Leitsatz (amtlich)

1. Wird ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 117 Abs. 2 BRAGebO), entsteht die Verhandlungsgebühr erst durch die gerichtliche Entscheidung und nicht bereits durch das Einreichen von Schriftsätzen.

2. Durch die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung entsteht, wenn zuvor mehrere Verfahren zu gemeinsamer Entscheidung verbunden waren, nur eine Verhandlungsgebühr.

 

Normenkette

FGO § 139 Abs. 3 S. 1; BRAGO § 31 Nr. 2, § 117 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Beschwerdegegnerin (Steuerpflichtige) und ihr verstorbener Ehemann wurden vom FA durch getrennte Haftungsbescheide zur Zahlung von je 55 177,29 DM Steuern aufgefordert. Gegen die Haftungsbescheide legten sie Einspruch ein. Durch getrennte Einspruchsentscheidungen wurde die Haftungssumme jeweils auf 23 705,09 DM herabgesetzt. Im übrigen wurden die Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen. Das damals zuständige Verwaltungsgericht wies die von der Steuerpflichtigen und von ihrem Ehemann eingelegte Berufung durch getrennte Urteile als unbegründet zurück. Auf die Anschlußberufung des FA erhöhte es die Haftung jeweils auf 24 018,09 DM. Gegen diese Urteile legten die Steuerpflichtige und ihr Ehemann gesondert das damals vorgesehene Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde ein. Nachdem der Ehemann der Steuerpflichtigen gestorben war, führte diese den Rechtsstreit als alleinige Erbin ihres Ehemannes fort. Der BFH verband die Rechtsbeschwerden zu gemeinsamer Entscheidung. Durch Urteil vom 8. Mai 1963 hob er die angefochtenen Entscheidungen auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurück, dem er auch die Entscheidung über die Kosten und über die Feststellung des Wertes des Streitgegenstandes übertrug. Nach Durchführung einer Beweisaufnahme stellte das Verwaltungsgericht durch Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. August 1965 fest, daß die Steuerpflichtige dem Grunde nach zu Recht zur Haftung herangezogen worden sei. Auf die Revision der Steuerpflichtigen hob der BFH durch Urteil vom 9. November 1966 das gegen sie ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts sowie die Einspruchsentscheidung und den Haftungsbescheid auf. Die Kosten des gesamten Verfahrens wurden dem FA auferlegt. Der Streitwert wurde auf 24 000 DM festgesetzt.

Mit Schriftsatz vom 30. Januar 1967 beantragte die Steuerpflichtige die Festsetzung der zu erstattenden Kosten. Dabei machte sie für das Verfahren vor dem BFH, das zu dem Urteil vom 8. Mai 1963 geführt hatte, als Aufwendungen für ihren Prozeßbevollmächtigten eine Prozeßgebühr und eine Verhandlungsgebühr gemäß § 117 Abs. 2 BRAGebO in Höhe von je 455 DM (13/10) sowie Auslagen für Porto und Telefon in Höhe von 1,80 DM und 36,47 DM Umsatzsteuer geltend. Der Urkundsbeamte des FG setzte die zu erstattenden Kosten durch Beschluß vom 16. Februar 1967 auf 4 248,19 DM fest, wobei er die genannten Aufwendungen für das Verfahren vor dem BFH in vollem Umfang berücksichtigte.

Das FA legte gegen diesen Beschluß Erinnerung ein. Unter Hinweis auf § 6 Abs. 1 BRAGebO führte es aus, die zu erstattenden Aufwendungen für das Verfahren vor dem BFH, das zu dem Urteil vom 8. Mai 1963 geführt habe, seien zu hoch festgesetzt worden. Der Urkundsbeamte des FG habe für dieses Verfahren bereits in dem Rechtsstreit, den die Steuerpflichtige als Erbin ihres Ehemannes fortgeführt habe, durch Beschluß vom 8. März 1966 eine Prozeßgebühr und eine Verhandlungsgebühr von je 455 DM festgesetzt. Die Beträge seien auch bereits gezahlt worden. Es sei nunmehr nur noch eine Prozeßgebühr in Höhe von 2/10 der vollen Gebühr = 91 DM festzusetzen. Die Verhandlungsgebühr und die Auslagen seien bei der Kostenerstattung nicht mehr zu berücksichtigen. Die Umsatzsteuer sei entsprechend zu berichtigen.

Das FG wies die Erinnerung durch Beschluß vom 7. März 1967 zurück. Gegen den Beschluß ließ es die Beschwerde zu.

Das FA legte Beschwerde ein.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde hat zum Teil Erfolg. Der Steuerpflichtigen sind für das Verfahren vor dem BFH, das zu dem Urteil vom 8. Mai 1963 geführt hat, nur noch eine Prozeßgebühr sowie die Auslagen des Prozeßbevollmächtigten einschließlich der Umsatzsteuer zu erstatten.

