Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewährung rechtlichen Gehörs; Verletzung der Amtsermittlungspflicht; Nichtberücksichtigung des Inhalts der Akten
Leitsatz (NV)
- Gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs wird verstoßen, wenn das Gericht einen nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte.
- Zur ordnungsgemäßen Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht bedarf es der Darlegung, welche Fragen tatsächlicher Art aufklärungsbedürftig waren, welche Beweismittel zu welchem Beweisthema das Finanzgericht ungenutzt ließ, warum der Beschwerdeführer nicht von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, warum sich die Notwendigkeit der Beweiserhebung jedoch dem Finanzgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen und inwieweit die als unterlassen gerügte Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.
- Die schlüssige Rüge der Nichtberücksichtigung des Inhalts der Akten erfordert, unter genauer Angabe der jeweiligen Schriftstücke und Seitenzahlen aus den Akten sich ergebende wesentliche Tatumstände zu benennen, die das FG nicht berücksichtigt hat und darzulegen, dass die Entscheidung unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des FG auf der Nichtberücksichtigung dieser Aktenteile beruhen kann.
Normenkette
FGO §§ 76, 96, 115 Abs. 2 Nr. 3
Verfahrensgang
Sächsisches FG (Urteil vom 18.12.2002; Aktenzeichen 7 K 1899/00) |
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―) wird den Beteiligten dadurch gewährt, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem Sachverhalt zu äußern, der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden soll. Das rechtliche Gehör bezieht sich vor allem auf Tatsachen und Beweisergebnisse (vgl. § 96 Abs. 2 FGO); darüber hinaus darf das Finanzgericht (FG) seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt nur stützen, wenn die Beteiligten zuvor Gelegenheit hatten, dazu Stellung zu nehmen (§ 139 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ―ZPO― i.V.m. § 155 FGO; § 93 Abs. 1 FGO; Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 15. Juni 2001 VII B 45/01, BFH/NV 2001, 1580; vom 28. Oktober 2002 III B 142/01, nicht amtlich veröffentlicht, juris StRE200251063, und vom 27. Oktober 2003 III B 151/02, BFH/NV 2004, 354).
Ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs kommt in Betracht, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 139 Abs. 2 ZPO) und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (BFH-Beschluss vom 19. Juli 1996 VIII B 37/95, BFH/NV 1997, 124).
Das ist z.B. der Fall, wenn der Gesichtspunkt, auf den das FG sein Urteil gestützt hat, im bisherigen Verlauf des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Verfahrens überhaupt nicht angesprochen worden ist, so dass die Beteiligten sich dazu nicht geäußert haben und nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens auch keine Veranlassung hatten, sich zu äußern (BFH-Beschluss vom 12. Juli 2002 XI B 168/01, BFH/NV 2002, 1484).
Ein Verfahrensbeteiligter darf auch nicht mit einer Tatsachenwürdigung überrascht werden, die von keiner Seite als möglich vorausgesehen werden konnte (BFH in BFH/NV 1997, 124, m.w.N.). Jedoch ist das Gericht unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs nicht verpflichtet, seine Rechtsauffassung und seine tatsächlichen Schlussfolgerungen vorab zu erörtern, zumal sich diese regelmäßig erst nach der mündlichen Verhandlung aufgrund der abschließenden Beratung ergeben werden (BFH-Beschluss vom 23. Juli 2001 III B 107/00, BFH/NV 2002, 36).
Mit der Begründung fehlerhafter Tatsachenwürdigung und Beweiswürdigung durch das FG kann die Zulassung wegen eines Verfahrensmangels nicht erreicht werden (BFH-Beschluss vom 28. September 2001 V B 77/00, BFH/NV 2002, 359).
2. Im Streitfall hat das FG den Beteiligten ausreichend Gelegenheit gegeben, sich zu dem Sachverhalt zu äußern, den es seiner gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt hat. Entscheidend war für das FG die Frage, ob Zinsverzichte bereits vereinbart waren. Das FG ist auf der Grundlage verschiedener Indizien und Anhaltspunkte zu dem Ergebnis gekommen, dass am Vorliegen solcher Verzichte Zweifel bestünden und deshalb nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen seien. Die Frage der Zinsverzichte war Gegenstand der mündlichen Verhandlung; die Verträge vom 5. Januar 1995 sind ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ausdrücklich angesprochen worden. Dass das Gericht die einzelnen Sachverhaltselemente anders gewürdigt hat, als es dem Vorbringen der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) entsprach und entspricht, führt nicht zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs. Welchen Umstand das Gericht letztendlich für bedeutsam hielt, ist ebenfalls keine Frage der Verletzung des rechtlichen Gehörs; es genügt insoweit, dass die Kläger die Möglichkeit hatten, zu der Frage der Wirksamkeit der Zusatzvereinbarungen Stellung zu nehmen. Das FG war berechtigt, die vorliegenden Beweise und Beweisanzeichen umfassend zu würdigen und dabei nicht nur auf die Echtheit der Unterschriften abzustellen, sondern auch die Frage der nachträglichen Anfertigung und Datierung der Verträge zu prüfen. Das FG hat seine Beweiswürdigung nicht allein auf eine Nichterwähnung und Nicht-Vorlage der Zinsverzichte im Verwaltungsverfahren gestützt, sondern auch auf inhaltliche Widersprüche und andere Ungereimtheiten (vgl. FG-Urteil S. 10/11).
3. Zur ordnungsgemäßen Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 76 FGO) bedarf es der Darlegung, welche Fragen tatsächlicher Art aufklärungsbedürftig waren, welche Beweismittel zu welchem Beweisthema das FG ungenutzt ließ, warum der Beschwerdeführer nicht von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, warum sich die Notwendigkeit der Beweiserhebung jedoch dem FG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen und inwieweit die als unterlassen gerügte Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (BFH-Beschluss vom 11. Juli 2003 XI B 68/01, BFH/NV 2003, 1567).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Unabhängig von der ausreichenden Darlegung eines entsprechenden Mangels hat das FG den Sachverhalt in ausreichendem Umfang aufgeklärt. Das FG hat sich die Vertrags-Unterlagen im Original vorlegen lassen. Ob den Klägern bewusst war, dass das Gericht die auf der Ergänzungsvereinbarung vom 5. Januar 1995 enthaltenen Zeitangaben bezweifeln würde, ist für die Frage des notwendigen Umfangs der Sachaufklärung ohne Bedeutung.
4. Das Vorbringen der Kläger betrifft der Sache nach auch die Nichtberücksichtigung des Inhalts der Akten (§§ 76, 96 FGO). Die schlüssige Rüge dieses Verfahrensmangels erfordert es, unter genauer Angabe der jeweiligen Schriftstücke und Seitenzahlen aus den Akten sich ergebende wesentliche Tatumstände zu benennen, die das FG nicht berücksichtigt hat und darzulegen, dass die Entscheidung unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des FG auf der Nichtberücksichtigung dieser Aktenteile beruhen kann (BFH-Beschluss vom 20. Mai 2003 VIII B 212/02, nicht amtlich veröffentlicht, juris StRE200350912).
Auch diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Die Kläger sind auf diesen Mangel nicht ausdrücklich eingegangen und haben demzufolge auch die gebotenen Darlegungen unterlassen.
5. Die Entscheidung ergeht im Übrigen gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ohne weitere Begründung.
Fundstellen