Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensmängel; Inhalt und Umfang der gerichtlichen Hinweispflichten; keine Hinweispflicht bezüglich § 68 FGO a.F.; Anregung von Beweisanträgen, Verletzung der Amtsermittlungspflicht
Leitsatz (NV)
- Der richterliche Hinweis nach § 76 Abs. 2 FGO soll in erster Linie zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens, zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten geben, ohne dass deren Eigenverantwortlichkeit dadurch eingeschränkt oder beseitigt wird.
- Inhalt und Umfang der aus § 76 Abs. 2 FGO folgenden Hinweispflichten hängen von der Sach- und Rechtslage des Einzelfalls ab, von der Mitwirkung der Beteiligten und von deren individuellen Möglichkeiten. Auch bei fachkundig vertretenen Beteiligten entfallen die Hinweispflichten zwar nicht von vornherein. Das Unterlassen eines Hinweises bei steuerlich beratenen und durch einen sachkundigen Prozessbevollmächtigten vertretenen Beteiligten verletzt regelmäßig jedoch nicht die gerichtlichen Pflichten aus § 76 Abs. 2 FGO, es sei denn, es würden besondere Umstände dargelegt, die eine Ausnahme von dieser Regel erforderten.
- § 68 FGO i.d.F. des 1. FGOÄndG räumte dem Kläger ein befristetes verfahrensrechtliches Wahlrecht ein, über das der Kläger zu belehren war. Stellte der Kläger keinen Antrag nach § 68 FGO a.F., so hatte das Gericht keinen Anlass, von sich aus einen solchen Antrag anzuregen oder bei Ausbleiben eines fristgerechten Antrages insoweit zeitnah Erkundigungen einzuholen oder den Kläger gar auf das Fehlen eines solchen Antrages hinzuweisen.
- Das Gericht war ebenso wenig, solange es nicht sachlich entscheiden wollte, gehalten, zeitnah zu prüfen, ob der Kläger einen Antrag nach § 68 FGO a.F. gestellt hatte und im Falle einer Panne ggf. einen Wiedereinsetzungsantrag anzuregen.
- Ein konkreter Anlass für einen Hinweis konnte allenfalls in dem Zeitpunkt entstehen, in dem das Gericht sachlich über den angefochtenen ‐ ursprünglichen ‐ Bescheid entscheiden wollte, weil bei einer gesonderten Anfechtung eines Änderungsbescheides das Gericht gehindert war, das Verfahren endgültig abzuschließen. Besondere Umstände konnten auch dann vorliegen, wenn dem Gericht erkennbar war, dass der Kläger beabsichtigt hatte, einen Antrag zu stellen oder der Antrag gestellt worden sein musste, jedoch nicht bei Gericht ‐ fristgerecht ‐ eingegangen war.
- Liegt die Bedeutung bestimmter Tatsachen und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, diese Tatsachen bei Gericht vorzubringen und zu substantiieren sowie ggf. entsprechende Beweisanträge zu stellen, klar auf der Hand, so stellt ein unterlassener gerichtlicher Hinweis jedenfalls dann keine gegen § 76 Abs. 2 FGO verstoßende Pflichtverletzung dar, wenn ein Kläger steuerlich beraten und im Prozess entsprechend vertreten ist.
- Wird die Verletzung der Sachaufklärung von Amts wegen gerügt, so muss u.a. dargelegt werden, weshalb sich dem FG nach Lage der Akten eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen und warum die durch einen fachkundigen Prozessbevollmächtigten vertretenen Beteiligten nicht von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt haben. Zwar ist der Sachverhalt vom Gericht von Amts wegen zu erforschen. Der Amtsermittlungsgrundsatz wird indes durch die Mitwirkungspflichten der Beteiligten begrenzt. Er dient nicht dazu, Beweisanträge zu ersetzen, welche die fachkundig vertretene Partei selbst in zumutbarer Weise hätten stellen können, aber zu stellen unterlassen hat.
- Das Gericht ist auch nicht verpflichtet, einen steuerlich beratenen Beteiligten aufzufordern, Akteneinsicht zu beantragen. Vielmehr ist es Sache der Beteiligten, ihre sich aus § 78 FGO ergebenden Rechte selbst und ohne gerichtliche Aufforderung wahrzunehmen.
- Die Beteiligten trifft im finanzgerichtlichen Verfahren eine Mitverantwortung für die Sachaufklärung. Für die klagende Partei gilt dies in besonderer Weise bezüglich der ihrem Einflussbereich oder zumindest ihrem Wissensbereich zuzurechnenden Tatsachen.
