Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbösernde kraftfahrzeugsteuerrechtliche Änderungsfestsetzung
Leitsatz (NV)
1. Zur Rechtmäßigkeit einer verbösernden kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Änderungsfestsetzung.
2. Zur Vollziehungsaussetzung führende Zweifel an der Rechtmäßigkeit (1.) können vorliegen, wenn in einem gleichgelagerten Falle die Rechtserheblichkeit der für die Änderungsfestsetzung herangezogenen neuen Tatsache revisionsrechtlich unangreifbar verneint wurde.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2; AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) hält seit dem 18. Januar 1993 einen Geländewagen "Toyota J 6", der zunächst als Personenkraftwagen zugelassen und besteuert worden war, nach bestimmten Umbauten aber ab 11. Februar 1993 als Lastkraftwagen eingestuft und dann gewichtsbesteuert wurde. Nachdem der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) zu der Auffassung gelangt war, daß selbst nach Umbau weiterhin ein Personenkraftwagen vorliege, wurde die Kraftfahrzeugsteuer gemäß §173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) für die Zeit vom 11. Februar 1993 bis 13. Dezember 1995 -- bis zur Neueinstufung als Lastkraftwagen infolge einer "Auflastung" -- entsprechend festgesetzt (Hubraumbesteuerung; Kraftfahrzeugsteueränderungsbescheide vom 23. November 1995 und 10. Januar 1996, bestätigt durch Einspruchsentscheidung vom 15. Februar 1996). Über die hiergegen gerichtete Klage ist noch nicht entschieden. Das Finanz gericht (FG) entsprach dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide, deren Rechtmäßigkeit es für ernstlich zweifelhaft hielt. Es könne dahingestellt bleiben -- so das FG --, ob das Fahrzeug, wofür viel spreche, kraftfahrtzeugsteuerrechtlich weiter als Personenkraftwagen anzusehen sei. Die Änderungsfestsetzung sei jedenfalls ausgeschlossen, weil es an der Rechtserheblichkeit der für die Änderung geltend gemachten neuen Tatsache fehle. Bei der Veranlagung 1993 hätten keine Anweisungen dahin bestanden, daß der verkehrsrechtlichen Anerkennung als Lastkraftwagen nicht zu folgen sei; einschlägige Rechtsprechung habe nicht vorgelegen. Bis Ende 1993 sei grundsätzlich die verkehrsrechtliche Einordnung für maßgebend gehalten worden. Auf die Rechtserheblichkeit des äußerlichen Erscheinungsbildes und der Herstellerkonzeption sei seinerzeit nicht abgestellt worden. Damit sei eine verbösernde Änderungsfestsetzung auch für die Zukunft ausgeschlossen, und zwar bis zur Abmeldung oder Stillegung des Fahrzeugs.
Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde trägt das FA vor, eine Verletzung der finanzbehördlichen Ermittlungspflicht sei aus verschiedenen, im einzelnen näher ausgeführten Gründen zu verneinen. Die Begründung des FG zur Rechtserheblichkeit der "neuen Tatsache" sei nicht schlüssig und werde durch die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung nicht gestützt. Schon vor Ende 1993 hätte festgestanden, daß die Finanzbehörden an die verkehrsrechtliche Einstufung nicht gebunden seien. Anweisungen, dieser Einordnung in allen Fällen zu folgen, seien nicht ergangen. Zur kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Einstufung (Pkw oder Lkw) hätte sich eine einheitliche Verkehrsauffassung in der Vergangenheit nicht herausgebildet. Für die kraftfahrzeugsteuerrechtliche Abgrenzung sei in erster Linie die objektive Fahrzeugbeschaffenheit (Bauart, Einrichtung, Gesamtbild) maßgebend, Zweifelsfälle seien für die Verwaltung lediglich nicht erkennbar gewesen. Damit stehe nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, daß die Finanzbehörde bei Kenntnis des tatsächlichen Sachverhalts zu keiner anderen Entscheidung gekommen wäre. Daß mit Sicherheit richtig entschieden worden wäre, sei entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht erforderlich. Da in der Masse der Fälle die verkehrs- und die kraftfahrzeugsteuerrechtliche Einstufung übereinstimmten, habe von Ermittlungen bezüglich der Fahrzeugart abgesehen werden können. Eine Änderungsfestsetzung sei überdies zumindest für die Zukunft möglich.
Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin hat keine Erklärung abgegeben.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Aussetzungsvoraussetzung ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Festsetzung (§69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), die das FG nach den Gründen der angefochtenen Entscheidung (trotz unklarer Teno rierung: Aussetzung "wie folgt: ... ") in Hinblick auf die angefochtenen Bescheide bejaht hat, ist -- bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Überprüfung -- gegeben. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes, daß die für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Gründe nicht zu überwiegen brauchen (vgl. nur Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, §69 Anm. 77, m. w. N.), hält der Senat, im Ergebnis mit der Vorinstanz übereinstimmend, hinreichende Zweifel daran für gegeben, ob die Voraussetzungen einer Änderungsfestsetzung gemäß §173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, der hier einzig in Betracht kommenden Rechtsgrundlage der angefochtenen Bescheide, vorliegen.
