Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung bei Einzelfallwürdigung durch das FG
Leitsatz (NV)
Beruht ein FG-Urteil ausgehend von der einschlägigen Rechtsprechung des BFH auf einer ‐ revisionsrechtlich nicht angreifbaren ‐Würdigung der (besonderen) Umstände des Streitfalles, kann die Revision nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen werden.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 2-3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 119 Nr. 6; UStG 1991 § 4 Nr. 12 S. 1 Buchst. a, S. 2
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) betrieb in den Streitjahren (1992 bis 1994) mehrere Wohnheime, in denen sie Aus- und Umsiedlern, Flüchtlingen, Asylbewerbern und Obdachlosen Wohn- und Schlafplätze überließ. Die unterzubringenden Personen wurden ihr durch Sozialbehörden zugewiesen. Diese übernahmen auch die Bezahlung für die Überlassung der Wohn- und Schlafplätze. Die aufzunehmenden Personen erhielten hierfür sog. Kostenübernahmescheine von den Sozialbehörden.
Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt ―FA―) beurteilte in den Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre die Umsätze als steuerpflichtige Beherbergungsumsätze i.S. § 4 Nr. 12 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes 1991/1993 (UStG). Es handele sich um die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereit halte.
Die von der Klägerin dagegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass die Umsätze gemäß § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG steuerfrei seien; die Voraussetzungen des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG lägen nicht vor.
Das FA beantragt mit der Nichtzulassungsbeschwerde, die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordere. Zudem liege ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision nur zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert oder
3. ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Diese Voraussetzungen müssen in der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
2. Entgegen der Auffassung des FA erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Streitfall keine Entscheidung des BFH.
a) Das FA macht geltend, die Vorentscheidung weiche hinsichtlich der Charakterisierung des Beherbergungsverhältnisses von dem Urteil des FG Bremen vom 8. Juni 1993 292228K 4 (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1993, 750) ab. Auch im dortigen Verfahren sei das Entgelt nicht objektbezogen vereinbart, sondern personenbezogen über Kostenübernahmescheine zu einem bestimmten Tagessatz abgerechnet worden. Anders als die Vorentscheidung habe das FG Bremen in einem solchen Beherbergungsverhältnis ohne schriftlich abgeschlossenen Mietvertrag kein Mietverhältnis, sondern "Rechtsbeziehungen eigener Art" gesehen. Ein langfristiges Mietverhältnis sei seitens des FG Bremen ausdrücklich verneint worden.
Des Weiteren habe auch das FG Berlin im Urteil vom 10. November 1999 6 K 6463/97 (EFG 2000, 442) eine längerfristige Vermietung in einem Fall verneint, in dem ―ebenso wie bei der Klägerin― sowohl das "Nutzungsverhältnis" mit den Flüchtlingen als auch die Kostenübernahmen durch die Bezirksämter jederzeit "ohne Einhaltung irgendeiner Kündigungsfrist" allein durch tatsächlichen Auszug beendet worden seien.
Die Frage, ob es sich bei Beherbergungsverhältnissen mit Kostenübernahme durch die Bezirks- bzw. Sozialämter um langfristige Mietverhältnisse handle, werde demnach seitens der FG unterschiedlich beantwortet, so dass es zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung einer Entscheidung des BFH bedürfe.
b) Diese Ausführungen reichen nicht zur Darlegung aus, im Streitfall erfordere die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH.
Das FG hat in den Entscheidungsgründen der Vorentscheidung die Grundsätze der einschlägigen Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 6. August 1998 V R 26/98, BFH/NV 1999, 84) und des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ―EuGH― (Urteil vom 12. Februar 1998 Rs. C-346/95 ―Elisabeth Blasi―, Slg. 1998, I-481, Umsatzsteuer- und Verkehrssteuerrecht ―UVR― 1998, 113, Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 1998, 189) dargelegt.