Normenkette
FGO §§ 68, 74, 76 Abs. 1-2, §§ 78, 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 22.10.2002; Aktenzeichen 8 K 5792/02) |
Gründe
Von einer Darstellung des Sachverhalts sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ab.
Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat die behaupteten Verfahrensverstöße durch das Finanzgericht (FG) innerhalb der Begründungsfrist (vgl. § 116 Abs. 3 Sätze 1 und 4 FGO) nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargelegt (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Ein Verfahrensmangel ist schlüssig gerügt, wenn die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen ―ihre Richtigkeit unterstellt― den Mangel ergeben, die zur Begründung des Mangels erforderlichen Tatsachen lückenlos vorgetragen werden und die angefochtene Entscheidung ―nach der insoweit maßgebenden materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Gerichts― auf diesem Mangel beruhen kann.
a) Die Klägerin meint, das FG habe gegen die aus § 76 Abs. 2 FGO folgende Prozessförderungspflicht dadurch verstoßen, dass es nicht nach Ablauf der in § 68 Satz 2 FGO in der vor dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung (a.F.) bestimmten Monatsfrist zeitnah auf den fehlenden Eingang eines Antrags gemäß § 68 Satz 1 FGO a.F. hingewiesen habe.
aa) Der richterliche Hinweis nach § 76 Abs. 2 FGO soll in erster Linie zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens, zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten geben, ohne dass indes deren Eigenverantwortlichkeit dadurch eingeschränkt oder beseitigt wird.
Der Vorsitzende hat im Rahmen seiner richterlichen Prozessförderungs- und Fürsorgepflichten u.a. darauf hinzuweisen, dass Formfehler beseitigt und sachdienliche Anträge gestellt werden. Der Erfolg einer Klage soll nicht an der Rechtsunerfahrenheit des Klägers, zumal in Formsachen, scheitern (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 28. November 1991 XI R 13/90, BFH/NV 1992, 609).
Inhalt und Umfang der aus § 76 Abs. 2 FGO folgenden Hinweispflichten sind indes von der Sach- und Rechtslage des einzelnen Falles abhängig, von der Mitwirkung der Beteiligten und von deren individuellen Möglichkeiten. Die Hinweispflichten entfallen zwar auch bei fachkundig vertretenen Beteiligten nicht von vornherein (BFH-Urteil vom 19. Oktober 1993 VIII R 61/92, BFH/NV 1994, 790, m.w.N.). Jedoch stellt das Unterlassen eines Hinweises regelmäßig bei steuerlich beratenen und durch einen fach- und sachkundigen Prozessbevollmächtigten vertretenen Beteiligten keine Verletzung der Pflichten aus § 76 Abs. 2 FGO dar, es sei denn, es würden besondere Umstände, die eine Ausnahme von dieser Regel erforderten, dargelegt (BFH-Beschlüsse vom 19. März 2001 VII B 231/00, BFH/NV 2001, 1012, und vom 4. September 2002 II B 107/01, BFH/NV 2003, 182, jeweils m.w.N.).
bb) Nach der im Streitfall geltenden Fassung des § 68 FGO a.F. stand der Klägerin ein verfahrensrechtliches Wahlrecht zu, gegen den geänderten Gewerbesteuermessbetragsbescheid für 1994 vom 28. September 1998 fristgerecht entweder Einspruch einzulegen oder aber einen Antrag nach § 68 Satz 1 FGO a.F. innerhalb der gesetzlich bestimmten Monatsfrist zu stellen, diesen Änderungsbescheid zum Gegenstand des Klageverfahrens zu machen. Darüber war der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der dem Änderungsbescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung ordnungsgemäß belehrt worden.
Stand es der Klägerin aber frei, von diesen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten alternativ Gebrauch zu machen oder ggf. sogar den Änderungsbescheid bestandskräftig werden zu lassen, so hatte das FG keinen Anlass, von sich aus erneut eine Antragstellung gemäß § 68 FGO a.F. anzuregen oder bei einem ausbleibenden fristgerechten Antrag zeitnah Erkundigungen einzuholen bzw. die Klägerin sogar auf das Fehlen eines solchen Antrages hinzuweisen.
Ein derartiger konkreter Anlass für einen Hinweis kann allenfalls in dem Zeitpunkt entstehen, in dem das Gericht sachlich über den angefochtenen ―ursprünglichen― Bescheid entscheiden will. Wird nämlich der Änderungsbescheid gesondert durch Einspruch angefochten, so darf das Verfahren gegen den ursprünglichen Bescheid grundsätzlich solange nicht endgültig abgeschlossen werden, bis eine rechtskräftige Entscheidung über den Änderungsbescheid ergangen ist (BFH-Beschluss vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231).
