Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Verletzung der Sachaufklärungspflicht, wenn FG den Feststellungen eines Strafbefehls folgt
Leitsatz (NV)
- Das FG verletzt seine Pflicht zur Sachaufklärung und der Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht, wenn es unsubstantiierten Beweisangeboten nicht folgt und der fachkundig vertretene Kläger die Nichterhebung von Beweisen in der mündlichen Verhandlung nicht rügt.
- Das FG kann sich die Feststellungen eines in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführten, rechtskräftigen Strafurteils oder Strafbefehls in tatsächlicher Hinsicht zu eigen machen, wenn die Beteiligten gegen die strafgerichtlichen Feststellungen substantiierte Einwendungen nicht vorgetragen haben (Bestätigung der Rspr. des Senats, vgl. Urteil vom 10.1.1978 VII R 106/74, BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311).
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 96 Abs. 2, § 76 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Münster (Beschluss vom 09.04.2003; Aktenzeichen 10 K 5536/02 E,L) |
Tatbestand
I. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) gegen einen wegen Beihilfe zur Lohnsteuerhinterziehung des Inhabers eines …betriebes (G) auf § 71 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Haftungsbescheid für nicht entrichtete Lohnsteuer sowie Solidaritätszuschlag hierzu abgewiesen. Im Urteil hat sich das FG die Feststellungen des gegen den Kläger ergangenen, rechtskräftigen Strafbefehls zum objektiven Tatbestand der Beihilfe des Klägers zur Steuerhinterziehung des G zu eigen gemacht. Der Kläger habe veranlasst, dass Schecks für Subunternehmer dem Bankkonto seiner Ehefrau gutgeschrieben wurden und dem G damit ermöglicht, Umsätze und für Subunternehmer bestimmte Lohnzahlungen zu verschleiern. Auch der Würdigung im Strafbefehl, dass der Kläger mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe, hat sich das FG nach eigener Bewertung der Indizien und des Verhaltens des Klägers angeschlossen. Substantiierte Einwendungen habe der Kläger gegen den Strafbefehl nicht geltend gemacht. Der erstmals im Klageverfahren ohne nähere Begründung vorgetragene Einwand, er habe der Einbuchung der Schecks auf dem Konto seiner Ehefrau nur wegen der Schwierigkeiten des G mit dessen Bank zugestimmt, zwinge nicht zu einer erneuten Überprüfung des als vorsätzlich gewerteten Verhaltens des Klägers.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision, mit der der Kläger mangelnde Sachaufklärung (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 76 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―), die Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO i.V.m. Art. 103 des Grundgesetzes ―GG―) und eine Divergenz zu dem Beschluss des erkennenden Senats vom 1. Februar 2001 VII B 234/00 (BFH/NV 2001, 931; § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) rügt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Verfahrensmängel unzureichender Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) und die Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO) sind ebenso wie die Behauptung der Abweichung des FG-Urteils von der Rechtsprechung des Senats (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO) teilweise nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Weise dargelegt worden oder liegen nicht vor.
1. Die Rüge, das FG habe seine Aufklärungspflicht verletzt, weil es auch ohne entsprechenden Beweisantritt den Sachverhalt zur Annahme des bedingten Vorsatzes des Klägers nicht weiter aufgeklärt habe, sondern dem Strafbefehl gefolgt sei, ist nicht schlüssig erhoben. Hierzu hätte der Kläger ―worauf der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) zutreffend hinweist― vortragen müssen, welche Fragen im Einzelnen aufklärungsbedürftig waren, welche Beweismittel zu welchem Beweisthema das FG ungenutzt ließ, warum der Beschwerdeführer nicht von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat und warum sich dem FG die Notwendigkeit der Beweiserhebung trotzdem hätte aufdrängen müssen, inwieweit die als unterlassen gerügte Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung des FG hätte führen können und schließlich, warum der im Termin zur mündlichen Verhandlung fachkundig vertretene Kläger die fehlende Sachaufklärung nicht in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt hat, bzw. aus welchem Grunde ihm dieses nicht möglich oder nicht zumutbar war (st. Rechtsprechung, vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 6. Juni 2001 XI B 134/99, BFH/NV 2001, 1140, und vom 5. Juli 2000 VIII B 81/99, BFH/NV 2000, 1492, jeweils m.w.N.).