Das FG ist sodann wie folgt fortgefahren: "In Anwendung dieser Grundsätze ist das Gericht aufgrund der tatsächlichen Umstände des Falles und des Ergebnisses der Beweisaufnahme vorliegend zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin die von ihr vermieteten Wohn- und Schlafräume nicht lediglich zur kurzfristigen Vermietung bereitgehalten hat." (Urteil S. 14)
Es folgt eine auf ca. 7 Seiten dargelegte Würdigung, die wie folgt endet: "Angesichts dieser besonderen Umstände treten nach Auffassung des Gerichts im Streitfall die Gesichtspunkte, die für eine lediglich kurzfristige Vermietungsabsicht sprechen könnten ―befristete Kostenübernahmescheine, kurzfristige Beendigungsmöglichkeit, hoher Mietzins, tatsächlich nur kurzfristige Unterbringung einzelner Personen― zurück." (Urteil S. 21). Dementsprechend hat das FG die Revision nicht zugelassen, "weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Falles beruht".
Daraus folgt, dass die Vorentscheidung auf einer ―revisionsrechtlich nicht angreifbaren― Würdigung der (besonderen) Umstände des Streitfalls auf der Grundlage der maßgeblichen Rechtsgrundsätze in der Rechtsprechung beruht. Das FA wendet sich mit seiner Beschwerdebegründung im Kern (lediglich) gegen diese Einzelfallwürdigung.
In einem solchen Fall konnte die Revision nicht wegen Divergenz gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a.F. zugelassen werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14. August 1996 V B 105/95, BFH/NV 1997, 204; vom 10. Juni 1998 V B 103/97, BFH/NV 1999, 315). Ebenso wenig ist in einem solchen Fall ―wenn geltend gemacht wird, die Vorentscheidung weiche von anderen FG-Entscheidungen ab― eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO erforderlich (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 43, 46, 53 ff.; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung- Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz. 170, 173, 189 ff.).
3. Die Revision kann auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zugelassen werden.
a) Das FA macht hierzu geltend, das FG habe in der Vorentscheidung lediglich auf die Abgrenzung zwischen kurzfristiger Beherbergung und langfristiger Vermietung abgestellt. Es habe keine ausreichenden Feststellungen zu einer sog. "wahlweisen kurz- und längerfristigen Beherbergung" getroffen und es versäumt, die dazu ergangene Rechtsprechung des BFH auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Hierin liege "auch" ein Verstoß gegen § 119 Nr. 6 FGO.
b) Mit diesem Vorbringen wird nicht entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ein Verfahrensmangel geltend gemacht, auf dem die Vorentscheidung beruhen kann.
aa) Soweit das FA mit seiner Rüge geltend machen will, das FG habe gegen seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 76 Abs. 1 FGO) verstoßen, fehlen die erforderlichen Darlegungen, weshalb die unterlassene Sachverhaltsaufklärung nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des FG bedeutsam war (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 3. November 1993 V B 118/93, BFH/NV 1995, 308; vom 26. Juli 2001 X B 29/01, BFH/NV 2002, 38). Vielmehr rügt das FA auch insoweit im Kern (lediglich) eine unzutreffende Würdigung der Umstände des Einzelfalls durch das FG.
bb) Der vom FA ausdrücklich gerügte Verstoß gegen § 119 Nr. 6 FGO liegt nicht vor.
Eine Entscheidung ist dann im Sinne dieser Vorschrift "nicht mit Gründen versehen", wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die Entscheidung des FG auf ihren Inhalt und ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Das ist insbesondere der Fall, wenn jegliche Begründung fehlt oder lediglich inhaltslose oder unverständliche Wendungen niedergeschrieben sind, die nicht erkennen lassen, von welchen Erwägungen das Gericht ausgegangen ist, und die eine Überprüfung des Rechtsstandpunktes nicht ermöglichen, oder wenn ein selbständiger Anspruch bzw. ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen worden ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 6. April 1995 V R 37/94, BFH/NV 1995, 911; vom 20. Juni 2001 I R 80/00, BFH/NV 2001, 1583). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Fundstellen
Haufe-Index 713762 |
BFH/NV 2002, 806 |