Da die Entscheidung über den ursprünglichen Bescheid von der Wirksamkeit des Änderungsbescheides abhängt, ist das Verfahren gegen den ursprünglichen Bescheid nach § 74 FGO auszusetzen (vgl. auch BFH-Beschluss vom 17. November 2000 XI R 20/99, BFH/NV 2001, 787, m.w.N.).
Im Streitfall hatte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) die Änderung des Bescheids für 1994 dem FG mit Schreiben vom 30. September 1998 unter Beifügung des geänderten Bescheides mitgeteilt. Das FG hatte dieses Schreiben dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 7. Oktober 1998 zur Kenntnisnahme übersandt. In der Folgezeit ist das Gericht ausweislich der Gerichtsakten nicht tätig geworden. Auch im Schreiben vom 27. August 1999 hat der damalige Berichterstatter die Beteiligten lediglich auf eine Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 17. November 1998 1 BvL 10/98 (BStBl II 1999, 509) zur Verfassungsmäßigkeit der Gewerbeertragsteuer hingewiesen.
Erst im Rahmen einer am 1. Juli 2002 geänderten Geschäftsverteilung für den zuständigen Senat beim FG ist der Streitfall der dadurch zuständig gewordenen neuen Berichterstatterin zugeschrieben und am 24. Juli 2002 von ihr zur Kenntnis genommen worden.
Die Berichterstatterin hat daraufhin mit Schreiben vom 26. Juli 2002 den Prozessbevollmächtigten auf das Fehlen eines Antrags gemäß § 68 FGO a.F. hingewiesen.
Soweit die Klägerin auf die Ausführungen des Großen Senats des BFH im Beschluss vom 8. November 1971 GrS 9/70 (BFHE 103, 549, BStBl II 1972, 219, unter II. 4. aa der Gründe) Bezug nimmt, nach denen der Vorsitzende gemäß § 76 Abs. 2 FGO u.a. auch auf die Antragstellung hinzuwirken habe, kann daraus keinesfalls losgelöst von den konkreten Umständen eine generelle Hinweispflicht auf einen fehlenden Antrag abgeleitet werden. Die Ausführungen des Großen Senats des BFH betreffen die bis Ende 1992 geltende Rechtslage, nach der ein Antrag gemäß § 68 FGO unbefristet gestellt werden konnte. Wollte das Gericht in der Sache entscheiden, so musste es stets klären, ob es aus den o.g. verfahrensrechtlichen Gründen dazu befugt war. Der Große Senat hat indes keinerlei zeitliche Festlegung getroffen, wann ein solcher Hinweis zu geben war.
Dagegen ist durch die seit 1993 geltende geänderte Fassung des § 68 FGO a.F., die auch im Streitfall anzuwenden ist, das verfahrensrechtliche Wahlrecht befristet worden und in § 68 Satz 3 FGO a.F. ein ausdrücklicher Hinweis auf diese Frist in der Rechtsbehelfsbelehrung gesetzlich bestimmt worden.
Wird indes der Kläger ausdrücklich belehrt, so besteht keine Veranlassung für das Gericht, solange es nicht sachlich entscheiden will, zeitnah zu prüfen, ob der Kläger von dem Wahlrecht gemäß § 68 FGO a.F. Gebrauch gemacht hat und im Falle einer Panne ggf. einen Wiedereinsetzungsantrag anzuregen. Vielmehr könnte allenfalls aufgrund besonderer Umstände ein Anlass für das Gericht bestehen, den Kläger dann auf den fehlenden Eingang des Antrags hinzuweisen, nämlich wenn ihm aus irgendwelchen Anhaltspunkten erkennbar wird, dass der Kläger einen solchen Antrag zwar gestellt hat, dieser Antrag jedoch nicht beim Gericht fristgerecht eingegangen ist, oder dass der Kläger zumindest beabsichtigt hatte, einen Antrag zu stellen.
Hierfür hat indes weder die Klägerin etwas vorgetragen noch sind derartige Anhaltspunkte den Akten zu entnehmen.
Die den Streitfall betreffenden Akten der Finanzverwaltung sind erst auf Anforderung des Gerichts diesem am 26. April 2002 übersandt worden. Frühestens zu diesem Zeitpunkt wäre für das Gericht erkennbar gewesen, dass die Klägerin gegen den Änderungsbescheid für 1994 keinen Einspruch eingelegt hatte und mithin fraglich wurde, ob durch Eintritt der Bestandskraft hinsichtlich des Änderungsbescheides die Klägerin für die Fortführung der gegen den ursprünglichen Bescheid gerichteten Klage noch klagebefugt i.S. von § 40 Abs. 2 FGO war.
b) Die Klägerin rügt ferner, das FG habe seine Prozessführungspflicht nach § 76 Abs. 2 FGO auch insoweit verletzt, als das FG bei dem Prozessbevollmächtigten keine Beweisanträge bezüglich des Verbleibs seines Schreibens vom 5. Oktober 1998, mit welchem er u.a. den Antrag gemäß § 68 FGO a.F. hinsichtlich des Änderungsbescheides für 1994 gestellt haben will, angeregt habe.
