Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesamtergebnis des Verfahrens; Verlust des Rügerechts; kein Rechtsanwendungsfehler bei Einzelwürdigung
Leitsatz (NV)
1. Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das FG seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens, also den gesamten konkretisierten Prozessstoff zugrunde zu legen; insbesondere ist der Inhalt der vorgelegten Akten und das Vorbringen der Prozessbeteiligten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen.
2. Wird eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch Übergehen von Beweisangeboten als (verzichtbaren) Verfahrensmangel gerügt, geht das Rügerecht durch rügelose Verhandlung zur Sache und damit durch bloßes Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren.
3. Ein offensichtlicher Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht ist nicht gegeben, wenn das FG auf der Basis der BFH-Rechtsprechung zur Problematik des maßgebenden Bauantrags i.S. des § 19 Abs. 4 EigZulG die konkreten Einzelfall-Umstände nicht als wesentliche Änderungen baurechtlicher Merkmale beurteilt und den gestellten Bauantrag als bloßen Nachtragsantrag auf der Grundlage sog. Tekturpläne gewertet hat.
4. Mit den in der Darstellung der eigenen Wertung und Rechtsansicht liegenden Einwendungen gegen die sachliche Richtigkeit des FG-Urteils und damit der Rüge der fehlerhaften Tatsachenwürdigung und unzutreffenden Rechtsanwendung durch das FG kann die Zulassung der Revision nicht erreicht werden.
Normenkette
EigZulG § 19 Abs. 4; FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1-2, § 115 Abs. 2 Nrn. 2-3, § 116 Abs. 3 S. 3; ZPO § 295
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Denn die geltend gemachten Zulassungsgründe sind zum Teil nicht gegeben (s. unten 1., 2.); im Übrigen (s. unten 3.) entspricht die Begründung nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
1. Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) gerügten Verfahrensmängel (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen nicht vor.
a) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Finanzgericht (FG) seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens, also den gesamten konkretisierten Prozessstoff zugrunde zu legen; insbesondere ist der Inhalt der vorgelegten Akten und das Vorbringen der Prozessbeteiligten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. April 2005 IX B 194/03, BFH/NV 2005, 1354, m.w.N.).
Im Streitfall ist ein als Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zu wertender Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten (vgl. BFH-Beschlüsse vom 4. Dezember 2003 XI B 180/01, BFH/NV 2004, 525; vom 22. Juli 2004 II B 26/03, BFH/NV 2004, 1546) nicht gegeben. Vielmehr hat das FG den vorliegenden Akteninhalt einschließlich der Bauakten und der eingeholten Auskunft der Bauordnungsbehörde festgestellt und nach Maßgabe der zu § 19 Abs. 4 des Eigenheimzulagengesetzes (EigZulG) ergangenen BFH-Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteile vom 30. September 2003 III R 52/00, BFHE 203, 550, BStBl II 2004, 262; vom 16. Juni 2004 X R 44/02, BFH/NV 2004, 1407; vom 4. November 2004 III R 61/03, BFHE 208, 165, BStBl II 2005, 328; Beschluss vom 26. April 2005 IX B 184/04, BFH/NV 2005, 1506) gewürdigt. Wenn diese Würdigung des vorliegenden Akteninhalts nicht entsprechend den klägerischen Vorstellungen ausgefallen ist oder die Würdigung den Klägern fehlerhaft erscheint, so handelt es sich allenfalls um materiell-rechtliche Fehler, aber nicht um einen Verfahrensverstoß; damit kann die Zulassung der Revision, wenn eine willkürliche oder greifbare gesetzwidrige Beurteilung --wie hier-- nicht ersichtlich ist, nicht erreicht werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Januar 2006 VIII B 113/05, BFH/NV 2006, 803; vom 17. Januar 2006 IX B 79/05, BFH/NV 2006, 802).
b) Insoweit liegt auch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) vor. Denn die rechtskundig vertretenen Kläger haben im Verlauf des Klageverfahrens zur Problematik des maßgebenden Bauantrags i.S. des § 19 Abs. 4 EigZulG vorgetragen; ausweislich des Sitzungsprotokolls wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem FG der wesentliche Inhalt der Akten vorgetragen und die Streitsache mit den Beteiligten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erörtert; das FG hat schließlich u.a. das diesbezügliche klägerische Vorbringen in seinen tatsächlichen Feststellungen zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung in Erwägung gezogen, also berücksichtigt. Wenn gleichwohl diese Problematik tatsächlich nicht zur Sprache gekommen sein sollte, so haben die Kläger es unterlassen vorzutragen, was sie bei (rechtzeitiger) Gewährung des rechtlichen Gehörs noch Entscheidungserhebliches vorgetragen hätten, und dass sie den (vermeintlichen) Mangel in der mündlichen Verhandlung gerügt haben oder weshalb diese Rüge nicht möglich war.
c) Soweit die Kläger in diesem Zusammenhang eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) durch Übergehen von Beweisangeboten als Verfahrensmangel rügen, haben sie --vor dem FG rechtskundig vertreten-- ihr Rügerecht durch rügelose Verhandlung zur Sache (s. Sitzungsprotokoll) und durch Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung; vgl. BFH-Beschlüsse vom 22. März 2001 IX B 149/00, BFH/NV 2001, 1037; vom 29. Oktober 2002 IV B 98/01, BFH/NV 2003, 326).
2. Auch ist eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) nicht erforderlich. Dabei bleibt hinsichtlich der Darlegung offen, ob die Kläger --wie erforderlich (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Februar 2005 IX B 119/04, BFH/NV 2005, 1130, unter 2.)-- eine erkennbar machende Gegenüberstellung von Rechtssätzen oder einen offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler des FG von erheblichem Gewicht dargetan haben.
Jedenfalls ist entgegen der Ansicht der Kläger weder eine Abweichung des FG-Urteils von der zitierten BFH-Rechtsprechung noch ein erheblicher Rechtsanwendungsfehler gegeben. Denn das FG hat auf der Basis der BFH-Rechtsprechung die konkreten Einzelfall-Umstände --entsprechend der Behandlung bei der Bauordnungsbehörde-- nicht als wesentliche Änderungen baurechtlicher Merkmale beurteilt; es hat danach den von den Klägern im August 1996 gestellten Bauantrag als bloßen Nachtragsantrag auf der Grundlage sog. Tekturpläne gewertet, der weder die Existenz des ursprünglich gestellten formellen Bauantrags noch die Identität des ursprünglich genehmigten und später verwirklichten Bauvorhabens berührt.
Mit den in der Darstellung der eigenen Wertung und Rechtsansicht liegenden Einwendungen gegen die sachliche Richtigkeit des FG-Urteils und damit der Rüge der fehlerhaften Tatsachenwürdigung und unzutreffenden Rechtsanwendung durch das FG kann die Zulassung der Revision nicht erreicht werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 16. Dezember 2005 IX B 38/05, BFH/NV 2006, 772; vom 4. Juli 2002 IX B 169/01, BFH/NV 2002, 1476).
3. Die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO haben die Kläger nicht hinreichend dargelegt. Denn eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche abstrakte, im Allgemeininteresse liegende Rechtsfrage wurde nicht herausgestellt (zu den Darlegungsanforderungen s. BFH-Beschluss vom 11. April 2006 X B 174/05, juris-web Nr. STRE2006650524).
Fundstellen
Haufe-Index 1615027 |
BFH/NV 2007, 70 |