Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch Übergehen eines Beweisantrages
Leitsatz (NV)
1. Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das Übergehen eines Beweisantrages ist nicht ausreichend dargelegt, wenn nicht erkennbar ist, welche konkreten, zu einer anderen Beurteilung führenden Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme ergeben hätten.
2. Die Rüge unterlassener Beweiserhebung zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung aufgrund schriftsätzlich vor der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisanträge ist verspätet.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3
Verfahrensgang
FG Nürnberg (Urteil vom 16.02.2005; Aktenzeichen V 189/2003) |
FG Nürnberg (Urteil vom 16.02.2005; Aktenzeichen V 190/2003) |
Gründe
1. Die Verfahren IV B 61/05 und IV B 62/05 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden (§ 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), da die Beschwerden in beiden Verfahren allein mit demselben Verfahrensmangel begründet werden.
2. Die Beschwerden sind nicht begründet.
a) Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) macht einen Verfahrensmangel durch Verletzung der Sachaufklärungspflicht geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), weil das Finanzgericht (FG) von einer Beweiserhebung abgesehen hat.
aa) Die Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 FGO erfordert, dass das FG Tatsachen und Beweismitteln nachgeht, die sich ihm in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls hätten aufdrängen müssen (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Tz. 41, m.w.N.). Es darf substantiierte Beweisanträge, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt betreffen, grundsätzlich weder ablehnen noch übergehen (Gräber/ Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 76 Rz. 26).
Wird ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht geltend gemacht, müssen u.a. die ermittlungsbedürftigen Tatsachen bezeichnet werden, die das FG hätte aufklären müssen. Das gilt unabhängig davon, ob das Übergehen eines Beweisantrages oder eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht gerügt wird (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz. 69 und 70).
bb) Geht das FG einem schriftsätzlich gestellten Beweisantrag nicht nach, dann muss jedenfalls ein rechtskundig vertretener Beteiligter dies in der nächsten mündlichen Verhandlung, an welcher er teilnimmt, rügen, andernfalls das Rügerecht endgültig verloren geht (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Juni 2005 X B 180/03, BFH/NV 2005, 1843). Wurde zur mündlichen Verhandlung kein Zeuge geladen, ist für den Kläger erkennbar, dass das FG die beantragte Zeugeneinvernahme nicht beabsichtigt; wird dies in der mündlichen Verhandlung nicht gerügt, liegt ein Verzicht auf den Verfahrensmangel des Übergehens eines Beweisantrags vor (BFH-Beschluss vom 28. September 2005 XI B 134/04, BFH/NV 2006, 314). Schließt das FG die mündliche Verhandlung, ist im Regelfall davon auszugehen, dass es seine Aufklärungspflicht für erfüllt hält und eine abschließende Entscheidung treffen wird. Das Übergehen eines zuvor gestellten Beweisantrags muss deshalb spätestens in diesem Zeitpunkt gerügt werden (Senatsbeschluss vom 18. August 1999 IV B 108/98, BFH/NV 2000, 165).
b) Ein Verfahrensmangel liegt danach nicht vor. Das FG hat die Sachaufklärungspflicht nicht verletzt, indem es von einer Beweiserhebung abgesehen hat.
aa) Im Streitfall hat das FG --unter Hinweis u.a. auf die Rechtsprechung des beschließenden Senats zu den Voraussetzungen einer einheitlich als freiberuflich oder als gewerblich zu beurteilenden Tätigkeit (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 2. Oktober 2003 IV R 48/01, BFHE 204, 80, BStBl II 2004, 363)-- entschieden, dass der Kläger mit der entgeltlichen Abgabe der Kompressionsstrümpfe an seine Patienten gewerblich tätig geworden ist. Da die Strümpfe nicht zum Selbstkostenpreis, sondern mit handelsüblichem Gewinnaufschlag weitergegeben wurden, handle es sich nicht um Auslagenersatz. Auch wenn die Behandlungserfolge des Klägers darauf zurückzuführen seien, dass er persönlich die Strümpfe anmesse und überprüfe, bedinge dies nicht, dass er sie auch bestelle und an die Patienten abgebe. Dies zeige die Behandlung der Kassenpatienten, bei denen der Kläger die Anmessung und Überprüfung in gleicher Weise vornehme, ohne jedoch in die Abrechnung einbezogen zu sein. Die Strümpfe seien auch gesondert in Rechnung gestellt worden.
bb) Der Kläger rügt demgegenüber, das FG hätte sich durch die angebotenen Beweise --Zeugen- und Sachverständigengutachten-- über seine Behandlungsmethode informieren müssen. Auf dieser Grundlage wäre es zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich um eine einzigartige Heilmethode handele, bei der die einzelnen Behandlungsschritte derart miteinander verknüpft seien, dass es sich um untrennbare Teile des einheitlichen Behandlungsansatzes handele.
Welche konkreten, zu einer anderen Beurteilung führenden Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme ergeben hätten, ist jedoch nicht erkennbar. Ermittlungsbedürftige Tatsachen hat der Kläger nicht bezeichnet. Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht ist daher nicht ausreichend dargelegt.
In der Sache macht der Kläger vielmehr geltend, das FG hätte bei Erhebung der angebotenen Beweise seine Beurteilung als einheitliche Tätigkeit übernehmen müssen. Er behauptet damit eine fehlerhafte Tatsachenwürdigung. Das genügt jedoch nicht. Denn selbst wenn Fehler in der Tatsachen- und Beweiswürdigung vorlägen, handelte es sich nicht um Verfahrensfehler, sondern um materiell-rechtliche Fehler, die grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führen (BFH-Beschluss vom 5. Juni 2003 I B 135/02, BFH/NV 2003, 1429, m.w.N.).
cc) Der vor dem FG rechtskundig vertretene Kläger hat die unterlassene Beweiserhebung auch nicht rechtzeitig gerügt. Er hatte die Beweisanträge schriftsätzlich vor der mündlichen Verhandlung gestellt. Die folgende mündliche Verhandlung war die aus dieser Sicht "nächste". Ausweislich der Niederschrift --von deren Richtigkeit auszugehen ist (zum andernfalls erforderlichen Antrag auf Protokollberichtigung s. BFH-Beschluss vom 30. Juni 2005 X B 173/04, BFH/NV 2005, 1850)-- hat er darin weder die Beweisanträge wiederholt, noch die unterlassene Beweiserhebung gerügt. Damit hat er das Rügerecht endgültig verloren.
Eine Rüge zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung war daher verspätet. Deshalb kann offen bleiben, ob die telefonischen Einwände dem Berichterstatter gegenüber überhaupt als --hinrei-chend substantiierte-- Rüge der unterlassenen Beweiserhebung hätten genügen können.
Fundstellen
Haufe-Index 1606151 |
BFH/NV 2006, 2265 |