Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine zulassungsfreie Revision wegen nur lückenhafter Entscheidungsgründe
Leitsatz (NV)
Ein Fehlen von Entscheidungsgründen liegt nur vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung des FG zu überprüfen. Nach ständiger Rechtsprechung ist das nur dann der Fall, wenn das FG seine Entscheidung überhaupt nicht oder jedenfalls zu einem wesentlichen Teil nicht begründet hat, indem ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen worden ist. Die Rüge einer zu kurzen, lücken- oder fehlerhaften Begründung sowie die Behauptung, sie setze sich nicht mit sämtlichen rechtlichen Erwägungen des Klägers auseinander, eröffnet nicht die zulassungsfreie Revision.
Normenkette
BFHEntlG Art. 1 Nr. 5; FGO § 105 Abs. 2 Nrn. 4-5, § 116 Abs. 1 Nr. 5
Tatbestand
I. Wegen Nichtabgabe einer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1992 durch den Kläger und Revisionskläger (Kläger) schätzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Einkommensteuer unter Berücksichtigung einer Mitteilung über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen über Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ... DM sowie des Pauschbetrages für Sonderausgaben in Höhe von 108 DM mit Bescheid vom 30. November 1994 auf ... DM fest. Nach erfolglosem Einspruch (Einspruchsentscheidung vom 16. März 1995) wurde die Einkommensteuerfestsetzung bestandskräftig. Auf die am 11. Mai 1995 nachgereichte Einkommensteuererklärung veranlaßte das FA, im Hinblick auf die bestandskräftige Einkommensteuerfestsetzung, nichts. Den daraufhin gestellten Antrag des Klägers auf Erlaß der Einkommensteuer 1992 sowie weitere Nebenleistungen lehnte das FA ab. Einspruch und Klage hatten ebenfalls keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) ist zu der Auffassung gelangt, es seien keine Ermessensfehler des FA bei der Ablehnung des Erlasses erkennbar (vgl. §102 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Gegen das Urteil hat der Kläger Revision eingelegt. Der Kläger fühlte sich durch die Ablehnung des Erlaßantrages dadurch beschwert, daß die in der Einspruchsentscheidung angegebenen Gründe für das fehlerhafte Ermessen seitens des FG nicht in vollem Umfang berücksichtigt worden seien. Weder seien Kinderfreibeträge noch Sonderausgaben bei der Schätzung berücksichtigt worden. Zu Unrecht habe das FG den im Streitfall zu beurteilenden Sachverhalt auch nicht mit dem vom Bundesgerichtshof (BGH) in dessen Urteil vom 23. November 1995 IX ZR 225/94 (Neue Juristische Wochenschrift 1996, 842) entschiedenen Fall gleich behandelt.
Der Kläger beantragt, den Einkommensteuerbescheid 1992 vom 30. November 1994 sowie die Ablehnung des Erlaßantrages vom 26. Oktober 1995 dahingehend zu ändern, daß die zu hoch festgestellten Beträge, nämlich Einkommensteuer, Verspätungszuschläge, Zinsen zur Einkommensteuer, Kirchensteuer sowie Solidaritätszuschlag, erlassen werden.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unzulässig und war deshalb durch Beschluß zu verwerfen (§§124 Abs. 1, 126 Abs. 1 FGO).
1. Nach §115 Abs. 1 FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs findet die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Die Zulassung muß nach ständiger Rechtsprechung ausdrücklich erfolgen (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Januar 1994 VIII R 50/93, BFH/NV 1994, 646). Enthält das FG-Urteil keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision, so ist sie nicht zugelassen. Im Streitfall hat das FG die Revision weder im Tenor noch in den Gründen des Urteils zugelassen. Eine Zulassung ergibt sich auch nicht aus der dem angefochtenen Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung.
2. Das Rechtsmittel ist auch nicht als zulassungsfreie Verfahrensrevision i.S. des §116 Abs. 1 FGO zulässig. Der Kläger hat in der Revisionsbegründung keinen der in dieser Vorschrift abschließend aufgeführten Verfahrensmängel, die eine zulassungsfreie Revision eröffnen, schlüssig gerügt.
a) Eine schlüssige Verfahrensrüge im Sinne dieser Vorschrift liegt nur vor, wenn die zur Begründung des Verfahrensmangels vorgetragenen Tatsachen -- ihre Richtigkeit unterstellt -- einen Mangel i.S. des §116 Abs. 1 FGO ergeben (vgl. BFH-Beschluß vom 18. August 1992 VIII R 9/92, BFHE 168, 508, BStBl II 1993, 55 unter Ziff. II. der Gründe, m.w.N.).
b) Soweit der Kläger sich dadurch beschwert fühlt, daß "die in der Einspruchsentscheidung angegebenen Gründe für das fehlerhafte Ermessen seitens des FG nicht in vollem Umfang berücksichtigt wurden", wird damit eine allenfalls in Betracht zu ziehende Verfahrensrüge fehlender rechtlicher Entscheidungsgründe nach §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht schlüssig erhoben.
Die Verfahrensrüge des §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO dient wie die Bestimmung des §105 Abs. 2 Nr. 4 und 5 FGO, wonach das Urteil einen Tatbestand und Entscheidungsgründe enthalten muß, der Sicherstellung, daß die Beteiligten ihre prozessualen Rechte wahrnehmen können. Die Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichtes für die getroffene Entscheidung maßgebend waren. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen liegt deshalb nur vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung zu überprüfen. Das ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann der Fall, wenn das FG seine Entscheidung überhaupt nicht oder jedenfalls zu einem wesentlichen Teil nicht begründet, indem ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen wird (BFH-Beschluß vom 12. Juli 1994 VII R 2/94, BFH/NV 1995, 230, m.w.N.). Die Rüge einer zu kurzen, lücken- oder fehlerhaften Begründung sowie die Behauptung, sie setze sich nicht mit sämtlichen rechtlichen Erwägungen des Klägers auseinander, berechtigt hingegen nicht zu einer zulassungsfreien Revision (BFH-Beschluß in BFH/NV 1994, 646). Die Verfahrensrüge nach §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO darf nicht nur dazu dienen, die Rüge der Verletzung materiellen Rechts zu verdecken (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14. Dezember 1989 III R 49/89, BFH/NV 1991, 288; vom 1. Juni 1994 II R 16/94, BFH/NV 1995, 48, 49).
c) Soweit die Revision darüber hinaus auch die Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen für 1992 begehrt, handelt es sich um eine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung (vgl. §123 Abs. 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 302892 |
BFH/NV 1998, 1504 |