Entscheidungsstichwort (Thema)
Durchbrechung der Vollstreckungsbeschränkung gemäß § 278 Abs. 2 AO 1977
Leitsatz (NV)
- Die Bezeichnung einer an den zusammenveranlagten Ehegatten abgetretenen Darlehensforderung als "familienbedingte Zuwendung" besagt nichts über den Charakter der Zuwendung und belegt ‐ im Hinblick auf ihre Ausgestaltung als Unterhaltsgewährung ‐ insbesondere nicht deren Entgeltlichkeit.
- Zur Schlüssigkeit der Verfahrensrügen der Verletzung der Sachaufklärungspflicht und des Rechts auf Gehör im Hinblick auf die Auffassung des FG, dass die Abtretung der Darlehensforderung (1.) unentgeltlich erfolgt ist und zum maßgeblichen Zeitpunkt wegen der gemeinsamen Haushaltsführung eine eheliche Lebensgemeinschaft noch bestanden hat.
Normenkette
AO 1977 § 278 Abs. 2; BGB §§ 1360, 1360a, 1361, 1378 Abs. 3, §§ 1386, 1389, 1567 Abs. 1; FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 155; ZPO § 295
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gegen den Antrag auf Eintragung einer Sicherungshypothek auf ihrem Grundstück sowie gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) in Gestalt der Einspruchsentscheidung abgewiesen. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, die Vollstreckungsmaßnahmen seien rechtmäßig, weil das FA die Klägerin zu Recht gemäß § 278 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) in Anspruch genommen habe. Die Klägerin sei, auch wenn nach den Aufteilungsbescheiden die rückständige Einkommensteuer 1993 vollständig ihrem mit ihr zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehemann zugeordnet worden sei, als Gesamtschuldnerin gleichwohl noch Steuerschuldnerin i.S. des § 278 Abs. 2 AO 1977. Ihr sei von ihrem Ehemann am 3. Januar 1996, also nach dem Veranlagungszeitraum, für den noch Steuerrückstände beständen, unentgeltlich ein Vermögensgegenstand, nämlich die Abtretung einer Darlehensforderung ihres Ehemannes gegen die X-Bank, zugewendet worden, sodass sie vom FA bis zu dieser Höhe für die rückständige Steuer habe in Anspruch genommen werden können.
Die Übertragung der Darlehensforderung sei deswegen unentgeltlich erfolgt, weil die Klägerin einen wie auch immer begründeten Anspruch auf diese Leistung nicht gehabt habe. Die privatschriftliche Abtretung enthalte keinen Hinweis auf einen solchen Leistungsgrund. Eine Unterhaltsgewährung gemäß § 1361 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) komme nicht in Betracht, da trotz einer krisenhaften Zuspitzung der Ehe noch eine Lebensgemeinschaft der Eheleute vorhanden gewesen sei. Die Abtretung der Darlehensforderung könne auch nicht zur Abgeltung eines Unterhaltsanspruchs gemäß §§ 1360, 1360a BGB erfolgt sein, da die Klägerin in Anbetracht der Höhe der zugewendeten Forderung weder einen Anspruch auf Sicherung noch auf Vorauszahlung des Unterhalts über einen Zeitraum von drei Monaten hinaus (§ 1360a Abs. 3 i.V.m. § 1614 Abs. 2 i.V.m. § 760 Abs. 2 BGB) gehabt habe. Ebenso habe kein Anspruch auf Zugewinnausgleich bestanden, da dieser nach § 1378 Abs. 3 BGB erst mit der Beendigung des gesetzlichen Güterstands entstehe. Die Zuwendung habe auch bei weitem den Rahmen eines gebräuchlichen Gelegenheitsgeschenks (§ 278 Abs. 2 Satz 2 AO 1977) überstiegen.
Gegen dieses Urteil des FG richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, die auf Verfahrensfehler gestützt wird.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig, weil die Klägerin weder die geltend gemachten Verfahrensfehler noch einen sonstigen Revisionszulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechenden Weise dargelegt hat.
