Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassungsfreie Revision; Erst nachträglich bekannt gewordener Ablehnungsgrund
Leitsatz (NV)
- Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör stellt zwar einen absoluten Revisionsgrund i.S. von § 119 Nr. 3 FGO dar, eröffnet indes nach ständiger Rechtsprechung nicht die zulassungsfreie Revision.
- Die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des FG i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO deckt nicht den Fall, dass an der angefochtenen Hauptsacheentscheidung des FG ein Richter mitgewirkt hat, welcher nicht mit Erfolg abgelehnt worden war. Vielmehr stellt die Regelung in § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO die für Fälle der Richterablehnung maßgebende ‐ freilich eine erfolgreiche Ablehnung voraussetzende ‐ Sondervorschrift dar.
- Der Revisionsgrund in § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO setzt voraus, dass der Mitwirkung eine Ablehnung tatsächlich vorausgegangen ist. Eine erst nach Erlass des Urteils geltend gemachte Ablehnung ist grundsätzlich selbst dann unbeachtlich, wenn dem Betroffenen der Ablehnungsgrund erst nachträglich bekannt geworden ist.
Normenkette
FGO §§ 51, 116 Abs. 1 Nrn. 1-2; ZPO §§ 42, 48
Tatbestand
I. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) wegen des steuerlichen Abzugs von Prozesskosten sowohl als Betriebsausgaben bei den Einkünften aus dessen selbständiger Tätigkeit als Rechtsanwalt, als auch unter dem Gesichtspunkt vorweggenommener Werbungskosten bei dessen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung und ebenso auch als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mangels Zwangsläufigkeit bei den Einkommensteuerfestsetzungen für … und … verneint.
Die Revision hat das FG nicht zugelassen.
Gegen das am … zugestellte Urteil hat der Kläger im Zusammenhang mit der Nichtberücksichtigung der geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung neben der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision (Az. III B 67/99) auch Revision eingelegt.
Zur Begründung seiner Revision trägt er vor: Es liege ein wesentlicher Verfahrensmangel nach § 116 Abs. 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vor, wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt habe, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen gewesen sei. Hätte ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden können und habe er von diesem, die Ablehnung rechtfertigenden Sachverhalt keine Anzeige gemacht, so könne das Urteil angefochten werden (§ 48 der Zivilprozeßordnung ―ZPO― i.V.m. § 51 FGO).
Im Streitfall hätte sich der Vorsitzende Richter am FG aufgrund seiner offensichtlich bereits vor der mündlichen Verhandlung gefassten Meinung selber ablehnen müssen. Dieser habe in der mündlichen Verhandlung geäußert, die sittlichen Verpflichtungen seien bei dieser Sachlage nicht von der Hand zu weisen. Diese Äußerung sei gesetzwidrig nicht in die Sitzungsniederschrift aufgenommen worden. Das zu diesen Äußerungen völlig konträre Überraschungsurteil des FG sei mit diesen Bemerkungen nicht in Einklang zu bringen. Hätte der Vorsitzende Richter am FG sich bereits in der mündlichen Verhandlung inhaltlich in der im Urteil niedergelegten Form geäußert, so wäre er wegen Befangenheit abgelehnt worden. Der Vorsitzende Richter hätte vorab rechtliche Hinweise erteilen müssen, um dem Kläger Gelegenheit zu geben, seinen Sachvortrag entsprechend zu konkretisieren und zu ergänzen bzw. ggf. weiteren Beweis dafür vorzulegen, dass es ihm nicht um vermögenswerte Vorteile gegangen sei. Die diesbezüglichen Unterstellungen des FG seien nachweislich falsch. Die streitgegenständlichen Aufwendungen beträfen nämlich die Veranlagungszeiträume … und …, in denen seine Ehefrau noch gelebt habe, so dass deren ideelle Motive maßgebend seien.
Das FG habe ferner unter Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör ein Schreiben des Klägers vom … an Frau Y (Schwägerin) in seine Würdigung einbezogen, obwohl dieses Schreiben von den Verfahrensbeteiligten weder in das Klageverfahren eingeführt, noch Bestandteil der Akten, noch zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sei.
Diese gesamten Verfahrensverstöße zeigten die Voreingenommenheit des Vorsitzenden Richters am FG gegenüber dem Kläger. Deshalb sei der Vorsitzende Richter am FG gezwungen gewesen, sich in analoger Anwendung des § 48 ZPO i.V.m. § 51 FGO selbst abzulehnen. Die Anzeige nach § 48 ZPO stelle nicht nur eine Dienstpflicht dar, sondern eine echte, den Parteien gegenüber bestehende verfahrensrechtliche Pflicht (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 15. Dezember 1994 I ZR 121/92, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1995, 1677, 1679). Werde gegen diese Pflicht verstoßen, könne das ergangene Urteil mit der Begründung angefochten werden, dass einer der mitwirkenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit hätte abgelehnt werden können.
