Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen eines Verfahrensmangels nach § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO

 

Leitsatz (NV)

Durch den Umstand, daß dem FG-Senat ein Richter angehört, der an einem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat, wird ein Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO jedenfalls dann nicht begründet, wenn dieser Richter an der fraglichen FG-Entscheidung nicht mitgewirkt hat.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 51 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte gegen die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) Herr und Frau S, Umsatzsteuer fest. Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage der Klägerin, mit der sich diese gegen das Vorliegen einer GbR gewandt hatte, als unbegründet ab; die Revision gegen sein Urteil ließ das FG nicht zu. Das Urteil erging aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1. April 1992 unter Mitwirkung des Senatsvorsitzenden A, der Richter am Finanzgericht B und C und der ehrenamtlichen Richter D und E.

Die Klägerin hat hiergegen Revision eingelegt, die sie auf § 116 Abs. 1 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stützt. Die Klägerin ist der Auffassung, das Urteil der Vorinstanz verstoße gegen die Ordnungsmäßigkeit der Besetzung des Gerichts und die Zuständigkeit einzelner Richter. Außerdem sei ihr der gesetzliche Richter entzogen worden. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des zuständigen FG-Senats für 1992 sei nämlich für alle Verfahren gegen das beklagte FA Richter am Finanzgericht W zuständig. Tatsächlich habe aber der Senatsvorsitzende - wie sich aus dessen Mitteilung vom 14. Mai 1992 ergebe - die Berichterstattung am 10. Januar 1990 übernommen. In der mündlichen Verhandlung am 1. April 1992 habe der Vorsitzende mitgeteilt, Richter am Finanzgericht W sei wegen Befangenheit vom Verfahren ausgeschlossen worden. Am 7. Mai 1992 - bei Vornahme einer Akteneinsicht - sei dem seinerzeitigen Prozeßbevollmächtigten gegenüber durch die Senatsgeschäftsstelle jedoch erklärt worden, die Akten der Klägerin befänden sich bei dem zuständigen Richter am Finanzgericht W. Dieser habe sich in dem Parallelverfahren - betreffend ein anderes Unternehmen der S-Gruppe - in einer dienstlichen Äußerung dahin eingelassen, er sei lediglich vom 1. September bis zum 31. Dezember 1988 kommissarisch als Sachgebietsleiter in der Betriebsprüfung bei dem beklagten FA eingesetzt gewesen. Mit dieser Begründung sei auch der Vorwurf der Befangenheit von Richter am Finanzgericht W in dem Verfahren ... durch Beschluß des FG vom 17. August 1990 zurückgewiesen worden. Einem weiteren Unternehmen der S-Gruppe sei aber noch am 9. Januar 1989 ein Betriebsprüfungsbericht mit einem Anschreiben übermittelt worden, in dem es im Auftrag gez.W gelautet habe. Damit stehe fest, daß die dienstliche Äußerung von Richter am Finanzgericht W in dem Verfahren ... unzutreffend gewesen sei; der Richter sei länger als behauptet bei dem beklagten FA eingesetzt worden. Ein gerichtlicher Geschäftsverteilungsplan, der einem Senat zugleich Finanzamtsbezirke und Richter zuteile, die für diese FÄ zeitnah tätig gewesen seien, leide an einem kraß willkürlichen Fehler, der dem Senat als ganzem anhafte. Der Senat sei unvorschriftsmäßig besetzt und daher generell vom Verfahren ausgeschlossen. Dies gelte erst recht, wenn dem fraglichen Richter - wie hier zumindest am 7. Mai 1992 - die Streitfallakten zur Bearbeitung überlassen würden. Daß ein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter vorliege, ergebe sich im besonderen daraus, daß Richter am Finanzgericht W in dem Parallelverfahren ... mitgewirkt habe. Daraus folge, daß der FG-Senat abstrakt nicht vorschriftsmäßig besetzt sei. Das FG-Präsidium habe durch die Zuweisung von Richter am Finanzgericht W systematisch Ausschluß- und Befangenheitstatbestände gesetzt und damit einen unheilbaren Besetzungsfehler begangen. Der Umstand, daß auch die Beschäftigung mit Parallelverfahren insoweit einen bösen Schein setze, erweise sich auch daran, daß in dem angefochtenen Urteil auch die Verurteilung von Herrn S zu einer Freiheitsstrafe erwähnt werde, obwohl diese Verurteilung mit den streitgegenständlichen Sachverhalten nichts zu tun habe. Hier schlage sich die besondere Art der Befangenheit der Richter mit ... -Vergangenheit nieder. Schließlich habe auch Richter am Finanzgericht B zu Unrecht am Verfahren mitgewirkt. Aus dem (ihr partiell übermittelten) Geschäftsverteilungsplan 1992 des FG ergbe sich für seine Vertretungszuständigkeit nichts.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an einen Senat des Gerichts zurückzuverweisen.

