Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensmangel der Verletzung rechtlichen Gehörs durch Ladung einer vollbeendeten KG
Leitsatz (NV)
1. Der Verfahrensmangel der Verletzung rechtlichen Gehörs liegt u.a. dann vor, wenn ein Beteiligter nicht oder nicht ordnungsgemäß zum Termin der mündlichen Verhandlung geladen worden und deshalb nicht erschienen ist.
2. Prozessual ist auf die liquidationslose Vollbeendigung einer KG durch Übertragung ihres Gesellschaftsvermögens auf den letzten Kommanditisten im Wege der Gesamtrechtsnachfolge § 239 ZPO - Unterbrechung durch den Tod der Partei - über § 155 FGO sinngemäß anzuwenden.
3. Die Unterbrechung des Verfahrens ist vom FG von Amts wegen zu beachten.
4. Während der Unterbrechung des Verfahrens sind Prozesshandlungen des Gerichts, die die Hauptsache betreffen, gegenüber dem Beteiligten wirkungslos. Aus diesem Grunde scheidet auch die Heilung von Verfahrensfehlern durch eine spätere Aufnahme des Verfahrens aus.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 5 S. 2 Hs. 2, Abs. 6, § 119 Nr. 3, § 155; HGB § 131 Abs. 3 Nr. 5, § 145 Abs. 1, § 161 Abs. 2; ZPO §§ 246, 249 Abs. 2, § 250; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 22.08.2006; Aktenzeichen 8 K 1411/05) |
Tatbestand
I. Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist die B-GmbH als Rechtsnachfolgerin der H-GmbH & Co. KG.
Unternehmensgegenstand der H-GmbH & Co. KG waren der Erwerb und die Bebauung von Grundstücken sowie deren anschließende Verwaltung und Vermietung.
Nachdem die H-GmbH & Co. KG zunächst keine Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr (2003) abgegeben hatte, führte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) im Juni 2004 eine Umsatzsteuersonderprüfung durch.
Der Umsatzsteuersonderprüfung folgend schätzte das FA die Umsätze zum allgemeinen Steuersatz auf 150 000 € und die Vorsteuerbeträge aus Rechnungen von anderen Unternehmen auf 0 € und setzte die Umsatzsteuer für 2003 mit Bescheid vom 18. August 2004 auf 24 000 € fest.
Hiergegen legte die H-GmbH & Co. KG Einspruch ein.
Im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zur Aussetzung der Vollziehung (AdV) reichte die H-GmbH & Co. KG die Umsatzsteuererklärung für 2003 beim Finanzgericht (FG) ein. Darin begehrte sie, die in einer Rechnung der G-GmbH gesondert ausgewiesene Vorsteuer in Höhe von 14 400 € abzuziehen.
Im Beschluss vom 3. Dezember 2004 über den Antrag auf AdV führte das FG aus, dass die Rechnung der G-GmbH weder eine hinreichende Beschreibung der Leistung enthalte, über die abgerechnete werde, noch ersichtlich sei, dass die H-GmbH & Co. KG von der G-GmbH eine Leistung für ihr Unternehmen bezogen habe.
Mit Einspruchsentscheidung vom 1. April 2005 setzte das FA die Umsatzsteuer für 2003 unter Änderung des Bescheides vom 18. August 2004 auf 13 742,93 € fest. Im Übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück. Den von der H-GmbH & Co. KG begehrten Vorsteuerabzug aus der Rechnung der G-GmbH gewährte das FA dem Beschluss des FG folgend ebenfalls nicht.
Hiergegen erhob die H-GmbH & Co. KG Klage.
Mit Ladung vom 1. August 2006 gegen Postzustellungsurkunde wurde die H-GmbH & Co. KG, die nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war, zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 22. August 2006 geladen.
Am 18. August 2006 --dem Senat des FG am 21. August 2006 vorgelegt-- begehrte die Klägerin schriftsätzlich Terminsverschiebung unter Hinweis auf ein schriftliches Gutachten zum Insolvenzantragsverfahren über das Vermögen der H-GmbH & Co. KG vom 16. Dezember 2005, in dem der Gutachter ausführt, dass die H-GmbH & Co. KG im Oktober 2005 nach dem Ausscheiden ihres vorletzten Kommanditisten entsprechend dem Gesellschaftsvertrag liquidationslos voll beendet worden und damit endgültig erloschen sei.
Den Antrag auf Terminsaufhebung lehnte das FG ab.
In der mündlichen Verhandlung vor dem FG erschien für die Klägerin niemand.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Das FG ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie Verfahrensfehler rügt. Im Wesentlichen trägt sie vor, das Urteil des FG verletze den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Sie, die Klägerin, sei nicht wirksam --jedenfalls fehlerhaft-- zum Termin der mündlichen Verhandlung geladen worden. Darüber hinaus sei der Antrag auf Terminsverlegung zu Unrecht abgelehnt worden. Die mündliche Verhandlung sei zu verlegen gewesen, da ihr die Ladung und Terminsbestimmung zur mündlichen Verhandlung nicht wirksam bekannt gegeben worden sei.
