Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Vertretungszwang im Prozesskostenhilfeverfahren
Leitsatz (NV)
Auch nach der Neuregelung des Vertretungszwangs in § 62 Abs. 4 FGO müssen sich die Beteiligten bei Stellung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen.
Normenkette
FGO § 40 Abs. 2, § 62 Abs. 4, § 115 Abs. 2 Nr. 3; ZPO § 114
Tatbestand
Rz. 1
I. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage des Antragstellers wegen Einkommensteuer 2003 wegen Versäumung der Klagefrist und mangels Klagebefugnis als unzulässig ab.
Rz. 2
Innerhalb der Beschwerdefrist beantragte der nicht vertretene Antragsteller Prozesskostenhilfe (PKH) für eine noch einzulegende Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision im FG-Urteil. Er macht geltend, das FG habe zu Unrecht die Klage als unzulässig abgewiesen. Entgegen der Auffassung des FG sei er durch den Einkommensteuerbescheid 2003 beschwert, weil ihm die Feststellung eines Verlustes für 2003 durch das Finanzamt (FA) verweigert werde. Auch habe er die Klagefrist nicht versäumt, weil ihm die Einspruchsentscheidung verspätet zugegangen sei. Beweispflichtig für den Zugang der Einspruchsentscheidung sei das FA; das FG habe die gesetzliche Beweislast umgekehrt. Schließlich habe das FG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Rz. 3
Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 142 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 117 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--) hat der Antragsteller innerhalb der Beschwerdefrist vorgelegt.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
II. Der Antrag auf PKH wird abgelehnt.
Rz. 5
1. Der Antrag auf Gewährung von PKH ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsteller vorliegend nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird.
Rz. 6
a) Zwar müssen sich die Beteiligten nach § 62 Abs. 4 FGO vor dem Bundesfinanzhof (BFH) grundsätzlich durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder einen anderen Bevollmächtigten i.S. des § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO vertreten lassen. Das gilt nach Abs. 4 Satz 2 der Regelung auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem BFH eingeleitet wird. Darunter fällt aber nicht die Stellung des Antrags auf Bewilligung von PKH (BFH-Beschlüsse vom 26. Januar 2009 II S 19/08 (PKH), nicht veröffentlicht --n.v.--; vom 20. Februar 2009 V S 18/08 (PKH), n.v.; vom 8. Mai 2009 IV S 3/09 (PKH), Zeitschrift für Steuern und Recht (ZSteu) 2009, R679; vom 27. Juli 2010 III S 28/09 (PKH), n.v.; im Ergebnis gl.A. Spindler in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 62 FGO Rz 101; ebenso ständige Rechtsprechung zu der bis zum 30. Juni 2008 anzuwendenden Regelung in § 62a FGO, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 30. Oktober 2003 VI S 4/03 (PKH), BFH/NV 2004, 356; Gräber/ Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 142 Rz 63, m.w.N.).
Rz. 7
b) Soweit für § 62 Abs. 4 FGO eine andere Auffassung vertreten wird (Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 62 FGO Rz 44; vgl. auch Spindler, Der Betrieb 2008, 1283, 1286 f.) folgt dem der Senat nicht. Wie der IV. Senat des BFH im Beschluss in ZSteu 2009, R679 zutreffend ausführt, erfordert der Wortlaut von § 62 Abs. 4 FGO wegen der Besonderheiten des Verfahrens zur Bewilligung von PKH eine solche Auslegung nicht. Sie wird auch dem Zweck der Regelung des PKH-Verfahrens nicht gerecht, dem Unbemittelten einen Rechtsschutz zu sichern, der demjenigen eines Bemittelten wenigstens annähernd entspricht (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 68. Aufl., Übers § 114 Rz 3, m.w.N.). Die Gegenauffassung ist deshalb verfassungsrechtlich bedenklich (Spindler in HHSp, § 62 FGO Rz 101). Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber die bisherige Rechtslage ausdrücklich nicht ändern wollte (BTDrucks 16/3655, S. 99 f.).
Rz. 8
2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Rz. 9
a) Gemäß § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 ZPO wird einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. In dem Antrag ist das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen (§ 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dazu muss in einem Rechtsmittelverfahren ein nicht rechtskundig vertretener Antragsteller zumindest erkennen lassen, in welchen Punkten und in welchem Umfang das angefochtene Urteil angegriffen werden soll (Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 142 Rz 69, m.w.N.).
Rz. 10
b) Die vom Antragsteller mit der Nichtzulassungsbeschwerde beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine Aussicht auf Erfolg. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gegeben, wenn das FG zu Unrecht durch Prozess- anstatt durch Sachurteil entschieden und dadurch auch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 17. Januar 2002 VI B 114/01, BFHE 198, 1, BStBl II 2002, 306, und vom 16. April 2007 VII B 98/04, BFH/NV 2007, 1345). Ein solcher Verfahrensmangel ist im Streitfall jedoch nicht festzustellen.
Rz. 11
Nach § 40 Abs. 2 FGO ist eine Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend machen kann, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsaktes oder einer anderen Leistung in seinen Rechten verletzt zu sein. Hieran mangelt es dem Antragsteller. Durch den auf Null Euro lautenden Einkommensteuerbescheid 2003 ist der Antragsteller nicht beschwert. Über einen Verlustvortrag ist nicht im Rahmen eines Einkommensteuerbescheids, sondern (seit 1990) in einem gesonderten Feststellungsverfahren zu befinden (Schmidt/Heinicke, EStG, 29. Aufl., § 10d Rz 40).
Rz. 12
Auf die Frage, ob der Antragsteller tatsächlich die Klagefrist versäumt hat, kommt es deshalb im Streitfall nicht an.
Rz. 13
3. Der Beschluss ergeht gerichtsgebührenfrei.
Fundstellen
Haufe-Index 2523748 |
BFH/NV 2011, 49 |