Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Anforderungen an ein Richterablehnungsgesuch
Leitsatz (NV)
- Die Zurückweisung eines Antrags auf Ablehnung eines Richters ist nur dann selbständig mit der Beschwerde anfechtbar, wenn sie durch gesonderten Beschluss erfolgt.
- Zur Darlegung von Ablehnungsgründen sind hinreichend substantiiert und nachvollziehbar Tatsachen vorzutragen (und sodann glaubhaft zu machen), die bei objektiver Betrachtung die Besorgnis rechtfertigen könnten, ein Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Ohne Angabe von Tatsachen liegt kein zulässiges Ablehnungsgesuch vor.
- Vermeintliche Ablehnungsgründe, die im Verlauf einer mündlichen Verhandlung oder auch eines Erörterungstermines entstehen, sind sofort, d.h. bis zum Schluss dieser ‐ gegebenenfalls zur Abfassung einer Begründung kurzzeitig unterbrochenen ‐ Verhandlung ordnungsgemäß geltend zu machen und zu begründen.
- Eine sofortige Begründung des Ablehnungsgesuches ist grundsätzlich auch einer im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht anwaltlich vertretenen Partei zumutbar.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 3, § 132; ZPO § 42 Abs. 2, §§ 43, 44 Abs. 1-3, § 47
Gründe
Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet; sie war durch Beschluss gemäß § 132 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
1. Die Ausführungen des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) in der Beschwerdeschrift zur Zurückweisung des Richterablehnungsgesuchs sind nicht als selbständige Beschwerde, sondern als unselbständige Verfahrensrüge im Rahmen der gegen das Urteil eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde zu behandeln; eine selbständige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Richterablehnungsgesuchs wäre bereits als unzulässig anzusehen.
Die Zurückweisung eines Antrags auf Ablehnung eines Richters ist nämlich nur dann selbständig mit der Beschwerde anfechtbar, wenn sie durch gesonderten Beschluss erfolgt (Beschluss des erkennenden Senats vom 19. Dezember 1995 III B 134/93, BFH/NV 1996, 611, m.w.N.). Ein solcher gesonderter Beschluss des FG ist nicht erforderlich, wenn das Ablehnungsgesuch rechtsmissbräuchlich und deshalb offensichtlich unzulässig ist (Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 51 Anm. 57, m.w.N.). In den Fällen offensichtlicher Unzulässigkeit kann das Gericht auch in den Urteilsgründen darlegen, dass es das Ablehnungsgesuch für rechtsmissbräuchlich hält. Diese Urteilsgründe sind nicht selbständig anfechtbar; sie unterliegen der Überprüfung nur im Rahmen von Rechtsmitteln gegen das Urteil (Senatsentscheidung in BFH/NV 1996, 611).
So liegt die Sache im Streitfall. Das FG hat das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen den Vorsitzenden des Senats als rechtsmissbräuchlich und daher als offensichtlich unzulässig angesehen und hierüber in den Gründen des erstinstanzlichen Urteils befunden.
2. Die als unselbständige Verfahrensrüge zu behandelnde Rüge einer Verletzung des § 47 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ist jedoch nicht begründet. Das Finanzgericht (FG) konnte in der Sache entscheiden, ohne vorab durch Beschluss über das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter entschieden zu haben.
a) Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dies ist nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dann der Fall, wenn ein Verfahrensbeteiligter bei Würdigung aller Umstände einen vernünftigen und auch bei objektiver Betrachtungsweise anzuerkennenden Grund zu der Annahme hat, der Richter werde sich aus einer in seiner Person liegenden individuellen Ursache heraus bei seiner Entscheidung von nicht sachgerechten Rücksichten leiten lassen (BFH-Beschluss vom 12. April 1990 I B 37/89, BFH/NV 1991, 172, m.w.N.). Nicht erforderlich ist, dass der Richter tatsächlich voreingenommen ist (BFH-Beschluss vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, 557; Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 3. März 1966 2 BvE 2/64, BVerfGE 20, 9, 14; vom 29. Mai 1973 2 BvQ 1/73, BVerfGE 35, 171, 172) oder sich selbst für befangen hält (Beschlüsse in BVerfGE 20, 9, 14; BVerfGE 35, 171, 172).
b) Die Ablehnungsgründe sind nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 44 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen. Es müssen somit hinreichend substantiiert und nachvollziehbar Tatsachen vorgetragen (und sodann glaubhaft gemacht) werden, die bei objektiver Betrachtung die Besorgnis rechtfertigen könnten, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Ohne Angabe von Tatsachen liegt kein zulässiges Ablehnungsgesuch vor (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11. August 1992 III S 21/92, BFH/NV 1993, 183; vom 22. Januar 1993 III S 44, 45/92, nicht veröffentlicht ―NV―, juris STRE 935021560; Gräber/Koch, a.a.O., § 51 Anm. 23, m.w.N.; Beschluss des Oberlandesgerichts ―OLG― Köln vom 18. April 1996 14 WF 66/96, Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungsreport Zivilrecht ―NJW-RR― 1996, 1339).