Zudem sei die Ladung unwirksam, weil sie während einer Verfahrensunterbrechung ergangen sei. Die Ladung sei an den Geschäftsführer der H-GmbH & Co. KG gerichtet gewesen und damit an einen im Zeitpunkt der Zustellung nicht mehr existenten Inhaltsadressaten. Die Personengesellschaft erlösche unmittelbar durch ihre Vollbeendigung. In die materielle Steuerpflicht und die prozessuale Beteiligtenstellung der H-GmbH & Co. KG sei die B-GmbH eingetreten. Prozessuale Verfügungen hätten nicht mehr an die H-GmbH & Co. KG gerichtet werden können.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
1. Das Urteil beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Die Klägerin war nicht zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 22. August 2006 geladen worden.
Die Klägerin hat u.a. als Verfahrensmangel Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerügt. Ein solcher Verfahrensmangel liegt u.a. dann vor, wenn ein Beteiligter nicht oder nicht ordnungsgemäß zum Termin der mündlichen Verhandlung geladen worden und deshalb nicht erschienen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. Nachweise bei Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 91 Rz 14).
Mit Ladung vom 1. August 2006 gegen Postzustellungsurkunde wurde die H-GmbH & Co. KG zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 22. August 2006 geladen. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings die H-GmbH & Co. KG nach dem Ausscheiden ihres vorletzten Kommanditisten im Oktober 2005 bereits erloschen. Gemäß §§ 161 Abs. 2, 131 Abs. 3 Nr. 5, 145 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) und den gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen wurde mit dem Ausscheiden des vorletzten Kommanditisten die Gesellschaft unter Übertragung des Vermögens auf den letzten Kommanditisten liquidationslos voll beendet (vgl. hierzu auch Urteile des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 16. Dezember 1999 VII ZR 53/97, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2000, 1119; vom 15. März 2004 II ZR 247/01, Betriebs-Berater --BB-- 2004, 1244; MünchHdb.GesR II/Piehler/Schulte, 2. Aufl., § 36 KG Rz 31; MünchKommHGB/Karsten Schmidt, 2. Aufl., § 145 Rz 33). In diesen Fällen erwirbt der verbleibende Gesellschafter das Gesellschaftsvermögen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge, und die Gesellschaft erlischt (vgl. BGH-Urteil in BB 2004, 1244; Baumbach/Hopt, HGB, 33. Aufl., Einl v § 1 Rz 43; MünchKommHGB/Karsten Schmidt, a.a.O., § 145 Rz 33 und 37). Demnach ist im Streitfall die Klägerin --wovon auch das FG ausgegangen ist-- Gesamtrechtsnachfolgerin der H-GmbH & Co. KG.
Prozessual ist auf diesen Rechtsübergang während des finanzgerichtlichen Klageverfahrens die Vorschrift des § 239 der Zivilprozessordnung (ZPO) --Unterbrechung durch den Tod der Partei-- über § 155 FGO sinngemäß anzuwenden (vgl. BFH-Urteile vom 25. April 2006 VIII R 52/04, BFHE 214, 40, BStBl II 2006, 847; vom 22. November 1988 VIII R 90/84, BFHE 155, 250, BStBl II 1989, 326, und VIII R 62/85, BFHE 155, 322, BStBl II 1989, 359; BGH-Beschluss vom 18. Februar 2002 II ZR 331/00, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis --ZIP-- 2002, 614; BGH-Urteil in BB 2004, 1244; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 239 Rz 6). Die Ausnahmevorschrift des § 246 ZPO greift im Streitfall nicht, weil die H-GmbH & Co. KG nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war. Die Unterbrechung des Verfahrens war vom FG von Amts wegen zu beachten. Während des Verfahrensstillstandes durften keine Entscheidungen des Gerichts gemäß § 155 FGO i.V.m. § 249 Abs. 2 ZPO ergehen (vgl. BGH-Beschluss vom 5. Februar 1965 V ZB 12/64, BGHZ 43, 135, 136). Daher sind Prozesshandlungen des Gerichts --wie Ladungen und Zustellungen--, die die Hauptsache betreffen, während der Unterbrechung des Verfahrens gegenüber den Beteiligten wirkungslos (vgl. BGH-Beschlüsse vom 15. Februar 1984 IVb ZB 577/80, NJW 1984, 2829, 2830, und vom 29. März 1990, III ZB 39/89, BGHZ 111, 104, 107; Zöller/Greger, a.a.O., § 249 Rz 7, m.w.N.). Aus diesem Grunde scheidet auch die Heilung von Verfahrensfehlern durch eine Aufnahme des Verfahrens (§ 250 ZPO) seitens der Klägerin aus (vgl. BGH-Urteil vom 19. Dezember 1989 VI ZR 32/89, NJW-Rechtsprechungsreport Zivilrecht 1990, 342).
Die Ladung der H-GmbH & Co. KG durch das FG vom 1. August 2006 ist daher aufgrund der Verfahrensunterbrechung vom Oktober 2005 wirkungslos. Mithin fehlt es im Streitfall auch an einer wirksamen Ladung der Klägerin.
2. Der Senat hält es für sachgerecht, die Vorentscheidung nach § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
3. Da bereits der erörterte Verfahrensmangel zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führt, kann auf sich beruhen, ob die von der Klägerin ferner geltend gemachten weiteren Verfahrensmängel vorliegen.
4. Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2, 2. Halbsatz FGO abgesehen, der auch für das Verfahren nach § 116 Abs. 6 FGO Anwendung findet (vgl. BFH-Beschluss vom 6. Juni 2007 VIII B 154/06, BFH/NV 2007, 1910, m.w.N.).
Fundstellen