1. Soweit die Beschwerde rügt, das FG habe § 278 Abs. 2 AO 1977 rechtsfehlerhaft angewandt, ist das Vorbringen schon deshalb ohne Bedeutung, weil die ―angeblich― materiell-rechtliche Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung für sich keinen Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO abgibt (vgl. z.B. Bundesfinanzhof ―BFH―, Beschlüsse vom 2. April 1997 V B 26/96, BFHE 182, 430, BStBl II 1997, 443, und vom 15. März 2001 IV B 34/00, BFH/NV 2001, 1113).
2. Die Verfahrensrügen der Klägerin (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) entsprechen nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
a) Nicht schlüssig ist die Rüge, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) verletzt, weil es die Unentgeltlichkeit der Forderungsabtretung ohne weitere Nachprüfung unterstellt habe. Wird geltend gemacht, das FG sei seiner Sachaufklärungspflicht nicht nachgekommen, ist u.a. anzugeben, inwiefern das FG, wäre es dieser Pflicht nachgekommen, nach seiner insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Das FG hat seine Auffassung, die Abtretung der Darlehensforderung sei unentgeltlich erfolgt, sowohl auf den Wortlaut des privatschriftlichen Abtretungsvertrags, der keinerlei Hinweis auf den Rechtsgrund der Abtretung enthält, als auch darauf gestützt, dass der von der Klägerin behauptete Unterhaltsanspruch als möglicher Rechtsgrund unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründet ist. Insoweit bleibt die Beschwerde jegliche Darlegung schuldig, auf Grund welchen tatsächlichen Vorbringens zum Bestehen eines solchen Anspruchs das FG, auch ohne entsprechenden Beweisantrag der Klägerin, Veranlassung zu einer weiteren Sachaufklärung gehabt hätte. Im Einzelnen:
aa) Der Vortrag, bei der Abtretung handele es sich um eine "familienbedingte Zuwendung", um einen "familienrechtlichen Vertrag eigener Art", besagt nichts über den Charakter der Zuwendung und belegt insbesondere nicht deren Entgeltlichkeit. So ist in der Rechtsprechung des BFH anerkannt, dass der Begriff der unentgeltlichen Zuwendung in § 278 Abs. 2 AO 1977 keine Anhaltspunkte dafür bietet, dass die objektive Unentgeltlichkeit einer sog. unbenannten ehebedingten Zuwendung durch die subjektiven, im Eheverhältnis liegenden Motive für die Zuwendung in Frage gestellt werden könnte (BFH-Urteil vom 20. September 1994 VII R 40/93, BFH/NV 1995, 485; dazu Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung‐Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 278 AO 1977 Rz. 11 f.).
bb) Die Rüge, das FG habe den Beweisantrag, den Ehemann der Klägerin zur Ausgestaltung der Abtretung als Unterhalt zu vernehmen, übergangen, ist insofern nicht schlüssig, als das Beweisthema, nämlich die Ausgestaltung der Abtretung als Unterhalt, nichts zu der für das FG entscheidungserheblichen Frage besagt, ob die Klägerin gegenüber ihrem Ehemann auch einen Rechtsanspruch auf Unterhaltsgewährung hatte. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die rechtskundig vertretene Klägerin das Übergehen dieses Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung nicht gerügt hat und auch nicht vorgetragen hat, weshalb ihr eine solche Rüge etwa nicht möglich war. Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ―ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge― verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung ―ZPO―), hat die unterlassene rechtzeitige Rüge den endgültigen Rügeverlust, so z.B. auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde, zur Folge (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteil vom 20. April 1989 IV R 299/83, BFHE 157, 106, BStBl II 1989, 727; Beschlüsse vom 12. Dezember 1994 X B 222/94, BFH/NV 1995, 787, und vom 17. November 1997 VIII B 16/97, BFH/NV 1998, 608).
