002, 793; vom 29. Juni 2004 III B 98/03, nicht veröffentlicht, juris): Dem Protokoll ist zu entnehmen, dass das Gericht nach Erörterung der Sach- und Rechtslage und Protokollierung der unter II.2.c bb genannten Beweisanträge der Klägerin die Sitzung unterbrochen hat. Nach Beratung über die von der Klägerin gestellten Beweisanträge hat es die Sitzung fortgesetzt, erneut zur Sache verhandelt, die Sachanträge protokolliert, die mündliche Verhandlung geschlossen und den Beschluss verkündet, eine Entscheidung werde am Sitzungstag im Anschluss an die Sitzung verkündet, ohne dass die Klägerin das Übergehen der Beweisanträge gerügt hätte.
Fundstellen