Der Vortrag des Klägers in der Beschwerdebegründung erfüllt diese Anforderungen nicht. Er stützt seine Rüge auf das ―angeblich verletzte― Gebot der Sachaufklärung und trägt vor, das FG habe es versäumt, Beweis zu erheben über die Frage, was die Zeugen dem Kläger über die Gründe der Scheckeinlösung für den G mitgeteilt haben, bzw., was der Kläger hierzu gesagt habe, ohne jedoch die als Zeugen zu vernehmenden Personen, nämlich die Ehefrau des Klägers, den Inhaber des …betriebes G und den vermittelnden Strohmann als Zeugen mit ladungsfähiger Anschrift und Beweisthema genau zu bezeichnen. Der Einwand des Klägers, dass bei Nichtvernehmung dieser Zeugen eine Rügepflicht in der mündlichen Verhandlung nicht bestanden habe, geht fehl. Die Nichterhebung einzelner Beweise gehört zu den gemäß § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung verzichtbaren Verfahrensmängeln, bei denen das Unterlassen der rechtzeitigen Rüge zum endgültigen Verlust des Rügerechts führt (Senatsbeschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597, m.w.N.).
2. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) begründet der Kläger damit, dass das FG sich mit den tatsächlichen Ausführungen der Beteiligten nicht (genügend) auseinander gesetzt, mithin seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) und damit dem Kläger insoweit das rechtliche Gehör versagt habe (§ 96 Abs. 2 FGO). Der Kläger hat aber weder anhand seines erstinstanzlichen Vorbringens, noch anhand der Entscheidung des FG schlüssig dargelegt, dass sein konkretes Vorbringen vom FG nicht zur Kenntnis genommen worden ist. Vielmehr führt er unter Bezugnahme auf Seite 6 der angefochtenen Entscheidung aus, das FG habe keine Veranlassung gesehen, sich mit dem Vorbringen des Klägers näher zu beschäftigen, dass er die Schecks des G nur wegen dessen Schwierigkeiten mit der Bank über das Konto seiner Ehefrau eingelöst und von einer Hinterziehungsabsicht des G nichts gewusst habe. Dieser Vortrag spricht dafür, dass das FG den Vortrag des Klägers durchaus zur Kenntnis genommen und ―wie aus den Gründen auf Seite 6 des Urteils auch ersichtlich― jedenfalls beachtet, jedoch anders als es sich der Kläger vorstellte, bewertet hat.
3. Die behauptete Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO) ist bereits nicht ordnungsgemäß bezeichnet. Zur Darlegung der Divergenz müssen in der Beschwerdebegründung abstrakte Rechtssätze des vorinstanziellen Urteils und der Divergenzentscheidung so genau bezeichnet sein, dass eine Abweichung erkennbar wird (st. Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 25. Juli 2000 XI B 122/99, BFH/NV 2000, 1495).
Daran fehlt es im Streitfall. Ungeachtet dieses Mangels liegt die behauptete Abweichung des FG-Urteils von den Senatsentscheidungen in BFH/NV 2001, 931 und vom 10. Januar 1978 VII R 106/74 (BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311) auch nicht vor. Der Senat hat in diesen Entscheidungen ausgeführt, das FG könne sich in tatsächlicher Hinsicht die Feststellungen eines in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführten, rechtskräftigen Strafurteils bzw. Strafbefehls zu eigen machen, wenn die Beteiligten gegen die strafgerichtlichen Feststellungen keine substantiierten Einwendungen vorgetragen haben. Von diesem Rechtssatz geht auch das angefochtene Urteil des FG aus, indem es die Feststellungen des Strafbefehls zur Verwirklichung des objektiven Tatbestandes der Beihilfe zur Steuerhinterziehung des G übernommen hat, während es den subjektiven Tatbestand, nämlich die zumindest mit bedingtem Vorsatz erfolgte Unterstützung der Tat des G aufgrund seiner eigenen Bewertung des klägerischen Verhaltens bei der Tatverwirklichung bejaht hat. Anders als der Kläger selbst sieht das FG die gegen das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale der Beihilfe zur Steuerhinterziehung des G vorgetragenen Einwände jedoch nicht als gewichtig genug an, um das im Strafbefehl als Vorsatz gewertete Verhalten des Klägers erneut zu überprüfen.
4. Unbeachtlich ist das Beschwerdevorbringen insoweit, als der Kläger mit seinen Verfahrensrügen Einwendungen gegen die sachliche Richtigkeit der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Rechtsauffassung des FG erhebt, da derartige Einwände dem materiellen Recht zuzuordnen sind und keinen Verfahrensmangel begründen. Desgleichen kann der Kläger mit Einwendungen gegen die Beweiswürdigung des FG, das sich nach eigener Bewertung des Verhaltens des Klägers den Feststellungen des Strafbefehls zum vorsätzlichen Handeln angeschlossen hat, im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht gehört werden, weil auch die Beweiswürdigung revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen ist und keinen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO darstellt (BFH-Beschluss vom 28. September 2001 V B 77/00, BFH/NV 2002, 359).
Fundstellen