Durch die Mitteilung der Berichterstatterin vom 26. Juli 2002, der Änderungsbescheid für 1994 vom 28. September 1998 sei nicht nach § 68 FGO a.F. zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden, und durch die Aufforderung vom 1. Oktober 2002, das Postausgangsbuch vorzulegen, sowie schließlich durch die Erörterung in der mündlichen Verhandlung vom 22. Oktober 2002 (vgl. dazu auch die Sitzungsniederschrift vom gleichen Tage, S. 2) war dem Prozessbevollmächtigten, der sich zudem des Beistands eines Rechtsanwaltes versichert hatte, eindeutig erkennbar, dass sowohl Absendung als auch Eingang des von ihm behaupteten Antragsschreibens klärungs- und nachweisbedürftig waren, zumal dem Prozessbevollmächtigten bewusst war, dass aufgrund der Diskrepanz zwischen dem Datum des Schreibens vom 5. Oktober 1998 und dessen Absendung erst am 27. Oktober 1998 Zweifel an der Beweiskraft des Postausgangsbuchs bestanden.
Liegt die Bedeutung bestimmter Tatsachen und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, diese Tatsachen bei Gericht vorzubringen und zu substantiieren sowie ggf. entsprechende Beweisanträge zu stellen, klar auf der Hand, so stellt ein unterlassener gerichtlicher Hinweis jedenfalls dann keine gegen § 76 Abs. 2 FGO verstoßende Pflichtverletzung dar, wenn ein Kläger ―wie hier― steuerlich beraten und im Prozess entsprechend vertreten war. Unterlässt der Kläger in einem solchen Fall einen hinreichenden Vortrag und sieht er von Beweisanträgen ab, so kann dies nicht dem Gericht angelastet werden (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2001, 1012, m.w.N.; vom 4. August 1999 VIII B 51/98, BFH/NV 2000, 204).
Die Klägerin erklärt nicht, warum ihre Vertreter die in der Beschwerdebegründung nunmehr aufgeführten Beweisanträge trotz der ausweislich der Sitzungsniederschrift erkennbar problematischen Beweislage nicht in Erwägung gezogen und gestellt haben. Das Protokoll enthält hingegen den ausdrücklichen Verzicht des Klägervertreters auf weiter gehende Beweisanträge bezüglich des rechtzeitigen Eingangs des Antrags gemäß § 68 FGO a.F.
c) Der wegen der behaupteten Verletzung der gerichtlichen Hinweispflichten gleichzeitig gerügte Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör ist aus den oben dargelegten Gründen gleichfalls nicht schlüssig erhoben.
d) Auch die von der Klägerin geltend gemachte Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO ist nicht schlüssig dargetan worden.
aa) Wird der Verfahrensmangel der Verletzung der Sachaufklärungspflicht von Amts wegen gerügt, so muss u.a. dargelegt werden, weshalb sich dem FG nach Lage der Akten eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen und warum die durch einen fachkundigen Prozessbevollmächtigten vertretene Klägerin nicht von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat. Zwar hat das FG nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Der Amtsermittlungsgrundsatz wird aber durch die Mitwirkungspflichten der Beteiligten nach § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO begrenzt. Die Sachaufklärungsrüge kann nicht dazu dienen, Beweisanträge zu ersetzen, welche die fachkundig vertretene Partei selbst in zumutbarer Weise hätte stellen können, aber zu stellen unterlassen hat (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2000, 204; vom 12. März 1996 VIII B 134/95, BFH/NV 1996, 691, m.umf.N.).
Im Streitfall kommt hinzu, dass die Klägerin bzw. ihr Prozessbevollmächtigter konkret zur Absendung des Schreibens vom 5. Oktober 1998 nichts ausgeführt hat, insbesondere auch die in der Beschwerdebegründung erwähnte mögliche Beweiserhebung durch Einvernahme der mit der Absendung des Schreibens betrauten Mitarbeiterin beim Prozessbevollmächtigten, Frau Z, ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht beantragt hat. Ebenso wenig ist insoweit eine Protokollrüge erhoben worden.