Demgegenüber sieht das FA keine Bedenken gegen die Anwendung der Änderungsvorschrift. Es meint, daß eine die Änderung ausschließende Verletzung der amtlichen Ermittlungspflicht nicht vorliege, und wendet sich insoweit gegen die rechtliche Beurteilung des BFH-Urteils vom 29. April 1997 VII R 1/97 -- Abschn. II Nr. 2 -- BStBl II 1997, 627. Auf diese Gesichtspunkte braucht jedoch hier nicht eingegangen zu werden. Denn die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide rechtfertigt sich aus einem anderen Grunde. Es bestehen, wie schon vom FG gesehen, Zweifel an der Rechtserheblichkeit der der Besteuerung zugrunde gelegten neuen Tatsache, damit an einer Voraussetzung der Änderungsfestsetzung. Auf die Frage einer Verletzung der Ermittlungspflicht kommt es nicht an. Auf diesbezügliche Zweifel ist die Vorentscheidung im übrigen nicht gestützt.
Die Änderung aufgrund von §173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 scheidet aus, wenn die Unkenntnis der später hervorgetretenen Tatsache für die ursprüngliche Veranlagung nicht ursächlich gewesen ist. Dies trifft (nur) dann zu, wenn die Finanzbehörde auch bei Kenntnis der Tatsache schon zur Zeit der ursprünglichen Veranlagung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Entscheidung gelangt wäre, wobei grundsätzlich davon auszugehen ist, daß die dem Sachverhalt entsprechende (zutreffende) Entscheidung ergangen wäre. Die Frage, wie die Finanzbehörde den Sachverhalt bei Kenntnis der neuen Tatsache gewürdigt hätte, ist unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der ursprünglichen Veranlagung vorliegenden Rechtsprechung und der damaligen Verwaltungsanweisungen zu beurteilen. Die Tatsachen, aus denen sich die frühere Verwaltungsübung ergibt, hat die Finanzbehörde darzulegen und ggf. nachzuweisen (zu allem insbesondere Bundesfinanzhof, Urteile vom 14. Dezember 1994 XI R 80/92, BFHE 176, 308, 311, BStBl II 1995, 293, und vom 15. Januar 1991 IX R 238/87, BFHE 164, 492, 494, BStBl II 1991, 741, je m. w. N.; in kraftfahrzeugsteuerrechtlicher Hinsicht auch Senatsurteil in VII R 1/97).
Abweichend hiervon scheint das FG die Rechtserheblichkeit der neuen Tatsache als Ausnahme anzusehen ("Tatsache ... nur rechtserheblich, wenn ... ") und zudem die Voraussetzungen der Ursächlichkeit mit denen der Nichtursächlichkeit zu verwechseln (Rechtserheblichkeit im Falle gleicher Entscheidung bei Tatsachenkenntnis). Eine solche -- rechtsfehlerhafte -- Beurteilung ist jedoch nicht geeignet, die getroffene Entscheidung in Frage zu stellen. Die angeordnete Aussetzung der Vollziehung wird vielmehr auch bei Anlegung des zutreffenden rechtlichen Maßstabes durch die im Streitfall vorliegenden Umstände gerechtfertigt. Die Vorinstanz hat sich in diesem Zusammenhang auf das Fehlen einschlägiger Verwaltungsanweisungen und Rechtsprechung im Zeitpunkt der vorangegangenen Veranlagung (1993) sowie darauf gestützt, daß seinerzeit grundsätzlich die verkehrsrechtliche Einstufung beachtet worden sei (was im übrigen auch durch das Beschwerdevorbringen bestätigt wird). Diese Erwägungen entsprechen im Kern den Feststellungen -- einschließlich ihrer tatsächlichen Beurteilung --, die das FG Nürnberg in einem gleichgelagerten (Umbau-)Fall getroffen hat (Urteil vom 12. November 1996 VI 188/96, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1997, 499, 503 f.). Der Senat hat dieses Urteil inzwischen bestätigt, weil er die Feststellungen über die fehlende Ursächlichkeit der Unkenntnis der Fahrzeugbeschaffenheit bei der Erstveranlagung als gemäß §118 Abs. 2 FGO revisionsrechtlich bindend ansah (Urteil vom 26. Juni 1997 VII R 10 und 11/97, BFH/NV 1997, 906). Im Beschwerdeverfahren besteht zwar keine Bindung an die getroffenen Feststellungen, doch ergibt sich aus einer entsprechenden Beurteilung im Streitfall eine für die Aussetzung der Vollziehung hinreichende Möglichkeit des Obsiegens der Antragstellerin im Hauptverfahren. Die Gesichtspunkte, auf die sich die Beschwerde beruft (insbesondere der an sich zutreffend herausgestellte Grundsatz der eigenständigen kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Beurteilung), greifen nach der angeführten Rechtsprechung nicht durch. Sie begründen jedenfalls keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Annahme der Rechtmäßigkeit der Änderungsfestsetzung. Die Aussetzung ihrer Vollziehung ist mithin geboten.
Auf die Frage, ob auch eine Änderungsfestsetzung für die Zukunft ausgeschlossen sei (was im Gegensatz zur Vorinstanz vom FG Nürnberg in seinem -- inzwischen rechtskräftig gewordenen -- Urteil vom 12. November 1996 VI 174/96, EFG 1997, 497, 499, verneint wird), braucht der Senat nicht einzugehen. Angefochten ist nur die Änderungsfestsetzung für den Zeitraum von 1993 bis zur Wiederanerkennung des Fahrzeugs als Lkw ab Ende 1995, also für einen Abschnitt, der künftige Entrichtungszeiträume nicht umfaßt.
Fundstellen
Haufe-Index 66924 |
BFH/NV 1998, 16 |
HFR 1998, 9 |