Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Fristversäumnis durch Tätigwerden erst gegen Fristende
Leitsatz (NV)
Wartet ein Verfahrensbeteiligter mit der Absendung seines Antrags auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis kurz vor Ablauf dieser Frist, so kann ihm im Falle der Fristversäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur gewährt werden, wenn er zur Fristwahrung alles unternommen hat, was vernünftigerweise unter den gegebenen Umständen zu erwarten war (Übersendung des Antrags im Wege der Eilzustellung oder durch Telegramm).
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 120 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat die vom Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhobene Klage mit Urteil vom 4. September 1985 abgewiesen, ohne die Revision zuzulassen, und die Entscheidung dem Kläger am 4. Oktober 1985 zugestellt. Dagegen hat der Kläger am 30. Oktober 1985 Revision eingelegt und gleichzeitig Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision erhoben. Die Revisionsbegründung ist am 25. März 1986 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen.
Der Senatsvorsitzende hatte die Frist zur Begründung der Revision antragsgemäß bis zum 20. Februar 1986 verlängert. Am 21. Februar 1986 ging beim BFH ein Schreiben des früheren Prozeßbevollmächtigten des Klägers ein, mit dem eine weitere Verlängerung der Frist zur Begründung der Revision bis zum 20. Mai 1986 beantragt wurde. Dieser Fristverlängerungsantrag war nach dem bei den Akten befindlichen Briefumschlag am 19. Februar 1986 um 17 Uhr, einen Tag vor Ablauf der verlängerten Revisionsbegründungsfrist, durch Einschreiben gegen Rückschein beim Postamt 11 in Hamburg aufgegeben und ausweislich einer vom Klägervertreter übersandten Ablichtung des Rückscheins am 21. Februar 1986 um 10 Uhr beim Postamt München 86 eingegangen.
Der Vorsitzende des Senats teilte dem Klägervertreter darauf mit Schreiben vom 24. Februar 1986 mit, daß die Revisionsbegründungsfrist am 20. Februar 1986 abgelaufen sei, der weitere Fristverlängerungsantrag erst am 21. Februar 1986 - verspätet - eingegangen sei und die bereits abgelaufene Frist nicht verlängert werden könne; gleichzeitig wies er wegen der Möglichkeit, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen, auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hin. Dieses Schreiben wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers laut Postzustellungsurkunde am 27. Februar 1986 zugestellt.
Mit Schreiben vom 6. März 1986 - eingegangen beim BFH am 10. März 1986 - beantragte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers daraufhin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung führte er aus, das den Fristverlängerungsantrag enthaltende Schreiben sei rechtzeitig aufgegeben worden; es liege somit ein Verschulden der Deutschen Bundespost vor. Gleichzeitig bat der Bevollmächtigte des Klägers nochmals, die Revisionsbegründungsfrist bis zum 20. Mai 1986 zu verlängern.
Darauf teilte die Geschäftsstelle des Senats am 11. März 1986 dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers durch Schreiben per Eilboten mit, bei einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nach ständiger Rechtsprechung des BFH innerhalb der Zweiwochenfrist die Revisionsbegründung einzureichen; diese Frist aber laufe am 13. März 1986 ab.
Am 25. März 1986 wurde die Revision durch den neuen Prozeßbevollmächtigten des Klägers begründet und diese Begründung - in Erwiderung eines Schriftsatzes des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) - mit Schreiben vom 14. Mai 1986 um die Rüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO ergänzt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
1. Die Revisionsbegründung ist erst nach Ablauf der bis zum 20. Februar 1986 verlängerten Revisionsbegründungsfrist am 25. März 1986, mithin verspätet, eingegangen (§ 120 Abs. 1 FGO). Die Revision ist nicht schon deshalb unzulässig, weil es an einer Zulassung durch das FG oder den BFH fehlt (§ 115 Abs. 1 FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs in der Fassung des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985, BGBl I, 1274, BStBl I, 496). Denn einer besonderen Zulassung bedarf es nicht, wenn einer der in § 116 Abs. 1 FGO genannten Verfahrensmängel gerügt wird. Es kann jedoch dahinstehen, ob der Kläger die Rüge der mangelnden Begründung der Entscheidung (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO) ordnungsgemäß erhoben hat, denn auch die Rüge dieses Verfahrensmangels muß innerhalb der Revisionsbegründungsfrist vorgebracht werden.
2. Der Senat kann dem Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entsprechen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger diesen Antrag nicht bereits schuldhaft verspätet gestellt hat. Dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers mußte der Umstand, daß der Antrag auf Fristverlängerung verspätet beim BFH eingegangen war, schon bei Erhalt des Rückscheins und nicht erst durch das Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 24. Februar 1986 bekannt gewesen sein. Auch die Frage, ob der Kläger die versäumte Rechtshandlung, nämlich die Revisionsbegründung, innerhalb der Antragsfrist nachgeholt hat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO) oder ob dieses Erfordernis bereits durch einen weiteren Fristverlängerungsantrag erfüllt ist (BFH-Beschluß vom 29. November 1984 IV R 86/84, BFHE 142, 417, BStBl II 1985, 218; anderer Ansicht BFH-Beschluß vom 4. August 1970 II R 48/70, BFHE 99, 355, BStBl II 1970, 666, m.w.N., und Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 31. Oktober 1985 V ZB 5/85, Versicherungsrecht 1986, 166), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung durch den Senat. Dem Antrag kann jedenfalls deshalb nicht entsprochen werden, weil der Kläger nicht ohne sein Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO).
Ein Verfahrensbeteiligter muß sich ein Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung). Zwar stand es dem Bevollmächtigten des Klägers frei, die Frist zur Begründung der Revision voll auszuschöpfen. Das Warten bis zu den letzten Tagen erfordert jedoch, daß die Partei bzw. deren Bevollmächtigter zur Wahrung der Frist alles unternimmt, was vernünftiger- und angemessenerweise zu erwarten ist (BFH-Beschlüsse vom 22. Oktober 1971 VI R 159/68, BFHE 103, 138, BStBl II 1971, 812, und vom 29. April 1976 IV R 17/76, BFHE 119, 212, BStBl II 1976, 626). Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers konnte im Streitfall nicht damit rechnen, daß sein am 19. Februar 1986 um 17 Uhr in Hamburg als Einschreiben mit Rückschein aufgegebener Brief den BFH rechtzeitig am darauffolgenden Tag erreichen würde. Bei Anwendung der in diesem Fall gebotenen Sorgfalt hätte er den Fristverlängerungsantrag, der ohnehin keine Bearbeitung erfordert, entweder einige Tage früher oder zumindest als Eilzustellung bzw. mittels Telegramm absenden müssen (vgl. die BFH-Beschlüsse vom 12. März 1970 IV R 126/69, BFHE 98, 467, BStBl II 1970, 460; in BFHE 103, 138, BStBl II 1971, 812, und in BFHE 119, 212, BStBl II 1976, 626, insoweit auch unter Hinweis auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juni 1975 2 BvR 99/74, BVerfGE 40, 42, 45).
Unabhängig davon ist die Revision auch deswegen unzulässig, weil der Senat sie durch Beschluß vom heutigen Tage (IV B 3/86) nicht zugelassen hat, das Rechtsmittel also nur auf die Gründe des § 116 FGO gestützt werden könnte; solche Gründe sind aber nicht vorgetragen.
Fundstellen
Haufe-Index 414665 |
BFH/NV 1988, 570 |