Weder hat der Prozessbevollmächtigte eine eidesstattliche Versicherung dieser Mitarbeiterin vorgelegt noch hat er sie in der mündlichen Verhandlung präsentiert, sondern stattdessen eine andere Mitarbeiterin, nämlich Frau W, in die Verhandlung mitgenommen.
Das FG hat im Übrigen ausweislich der Akten mit Schreiben vom 27. August 2002 beim FA entsprechende Nachforschungen erbeten, deren negatives Resultat (Schreiben des FA vom 6. September 2002) dem Prozessbevollmächtigten am 12. September 2002 auch zur Kenntnis gebracht worden ist. Darüber hinaus hat das FG in den für den Streitfall unmittelbar einschlägigen Gerichtsakten nach diesem Schreiben gesucht. Der Klägerin und ihrem Prozessbevollmächtigten war es unbenommen, Einsicht in sämtliche, den ABC-Komplex betreffende Akten und weiter gehendere Nachforschungen bei der Posteingangsstelle des FG oder der Geschäftsstelle zu beantragen.
Das Gericht musste die Klägerin, zumal sie steuerlich beraten war, nicht eigens dazu auffordern. Vielmehr ist es Sache der Beteiligten, ihre sich aus § 78 FGO ergebenden Rechte selbst und ohne Aufforderung wahrzunehmen (BFH-Beschluss vom 24. März 1998 I B 106/97, BFH/NV 1998, 1200, 1201).
Die Beteiligten trifft im finanzgerichtlichen Verfahren eine Mitverantwortung für die Sachaufklärung (vgl. auch § 76 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 FGO); für die klagende Partei gilt dies in besonderer Weise bezüglich der ihrem Einflussbereich oder zumindest ihrem Wissensbereich zuzurechnenden Tatsachen (BFH-Urteile vom 7. August 1974 II R 177/73, BFHE 113, 540, BStBl II 1975, 119, 121; vom 12. Dezember 2000 VIII R 36/99, BFH/NV 2001, 789, 790, m.w.N.).
Im Streitfall fehlte es bereits an einem hinreichend substantiierten Vortrag, dass das Schreiben vom 5. Oktober 1998 überhaupt abgesandt worden war und an entsprechenden Beweisantritten (vgl. zur ständigen Rechtsprechung bezüglich des erforderlichen Vortrags im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrags BFH-Beschlüsse vom 14. Februar 2002 VII B 112/01, BFH/NV 2002, 798, m.w.N.; vom 23. Januar 2001 VI B 62/99, BFH/NV 2001, 928, 929, und vom 15. Oktober 1998 IV B 5/98, BFH/NV 1999, 585, und dort auch zur Feststellungslast).
Die von der Klägerin als Beleg für eine Prüfungspflicht des Gerichts hinsichtlich des Eingangs von Schriftsätzen zitierten Entscheidungen des BFH betreffen nicht mit dem Streitfall vergleichbare Sachverhalte.
Nach dem BFH-Urteil vom 1. Dezember 1988 IV R 96/88 (BFH/NV 1989, 522, 523) hatte der Prozessvertreter dort die rechtzeitige Absendung der Prozessvollmacht an das FG nachgewiesen und auf ein mögliches Büroversehen beim FG hingewiesen. Nach Auffassung des BFH habe bei dieser Sachlage damit gerechnet werden müssen, dass die Prozessvollmacht beim FG rechtzeitig eingegangen, aber nicht in die für dieses Verfahren angelegten Akten abgeheftet worden sei. Unter diesen Umständen hätte das FG, um seiner Sachaufklärungspflicht in hinreichendem Maß zu genügen, nach dem Verbleib der Prozessvollmacht weiterforschen müssen.
Im BFH-Urteil vom 23. Oktober 1986 IV R 54/86 (BFH/NV 1988, 408, 409) war das FG unter Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ausweislich der Gerichtsakten unzutreffend von einem für den Kläger nachteiligen Prozessverhalten des Prozessbevollmächtigten ausgegangen.
bb) Eine Vernehmung der Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten, Frau Z, als Zeugin musste sich dem FG schon deshalb nicht aufdrängen, weil sie ausweislich der Akten und insbesondere der Sitzungsniederschrift vom 22. Oktober 2002 zu keinem Zeitpunkt als die für die Versendung von Schriftsätzen verantwortliche Bürokraft benannt worden ist. Beweis ist im Übrigen nur hinsichtlich beweisbedürftiger Tatsachen zu erheben. Dies erfordert zunächst aber einen schlüssigen Vortrag der Absendung, der im Streitfall ―wie ausgeführt― unterlassen worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 1092913 |
BFH/NV 2004, 645 |