cc) Ferner vermisst die Klägerin tatsächliche Feststellungen des FG im Hinblick auf ein Getrenntleben der Eheleute. Auch diese Rüge ist nicht schlüssig. Denn die Klägerin hat selbst, wie das FG im Tatbestand seines Urteils ausführt, in einer eidesstattlichen Versicherung, die sie im Rahmen des vorgängigen Verfahrens wegen einstweiliger Anordnung eingereicht hatte, vorgetragen, dass Wohn- und Schlafzimmer der Eheleute zwar voneinander getrennt gewesen seien und insoweit für jeden Ehegatten ein eigener Bereich zur Verfügung gestanden habe, dass aber ein gemeinsamer Haushalt geführt worden und mit den Kindern gemeinsam in den "Familienräumen" das Leben einer intakten Familie gelebt worden sei. Bei diesem Vortrag musste das FG keine weitere Sachverhaltsaufklärung zur Frage des Getrenntlebens betreiben, sondern konnte ohne weiteres davon ausgehen, dass wegen der gemeinsamen Haushaltsführung (vgl. § 1567 Abs. 1 BGB) eine Lebensgemeinschaft der Ehegatten noch bestanden hat und daher ein Unterhaltsanspruch aus § 1361 BGB nicht in Betracht kam.
b) Unter I. 5. der Beschwerde rügt die Klägerin offensichtlich noch eine Verletzung ihres Rechts auf Gehör, worauf jedenfalls der im finanzgerichtlichen Verfahren unzutreffende Hinweis auf § 155 FGO i.V.m. § 139 Abs. 2 ZPO und auf das BFH-Urteil vom 5. September 2001 I R 101/99 (BFH/NV 2002, 493) schließen lässt. Die Klägerin hat jedoch nicht schlüssig dargelegt, dass das FG auf den Kern ihres Tatsachenvortrags in den Entscheidungsgründen seines Urteils nicht eingegangen und demzufolge eine Überraschungsentscheidung für die Klägerin ergangen ist (§ 96 Abs. 2 FGO). Aus dem Beschwerdevorbringen wird nicht ersichtlich, welche wesentlichen der Rechtsverfolgung dienenden Tatsachen oder Rechtsausführungen der Klägerin das FG in den Entscheidungsgründen seines Urteils nicht verarbeitet haben soll.
Soweit die Klägerin pauschal tatsächliche Feststellungen zur Unentgeltlichkeit der Abtretung, zum Getrenntleben und zum Fall des vorzeitigen Zugewinnausgleichs vermisst, wird nicht dargelegt, welchen konkreten tatsächlichen Vortrag zu diesen Punkten das FG nicht berücksichtigt haben bzw. der Klägerin hierzu keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben soll. Hinsichtlich der Frage des Getrenntlebens genügt ein Hinweis auf die obigen Ausführungen (unter 1. a cc); die Unentgeltlichkeit der Abtretung war der wesentliche Punkt der Begründung der angefochtenen Entscheidung, denn das FG hat ausführlich untersucht, ob der Klägerin ein unterhaltsrechtlicher Anspruch auf die abgetretene Leistung zusteht und dies unter allen rechtlich in Betracht kommenden Gesichtspunkten verneint. Feststellungen zum vorzeitigen Zugewinnausgleich nach § 1386 BGB musste das FG schon deshalb nicht treffen, weil die Klägerin nicht vorgetragen hat (weil dies offensichtlich auch nicht der Fall war), dass sie gegen ihren Ehegatten eine Klage auf vorzeitigen Zugewinnausgleich erhoben hätte, denn dann hätte das FG prüfen müssen, ob der Klägerin wenigstens ein Anspruch auf Sicherheitsleistung hinsichtlich des zu erwartenden Zugewinns (§ 1389 BGB) zugestanden hätte, der möglicherweise als Rechtsgrund für die Abtretung der Darlehensforderung in Betracht gekommen wäre (s. hierzu im Übrigen die Hinweise im letzten Absatz des Senatsbeschlusses vom 29. April 1999 VII B 253/98, BFH/NV 1999, 1481, und dazu Müller-Eiselt, a.a.O., § 278 AO 1977 Rz. 12). Was schließlich das vom FG nicht eingeholte Zeugnis des Ehemanns der Klägerin betrifft, so versteht es sich von selbst, dass der hinsichtlich der Sachaufklärungspflicht des FG eingetretene Rügeverlust der Klägerin nicht auf dem Umweg über eine Gehörsrüge wieder behoben werden kann.
Fundstellen
Haufe-Index 946417 |
BFH/NV 2003, 1033 |