Aufgrund der Verbindung zur gemeinsamen Entscheidung durch den BFH ist aus den bis dahin getrennt geführten finanzgerichtlichen Verfahren eine Angelegenheit im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 BRAGebO geworden. Dagegen wenden sich auch das FG sowie die Beteiligten nicht. Das FA ist aber offenbar der Ansicht, daß der Prozeßbevollmächtigte der Steuerpflichtigen aufgrund dieser Verbindung nicht zwei Prozeßgebühren fordern könne. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß durch die getrennte Einlegung der Rechtsbeschwerden bereits zwei Prozeßgebühren entstanden waren, bevor die Verfahren vor dem BFH verbunden worden sind. Auf die vor der Verbindung erwachsenen Gebühren hatte die Verbindung zur gemeinsamen Entscheidung keinen Einfluß. Sie sind dem Prozeßbevollmächtigten der Steuerpflichtigen erhalten geblieben (vgl. Lauterbach, Kostengesetze, 15. Aufl., BRAGebO § 6 Anm. 2 B; Gerold-Schmidt, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 3. Aufl., § 6 Anm. 21; Riedel-Corves-Sußbauer, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 2. Aufl., § 6 Rdnr. 23). Da der Prozeßbevollmächtigte der Steuerpflichtigen demnach zwei Prozeßgebühren fordern kann, sind diese beiden Gebühren der Steuerpflichtigen auch zu erstatten.

Es ist auch kein Grund ersichtlich, der Steuerpflichtigen die Erstattung der Postgebühren in Höhe von 1,80 DM zu versagen.

Die Erstattung einer zweiten Verhandlungsgebühr für das Verfahren vor dem BFH kommt jedoch nicht in Betracht, da in diesem Verfahren nur eine Verhandlungsgebühr entstanden und auch bereits festgesetzt worden ist, wie das FA vorgetragen und die Steuerpflichtige eingeräumt hat. Dem FG und der Steuerpflichtigen kann darin nicht gefolgt werden, daß vor der Verbindung der Verfahren durch den BFH auch zwei Verhandlungsgebühren erwachsen seien. Die Auffassung, daß die Verhandlungsgebühr nach § 117 Abs. 2 BRAGebO bereits "mit der Einreichung dieser den Prozeßstoff klärenden Schriftsätze" entstehe und daß die Entscheidung des Gerichts nur für die "Durchsetzung" des Anspruchs auf die Verhandlungsgebühr Bedeutung habe, findet im Gesetz keine Grundlage. Aus dem Wortlaut des § 117 Abs. 2 BRAGebO, nach dem der Prozeßbevollmächtigte eine Verhandlungsgebühr nur erhält, wenn eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung getroffen worden ist, muß man entnehmen, daß die Verhandlungsgebühr in einem Verfahren ohne mündliche Verhandlung erst durch die Entscheidung des Gerichts entsteht.

Dieses Ergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 117 Abs. 2 BRAGebO. Da im finanzgerichtlichen Verfahren eine Entscheidung auch ohne mündliche Verhandlung ergehen kann, soll durch § 117 Abs. 2 BRAGebO erreicht werden, daß der Prozeßbevollmächtigte in einem solchen Fall die gleichen Gebühren erhält wie in einem Verfahren mit mündlicher Verhandlung. Die Verhandlungsgebühr nach § 117 Abs. 2 BRAGebO tritt in einem solchen Fall also an die Stelle der Verhandlungsgebühr nach § 31 Nr. 2 BRAGebO. Nach dieser Vorschrift entsteht die Verhandlungsgebühr erst aufgrund der mündlichen Verhandlung und nicht bereits durch das Einreichen von Schriftsätzen. Dieser Regelung entspricht es, daß die Verhandlungsgebühr nach § 117 Abs. 2 BRAGebO durch die gerichtliche Entscheidung entsteht. Würde die Verhandlungsgebühr in einem Verfahren ohne mündliche Verhandlung bereits durch das Einreichen von Schriftsätzen entstehen, so würde der Prozeßbevollmächtigte dadurch insofern bessergestellt, als dann für die Entstehung der Verhandlungsgebühr eine Tätigkeit maßgebend wäre, die bereits durch die Prozeßgebühr abgegolten wird. Eine solche Vergünstigung würde dem Sinn und Zweck des § 117 Abs. 2 BRAGebO nicht entsprechen.

Die Entscheidung des FG hinsichtlich der Verhandlungsgebühren kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, daß mit der Verhandlungsgebühr nach § 117 Abs. 2 BRAGebO der Beitrag des Bevollmächtigten zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch vorbereitende Schriftsätze abgegolten werden solle. Für die Schlußfolgerung, daß die Verhandlungsgebühr nach § 117 Abs. 2 BRAGebO mit dem Einreichen der Schriftsätze entstehe, bietet diese Begründung schon deshalb keine hinreichende Grundlage, weil zu dieser Zeit noch nicht feststeht, ob eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht.

Die Auffassung, daß die Verhandlungsgebühr nach § 117 Abs. 2 BRAGebO erst mit der Entscheidung entsteht, entspricht auch den im Schrifttum vertretenen Meinungen zur Entstehung der Verhandlungsgebühr nach dem mit § 117 Abs. 2 BRAGebO vergleichbaren § 35 BRAGebO (vgl. Lauterbach, a. a. O., BRAGebO § 35 Anm. 2 E; Gerold-Schmidt, a. a. O., § 35 Anm. 1; Riedel-Corves-Sußbauer, a. a. O., § 35 Rdnr. 7).

Da der Steuerpflichtigen eine weitere Verhandlungsgebühr nicht zu erstatten ist, muß die zu erstattende Umsatzsteuer auf 18,27 DM herabgesetzt werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68313

BStBl II 1969, 709

BFHE 1969, 498

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