Hier kann jedoch offen bleiben, ob die vom Kläger im Zusammenhang mit der Durchführung der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Gründe die Annahme der Voreingenommenheit des Vorsitzenden Richters rechtfertigen könnten, da der Kläger seine Ablehnungsgründe schon nicht rechtzeitig dargelegt hat.
Die das Verfahren der Geltendmachung eines Ablehnungsgesuches wegen Besorgnis der Befangenheit regelnden Vorschriften der §§ 43, 44 ZPO dienen der Prozessförderung und der Prozesswirtschaftlichkeit; sie sollen einer willkürlichen Verzögerung entgegenwirken und verhindern, dass bereits geleistete prozessuale Arbeit nutzlos wird. Insbesondere soll der Partei, die den Ablehnungsgrund kennt, keine Dispositionsbefugnis hinsichtlich des Zeitpunkts der Geltendmachung zufallen (Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 58. Aufl., § 43 Rz. 2, § 44 Rz. 1; Vollkommer in Zöller, Zivilprozeßordnung, 21. Aufl., § 43 Rz. 1). Weiter ist zu berücksichtigen, dass die nach § 44 Abs. 3 ZPO von dem abgelehnten Richter zu fertigende dienstliche Äußerung nur abgegeben werden kann, wenn ein substantiiert begründetes Ablehnungsgesuch vorliegt. Auch die nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 44 Abs. 2 Satz 2 ZPO erforderliche Glaubhaftmachung kann denknotwendig nur erfolgen, wenn das Gesuch unverzüglich begründet wird.
Ausgehend von diesem Normzweck fordert die Rechtsprechung, dass die Begründung eines Ablehnungsgesuchs ―jedenfalls in ihrem wesentlichen Kern― sofort abzugeben ist; sie kann nicht nachgereicht werden (s. Senatsentscheidung in BFH/NV 1996, 611; OLG Köln in NJW-RR 1996, 1339; Vollkommer in Zöller, a.a.O., § 43 Rz. 2, m.w.N.). Daher hat jede Partei vermeintliche Ablehnungsgründe, die im Verlauf einer mündlichen Verhandlung oder auch eines Erörterungstermines entstehen, bis zum Schluss dieser ―ggf. zur Abfassung einer Begründung kurzzeitig unterbrochenen― Verhandlung ordnungsgemäß geltend zu machen und zu begründen (s. BFH-Beschluss vom 21. Juli 1993 IV B 183/92, BFH/NV 1994, 558). Würde man hingegen der Partei nachlassen, Ablehnungsgründe auch zu einem späteren Zeitpunkt nach Abschluss der mündlichen Verhandlung "nachzureichen", könnte die betreffende Partei den Fortgang der Verhandlung und damit ggf. des gesamten Verfahrens nach seinem Belieben verzögern.
Eine sofortige Begründung des Ablehnungsgesuches erscheint auch einer im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht anwaltlich vertretenen Partei zumutbar, zumal die Begründung auch mündlich vorgetragen werden kann (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 44 Abs. 1 ZPO). Sofern die Partei noch Erkundigungen einziehen muss, bleibt es ihr unbenommen, eine kurzzeitige Unterbrechung der mündlichen Verhandlung zu beantragen.
Der Kläger hat mit seinem Ablehnungsgesuch ausschließlich Gründe geltend gemacht, die in der mündlichen Verhandlung vom 28. Oktober 1999 entstanden sind. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung hat der Kläger jedoch lediglich die Ablehnung des Vorsitzenden Richters zu Protokoll gegeben und angekündigt, eine Begründung nachreichen zu wollen. Während der mündlichen Verhandlung lag daher kein Ablehnungsgesuch vor, in dem die Gründe für die Ablehnung ordnungsgemäß dargelegt worden waren. Ein unbegründetes Ablehnungsgesuch ist indes unbeachtlich (Senatsentscheidung in BFH/NV 1996, 611).
3. Soweit der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht, ist die Beschwerde bereits unzulässig. Wird eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) begehrt, ist es erforderlich, in der Beschwerdebegründung eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage herauszuarbeiten und darzulegen, inwieweit diese Rechtsfrage im Allgemeininteresse an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig ist. Hierzu ist auszuführen, ob und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten ist (BFH-Beschluss vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625). Hat der BFH über eine Rechtsfrage bereits entschieden, hat der Beschwerdeführer zudem darzutun, welche Argumente oder Gesichtspunkte dabei bisher noch nicht berücksichtigt worden sind.
Schlüssige Darlegungen im vorgenannten Sinn enthält die Beschwerdeschrift nicht. Die Ausführungen des Klägers erschöpfen sich in der Behauptung, das angefochtene Urteil sei objektiv unrichtig. Damit genügt die Beschwerdebegründung nicht den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.
4. Im Übrigen ergeht die Entscheidung gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 17. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2447) ohne Angabe weiterer Gründe.
Fundstellen
Haufe-Index 509983 |
BFH/NV 2001, 48 |