Das FA erwidert: Im Einklang mit seiner in dem Verfahren ... abgegebenen dienstlichen Äußerung sei Richter am Finanzgericht W nur bis zum 31. Dezember 1988 bei dem beklagten FA tätig gewesen. Der Entwurf des Prüfungsberichts der betroffenen Schwestergesellschaft der Klägerin sei bereits am 6. Dezember 1988 unterzeichnet worden. Die Berichtsausfertigung sei dann aber erst Anfang Januar 1989 erfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Gegen das Urteil eines FG steht den Beteiligten die Revision zu, wenn das FG oder der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat (§ 115 Abs. 1 FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG - i.d.F. des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren - VGFGBeschlG -). Einer Zulassung der Revision bedarf es nicht, wenn einer der in § 116 Abs. 1 FGO genannten Verfahrensmängel wirksam gerügt wird. Im Streitfall ist keine dieser Voraussetzungen erfüllt.

1. Die Revision ist weder vom FG noch vom BFH zugelassen worden.

2. Sie ist auch nicht ohne Zulassung nach § 116 Abs. 1 FGO statthaft.

a) § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO setzt voraus, daß bei der Entscheidung des FG ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war. Die Klägerin hat nicht schlüssig dargelegt, daß diese tatbestandlichen Erfordernisse erfüllt sein können (vgl. § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO).

Die Richter, die an der angefochtenen Entscheidung ausweislich des Urteilsrubrums mitgewirkt haben, waren nicht kraft Gesetzes von ihrer Mitwirkung ausgeschlossen. Sie sind auch nicht mit Erfolg abgelehnt worden. Dafür, daß Richter am Finanzgericht W als weiterer und im Urteil nicht genannter Richter an der Entscheidung mitgewirkt hat, ist nach Aktenlage nichts ersichtlich. Dies wird von der Klägerin auch nicht behauptet. Sie trägt lediglich vor, daß die Streitfallakten sich nach einer dem seinerzeitigen Prozeßbevollmächtigten erteilten Auskunft der Geschäftsstelle des FG-Senats am 7. Mai 1992 bei dem zuständigen Richter am Finanzgericht W befunden haben sollen. Daraus folgt aber nicht, daß Richter am Finanzgericht W an der früheren Beschließung des angefochtenen Urteils auch mitgewirkt hätte. Ein Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO wird andererseits nicht dadurch begründet, daß dem FG-Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan mit Richter am Finanzgericht W ein Richter angehörte, der in früherer Zeit Bediensteter eines FA gewesen ist, das in den Zuständigkeitsbereich des Senats fällt. Von der Ausübung des Amtes als Richter ist nach § 51 Abs. 2 FGO lediglich ausgeschlossen, wer bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat. Ob - wie die Klägerin annimmt - diese Voraussetzungen bei Richter am Finanzgericht W durch dessen frühere Tätigkeit als Sachgebietsleiter für Betriebsprüfung bei dem beklagten FA hinsichtlich eines Schwesterunternehmens der Klägerin vorgelegen haben, kann hier dahinstehen (s. dazu aber BFH-Urteil vom 14. Juli 1988 IV R 74/87, BFH/NV 1989, 441, 442; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 51 FGO Tz. 5). Denn unabhängig davon hat er an der hier angefochtenen Entscheidung nicht mitgewirkt. Eine personelle Ausdehnung des Ausschließungsgrundes nach § 51 Abs. 2 FGO auf den Senat in seiner Gesamtheit oder auf einzelne andere Senatsmitglieder kommt nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nicht in Betracht.

b) Die Ausführungen der Klägerin sind auch nicht geeignet, einen Verfahrensmangel nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO schlüssig zu begründen. Zur Begründung einer solchen Verfahrensrüge hätte die Klägerin konkrete Tatsachen vortragen müssen, aus denen sich - ihre Richtigkeit unterstellt - ergibt, daß das FG bei Erlaß des angefochtenen Urteils unvorschriftsmäßig besetzt war (BFH-Beschluß vom 10. Febraur 1989 V R 83/88, BFH/NV 1990, 780; Tipke/Kruse, a.a.O., § 116 FGO Tz. 23). Dies ist nicht geschehen.

Erkennendes Gericht i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist nur das Gericht, welches das angefochtene Urteil gefällt hat, also das Gericht i.S. von § 103 FGO. Ist das Urteil, wie im Streitfall, aufgrund mündlicher Verhandlung ergangen, so ist die Besetzung der Richterbank in der letzten mündlichen Verhandlung das erkennende Gericht (BFH-Beschluß in BFH/NV 1990, 780; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 119 Rdnr. 7 m.w.N.). Daß der FG-Senat insoweit nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei, hat die Klägerin indes nicht substantiiert vorgetragen. Für ihr Vorbringen, aus dem Geschäftsverteilungsplan des FG für 1992 ergebe sich nichts für die Vertretungszuständigkeit des Richters am Finanzgericht B, wäre es zumindest erforderlich gewesen, den in Betracht kommenden Auszug aus dem Geschäftsverteilungsplan, der der Klägerin zugänglich gemacht worden war, vorzulegen und die Möglichkeit eines Verstoßes dagegen darzustellen (vgl. zu den Darlegungserfordernissen insoweit z.B. BFH-Urteile vom 30. Oktober 1974 I R 40/72, BFHE 114, 85, BStBl 1975, 232; vom 6. November 1980 IV R 181/79, BFHE 132, 377, BStBl II 1980, 400; Tipke/Kruse, a.a.O., § 116 FGO Tz. 23, Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rdnr. 8, jeweils m.w.N.). Dies ist trotz Aufforderung zur Vorlage dieses Auszugs unterblieben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419990

BFH/NV 1994, 889

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