Der Kläger beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die geltend gemachten Prozessaufwendungen bei den Einkommensteuerfestsetzungen für 1989 und 1990 steuermindernd anzuerkennen, hilfsweise die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unzulässig. Sie ist durch Beschluss zu verwerfen (§§ 124, 126 Abs. 1 FGO). Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden; dass der Kläger ausdrücklich erklärt hat, er sei mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht einverstanden, steht dem nicht entgegen (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 26. Februar 1969 I K 1/68, BFHE 95, 86, BStBl II 1969, 320).
Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) ist abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision, sofern sie ―wie hier― weder durch das FG noch durch den BFH zugelassen worden ist, nur statthaft, wenn ein Fall der zulassungsfreien Revision gemäß § 116 Abs. 1 FGO gegeben ist. Daran fehlt es im Streitfall. Der Kläger hat keinen Revisionsgrund im Sinne dieser Vorschrift schlüssig dargetan.
1. a) Soweit die Revision sich mit allgemeinen Überlegungen gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils wendet, fehlt es von vornherein an einem Sachbezug zu § 116 FGO.
§ 116 Abs. 1 FGO zählt bestimmte schwerwiegende Verfahrensmängel abschließend auf, deren schlüssige Rüge allein eine zulassungsfreie Revision eröffnet (BFH-Beschlüsse vom 5. Juli 1996 VIII R 1/96, BFH/NV 1997, 122, 123, m.umf.N.; vom 10. August 1994 IX R 96/93, BFH/NV 1995, 324; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 116 Rz. 1).
b) Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör stellt zwar einen absoluten Revisionsgrund i.S. von § 119 Nr. 3 FGO dar, eröffnet indes nicht die zulassungsfreie Revision (BFH-Beschluss vom 17. Mai 1995 X R 55/94, BFHE 177, 344, BStBl II 1995, 604, m.w.N., ständige Rechtsprechung).
2. Die Revision ist auch nicht nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO eröffnet. Die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des FG deckt nicht den Fall, dass an der angefochtenen Hauptsacheentscheidung des FG ein Richter mitgewirkt hat, welcher nicht mit Erfolg abgelehnt worden war. Vielmehr stellt die Regelung in § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO die für Fälle der Richterablehnung maßgebende ―freilich eine erfolgreiche Ablehnung voraussetzende― Sonderregelung dar (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217, Abschn. C. II. 3. b aa; BFH-Beschluss vom 17. Dezember 1996 IX R 1/95, BFH/NV 1997, 582).
3. Der Kläger hat auch den Revisionsgrund i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO nicht schlüssig dargetan. Die Vorschrift setzt in der hier allein in Betracht kommenden Alternative voraus, dass bei der angefochtenen Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt worden war. Die Vorschrift stellt nicht auf die bloße Möglichkeit der Ablehnung, sondern auf die Ablehnungserklärung ―vor Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens― und auf deren Erfolg ab (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 119 FGO Rz. 75 und 79). Der Revisionsgrund setzt danach voraus, dass der Mitwirkung eine Ablehnung tatsächlich vorausgegangen ist (Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 119 FGO Rz. 41; Dürr in Schwarz, Finanzgerichtsordnung, § 119 Rz. 28). Daraus folgt, dass eine erst nach Erlass des Urteils geltend gemachte Ablehnung grundsätzlich selbst dann unbeachtlich ist, wenn dem Betroffenen der Ablehnungsgrund erst nachträglich bekannt geworden ist (BFH-Beschlüsse in BFHE 177, 344, BStBl II 1995, 604, unter II. 2. der Gründe, m.w.N.; vom 29. Oktober 1998 X R 64/98, BFH/NV 1999, 511; zustimmend Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 9). Für die vergleichbare Parallelbestimmung in § 138 Nr. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung wird dieser Rechtsauffassung gleichfalls zugestimmt (vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 11. Aufl., § 138 Rz. 8, m.w.N.; ferner BGH-Urteil vom 9. November 1992 II ZR 230/91, BGHZ 120, 141).
Unstreitig ist bis zum Erlass des angefochtenen Urteils als dem maßgebendem Zeitpunkt kein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter am FG wegen Besorgnis der Befangenheit gestellt worden.
Fundstellen
Haufe-Index 425569 |
BFH/NV 2000, 1128 |