Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Berücksichtigung des Existenzminimums bei der Umsatzsteuer
Leitsatz (NV)
1. Die Grundsätze des Beschlusses des BVerfG vom 25. September 1992 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91 und 2 BvL 14/91 (BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413), nach denen dem Einkommensteuerpflichtigen nach Erfüllung seiner Einkommensteuerschuld das sog. Existenzminimum verbleiben muß, können auf die Umsatzsteuer nicht übertragen werden, da diese - im Gegensatz zur Einkommensteuer - auf Abwälzung angelegt ist und nicht personenbezogen, sondern umsatzbezogen ist.
2. Die Vorschrift des § 19 UStG 1991 bezweckt nicht die Existenzsicherung des Kleinunternehmers.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1; UStG 1991 § 19
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist Rechtsanwältin. Nach ihren Voranmeldungen erzielte sie im Jahre 1991 einen Nettoumsatz von 25725 DM und im Streitjahr 1992 einen Bruttoumsatz von 20799,18 DM (= 18245 DM netto). Den Umsatzsteuervoranmeldungen I und II/1992, die zu einer Herabsetzung der bisher im Schätzungswege festgesetzten Vorauszahlungen führten, hat der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) zugestimmt. Die Antragstellerin hatte die Umsatzsteuervoranmeldungen I-III/1992 am 5. Oktober 1992 und die Umsatzsteuervoranmeldung IV/1992 am 12. Januar 1993 beim FA eingereicht.
Entsprechend den Voranmeldungen schuldet die Antragstellerin folgende Steuerbeträge:
Umsatzsteuer I/1992 ... DM
Umsatzsteuer II/1992 ... DM
Umsatzsteuer III/1992 ... DM
Umsatzsteuer IV/1992 ... DM
Das FA versucht, diese Steuerschulden beizutreiben. Gleichzeitig mit der Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldung IV/1992 wandte sich die Antragstellerin gegen eine vom FA vorgenommene Kontenpfändung und machte verfassungsrechtliche Bedenken gegen ihre Heranziehung zur Umsatzsteuer geltend (Schriftsatz vom 9. Januar 1992).
Das FA sah hierin einen Antrag auf Änderung der Umsatzsteuervoranmeldungen I-IV/ 1992, den es mit Bescheid vom 19. Januar 1993 ablehnte. Die Antragstellerin hat hiergegen Klage erhoben mit dem Antrag, die Vorauszahlungen auf 0 DM herabzusetzen.
Nachdem das Finanzgericht (FG) einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Voranmeldungen gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unzulässig abgewiesen hatte, beantragte die Antragstellerin die Aussetzung der Vollziehung der Bescheide bis zum Abschluß des Klageverfahrens im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 114 FGO.
Diesen Antrag wies das FG als unbegründet ab. Es verneinte einen Anordnungsanspruch der Antragstellerin auf Änderung der Umsatzsteuervoranmeldungen. Die Antragstellerin könne im Streitjahr 1992 nicht als Kleinunternehmerin behandelt werden, da ihre Umsätze im vorangegangenen Kalenderjahr 25000 DM überschritten hätten (§ 19 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1991). Eine verfassungswidrige Benachteiligung sah das FG nicht, und zwar u.a. deshalb, weil die Antragstellerin in der Lage gewesen sei, die ihren Mandanten in Rechnung gestellte Umsatzsteuer zusätzlich zu den Rechtsanwaltsgebühren zu berechnen.
Hiergegen richtet sich die vorliegende, vom FG zugelassene Beschwerde. Die Antragstellerin meint im wesentlichen, sie werde zu Marktpreisen tätig, so daß sie aus diesen genau die Umsatzsteuer bezahlen müsse wie die Einkommensteuer. Ebenso wie nach Zahlung der Einkommensteuer müsse ihr deshalb auch nach Zahlung der Umsatzsteuer noch das Existenzminimum verbleiben.
Entscheidungsgründe
Die Antragstellerin begehrt eine Regelungsanordnung i.S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO. Die Anordnung setzt nach § 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) voraus, daß ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht wird.
Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, besteht der von der Antragstellerin geltend gemachte Anordnungsanspruch auf Änderung der Umsatzsteuervorauszahlungen I-IV/1992 nicht. Die Voranmeldungen, die nach § 168 der Abgabenordnung (AO 1977) als Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung gelten, lassen nämlich keinen Rechtsfehler erkennen. Sie entsprechen den Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes. Die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1991 für die Nichterhebung der Steuer sind wegen der Höhe der Vorjahresumsätze nicht erfüllt. Selbst wenn die Voraussetzungen erfüllt wären, würde die Antragstellerin die ihren Mandanten in Rechnung gestellte Umsatzsteuer schulden (vgl. § 14 Abs. 2 und 3 UStG 1991).
Nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 25. September 1992 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91 und 2 BvL 14/91 (BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413) muß zwar dem der Einkommensteuerpflicht unterworfenen Steuerpflichtigen nach Erfüllung seiner Einkommensteuerschuld von seinem Erworbenen soviel verbleiben, als er zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts und - unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) - desjenigen seiner Familie bedarf. Die Grundsätze dieses Beschlusses können jedoch auf die Umsatzsteuer nicht übertragen werden, da diese - im Gegensatz zur Einkommensteuer - auf Abwälzung angelegt ist (vgl. zu § 19 UStG 1967 BVerfG-Beschluß vom 19. März 1974 1 BvR 416, 767, 779/68, BVerfGE 37, 38 unter II). Diese Abwälzung gelingt einem Rechtsanwalt regelmäßig, da er im Normalfall nicht mit freien Marktpreisen, sondern mit gesetzlich vorgeschriebenen Gebühren abrechnet und weil er die dem FA geschuldete Umsatzsteuer seinen Mandanten zusätzlich in Rechnung stellen darf (§ 25 Abs. 2 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte).
Die Einkommensteuer ist personenbezogen und muß deshalb auf die persönlichen Verhältnisse und den Lebensbedarf des Steuerpflichtigen Rücksicht nehmen. Die Umsatzsteuer ist umsatzbezogen und nimmt auf die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen grundsätzlich keine Rücksicht. Auch die Vorschrift des § 19 UStG 1991 bezweckt nicht die Existenzsicherung des Kleinunternehmers; sie stellt nicht auf dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse ab; vielmehr dient sie der Verwaltungsvereinfachung (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 66. Ergänzungslieferung August 1991, § 19 Anm. 2 m.w.N.). Auch deshalb können die Grundsätze des Beschlusses des BVerfG in BVerfGE 37, 38 im Streitfall keine Anwendung finden.
Fundstellen