Entscheidungsstichwort (Thema)
Inhaltliche Anforderungen an ein Wiedereinsetzungsgesuch
Leitsatz (NV)
1. Für eine schuldlose Fristversäumnis reicht es nicht aus, daß die Akten dem Prozeßbevollmächtigten von der zuständigen Sachbearbeiterin innerhalb der Frist vorgelegt werden; es muß eine Kontrolle hinzukommen, daß die zur Fristwahrung notwendigen Maßnahmen auch tatsächlich ergriffen wurden.
2. Hierfür ist die Führung eines Fristenkontrollbuchs oder einer vergleichbaren Einrichtung unerläßlich.
3. Innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist (§ 56 Abs. 2 FGO) muß vorgetragen werden, daß die zur Fristwahrung notwendigen Maßnahmen auch tatsächlich ergriffen wurden und ein Fristenkontrollbuch geführt wird.
4. Spätestens im weiteren Verfahren über den Antrag muß zur Glaubhaftmachung ein Auszug aus dem Fristenkontrollbuch vorgelegt werden.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) legten gegen das ihnen am 16. April 1986 zugestellte Urteil des Finanzgerichts (FG) am 9. Mai 1986 Revision ein. Auf die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist und die Möglichkeit eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) am 4. Juli 1986 hingewiesen, reichten sie am 7. Juli 1986 ihre Revisionsbegründung ein und beantragten zugleich, ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages führten sie am 10. Juli 1986 aus, die im Büro ihres Prozeßbevollmächtigten zuständige Sachbearbeiterin sei in der Zeit vom 11. bis 16. Juni 1986 erkrankt gewesen. Die ihr zugeordnete Hilfskraft sei angewiesen worden, Fristverlängerung von einem Monat in allen Verfahren zu beantragen, in denen eine Frist zu wahren gewesen sei. Die betreffenden Vorgänge seien gesondert in einer Aufbewahrungsvorrichtung auf dem Schreibtisch abgelegt worden. Allein im vorliegenden Fall habe die Hilfskraft nicht erkennen können, daß im vorliegenden Fall ein Fristverlängerungsantrag hätte gestellt werden müssen. Sodann sei die Revisionsbegründung in der Annahme gefertigt worden, daß die Revisionsbegründungsfrist zwischenzeitlich verlängert worden sei.
Die zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs vorgetragenen Tatsachen sind nicht glaubhaft gemacht worden. Am 3. November 1986 trugen die Kläger ergänzend vor, die gesonderte Ablage sei kein Ersatz für ein Fristenkontrollbuch. Die Ablage erfolge nach Einsichtnahme in das Fristenkontrollbuch.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist unzulässig.
Die Revision ist nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO bei dem FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Im vorliegenden Fall wurde das angefochtene Urteil den Klägern am 16. April 1986 zugestellt. Die Revisionsbegründungsfrist lief demnach am Montag, dem 16. Juni 1986, ab. Die Revisionsbegründung der Kläger ging jedoch verspätet erst am 7. Juli 1986 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein, ohne daß die Kläger zuvor eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist beantragt hätten.
Die Kläger können keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist beanspruchen. Wiedereinsetzung ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Die Wiedereinsetzung setzt in formeller Hinsicht voraus, daß innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll; glaubhaft gemacht werden können die geltend gemachten Tatsachen noch im Verfahren über den Antrag (§ 56 Abs. 2 FGO und BFH-Beschluß vom 20. Juli 1983 II R 211/81, BFHE 139, 15, BStBl II 1983, 681).
Das Wiedereinsetzungsbegehren der Kläger scheitert bereits an den vorstehenden formellen Voraussetzungen. Die Kläger haben nicht innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist dargelegt, warum nach ihrer Auffassung ihr Prozeßbevollmächtigter die Revisionsbegründungsfrist ohne ein Verschulden, das die Kläger sich nach § 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zurechnen lassen müssen, versäumte. Außerdem haben sie ihren Vortrag nicht glaubhaft gemacht.
Für eine schuldlose Fristversäumnis reicht es nicht aus, daß die Akten der zuständigen Sachbearbeiterin innerhalb der Frist vorgelegt wurden; es mußte eine Kontrolle hinzukommen, daß die zur Fristwahrung notwendigen Maßnahmen auch tatsächlich ergriffen wurden (Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 9. Juli 1985 VI ZB 10/85, Versicherungsrecht 1985, 1184). Hierfür ist es unerläßlich, daß ein Fristenkontrollbuch (Fristenkalender) oder eine vergleichbare Einrichtung geführt wird (BFH-Beschluß vom 18. Januar 1984 I R 196/83, BFHE 140, 146, BStBl II 1984, 441).
Daß in dem ihrem Prozeßbevollmächtigten zur Verfügung stehenden Büro ein Fristenkontrollbuch vorhanden gewesen sei, haben die Kläger - trotz des Hinweises auf § 56 FGO vom 4. Juli 1986 - nicht innerhalb der Zweiwochenfrist, sondern erst am 3. November 1986 dargetan. Auch jetzt läßt sich ihrem Vortrag nicht entnehmen, wie der vorliegende Fall in dem angeblichen Fristenkontrollbuch behandelt wurde und warum trotz des behaupteten Vorhandenseins eines Fristenkontrollbuchs die Revisionsbegründungsfrist unbemerkt versäumt wurde.
Schließlich haben die Kläger, obwohl sie auf § 56 FGO hingewiesen worden waren, nichts zur Glaubhaftmachung ihres Vortrages beigebracht. Es hätte von ihnen insbesondere erwartet werden können und müssen, daß sie einen Auszug aus dem angeblichen Fristenkontrollbuch vorlegen.
Fundstellen
Haufe-Index 414894 |
BFH/NV 1988, 33 |