Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung: Schuldhafte Fristversäumung
Leitsatz (NV)
Übernimmt ein Prozessbevollmächtigter für die Berechnung der Rechtsmittelfrist ungeprüft die fehlerhafte Angabe der Prozesspartei über den Zeitpunkt der Zustellung des FG-Urteils, so hat er die dadurch verursachte Fristversäumnis verschuldet.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 155; ZPO § 85 Abs. 2
Tatbestand
I. Durch Urteil vom 26. Juli 2001 gab das Finanzgericht (FG) einer von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gegen einen Schenkungsteuerbescheid erhobenen Klage (nur) teilweise statt und wies die Klage im Übrigen ab. Die Revision ließ das FG nicht zu. Das Urteil des FG wurde der Klägerin am 9. August 2001 durch Niederlegung bei der Post zugestellt. Eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung wurde am selben Tag ―wie bei gewöhnlichen Briefen üblich― in den Hausbriefkasten der Klägerin eingelegt.
Gegen die Entscheidung des FG legte zunächst die nicht postulationsfähige Klägerin mit beim Bundesfinanzhof (BFH) am 16. August 2001 eingegangenem Schreiben Beschwerde ein. Mit Schreiben der Geschäftsstelle des erkennenden Senats vom 23. August 2001 wurde die Klägerin auf den vor dem BFH bestehenden Vertretungszwang hingewiesen. Darüber hinaus wurde ihr die Möglichkeit einer gerichtsgebührenfreien Rücknahme ihrer Beschwerde erläutert. Hierzu wurde sie um Mitteilung bis zum 10. Oktober 2001 gebeten. Am 4. September 2001 legten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen das Urteil des FG Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ein. Eine Begründung erfolgte zunächst nicht. Mit beim BFH am 10. Oktober 2001 per Telefax übermitteltem Schriftsatz vom gleichen Tag begründeten die Prozessbevollmächtigten die Nichtzulassungsbeschwerde dann im Wesentlichen damit, dass das FG sachlich unrichtig entschieden habe. Mit Schreiben des Vorsitzenden des Senats vom 15. Oktober 2001 wurden die Prozessbevollmächtigten darauf hingewiesen, dass die Begründungsfrist am 9. Oktober 2001 abgelaufen sei. Die am 10. Oktober 2001 eingegangene Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde sei verspätet. Auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wurde hingewiesen.
Mit beim BFH am 31. Oktober 2001 eingegangenem Schriftsatz vertraten die Prozessbevollmächtigten die Auffassung, dass die Begründungsfrist gewahrt sei. Die Klägerin habe versichert, dass ihr die Entscheidung erst am 11. August 2001 zugegangen sei. Dementsprechend habe sie in ihrem Schreiben vom 30. August 2001 selbst eine ―wenn auch unzulässige― Beschwerde eingelegt und hierin den Eingang der Entscheidung mit dem 11. August 2001 angegeben. Dementsprechend sei ein Fristablauf für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde in der Kanzlei der Bevollmächtigten auf den 11. Oktober 2001 notiert worden. Die am 10. Oktober 2001 eingegangene Begründung sei mithin fristgemäß erfolgt. Hilfsweise werde Wiedereinsetzung in die Beschwerdebegründungsfrist beantragt. Die Entscheidung sei der Klägerin erst am 11. August 2001 zugegangen. Sie sei daher davon ausgegangen, dass die Begründungsfrist erst am 11. Oktober 2001 ablaufe. Aus dem Ersuchen im Schreiben des BFH vom 23. August 2001, bis zum 10. Oktober 2001 mitzuteilen, ob sie die Beschwerde zurücknehme, habe die Klägerin eine Bestätigung ihrer Auffassung gesehen.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, da sie verspätet begründet wurde.
1. Nach § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Ausweislich der Zustellungsurkunde i.S. von § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) ist das FG-Urteil im Streitfall der Klägerin durch Niederlegung bei der Post am 9. August 2001 zugestellt worden (§ 53 Abs. 1 und 2 FGO i.V.m. § 182 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―). Die danach erforderliche Mitteilung über die Niederlegung ist ordnungsgemäß erfolgt. Danach ist die Begründungsfrist nach § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO am 9. Oktober 2001 abgelaufen und die am 10. Oktober 2001 beim BFH eingegangene Beschwerdebegründung verspätet (§ 54 FGO, § 222 ZPO, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs).
2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat keinen Erfolg, weil die Prozessbevollmächtigten die Frist zur Begründung der Beschwerde schuldhaft versäumt haben (§ 56 Abs. 1 FGO); dieses Verschulden ist der Klägerin zuzurechnen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Das Verschulden der Prozessbevollmächtigten besteht darin, dass sie ―wie sie selbst vortragen― den von der Klägerin genannten Zeitpunkt des Zugangs der Vorentscheidung ungeprüft als Zeitpunkt der für den Beginn der Frist maßgebenden Zustellung des FG-Urteils zugrunde gelegt haben. Erforderlich wäre jedoch gewesen, dass sie den Zeitpunkt der Zustellung selbst ermittelt, hier anhand des auf der niedergelegten Sendung vermerkten Tages der Zustellung durch Niederlegung (§ 53 Abs. 2 FGO, § 3 VwZG, § 195 Abs. 2 Satz 2 ZPO), und danach die Frist berechnet hätten.
Die Prozessbevollmächtigten haben auch nicht vorgetragen, dass sie an einer derartigen Prüfung unverschuldet verhindert gewesen seien. Unbehelflich ist insbesondere ihr Hinweis auf das Schreiben der Senatsgeschäftsstelle vom 23. August 2001. Abgesehen davon, dass sich die Prozessbevollmächtigten insoweit nur auf den Eindruck berufen, den dieses Schreiben bei der Klägerin selbst hervorgerufen haben soll, kann dem Schreiben nicht einmal ein Hinweis auf den Ablauf der Begründungsfrist entnommen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 675894 |
BFH/NV 2002, 522 |