Entscheidungsstichwort (Thema)
VSt-Satz für nichtnatürliche Personen weiterhin auf alle bis zum 31. Dezember 1996 verwirklichten Tatbestände anwendbar
Leitsatz (NV)
Die den Steuersatz für nichtnatürliche Personen regelnde Vorschrift des § 10 Nr. 2 VStG ist ebenso wie die übrigen Regelungen des VStG weiterhin auf alle bis zum 31. Dezember 1996 verwirklichten Tatbestände anzuwenden.
Normenkette
VStG § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 2, § 10 Nrn. 1-2; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG (EFG 1998, 427) |
Tatbestand
Die Entscheidung ergeht gemäß Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs. Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind unterrichtet und gehört worden.
1. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‐ FA ‐) hat gegen die Klägerin mit Bescheiden vom 23. September 1992 Vermögensteuer auf den 1. Januar 1989 in Höhe von 18 666 DM und auf den 1. Januar 1990 in Höhe von 15 966 DM sowie mit Bescheid vom 19. März 1993 Vermögensteuer auf den 1. Januar 1991 in Höhe von 17 532 DM festgesetzt. Das FA legte hierbei gemäß § 10 Nr. 2 des Vermögensteuergesetzes (VStG) den Steuersatz von 0,6 v.H. des steuerpflichtigen Vermögens zugrunde.
Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte die Klägerin im wesentlichen geltend, daß nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655) Vermögensteuer auch für Veranlagungszeiträume vor dem 1. Januar 1997 nach dem 31. Dezember 1996 nicht mehr erhoben werden dürfe. Dies gelte auch für solche Vermögensteuerbescheide, die zwar vor dem 31. Dezember 1996 erteilt worden, aber nicht bis zum 31. Dezember 1996 bestandskräftig geworden seien. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 427 veröffentlichten Urteil als unbegründet abgewiesen. Die Entscheidungsformel des BVerfG-Beschlusses in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 sei dahingehend auszulegen, daß das VStG für Veranlagungszeiträume bis Ende 1996 fortgelte. Daran ändere sich auch nichts dadurch, daß in der Entscheidungsformel nur § 10 Nr. 1 VStG (mit der Regelung des Steuersatzes für natürliche Personen) nicht jedoch § 10 Nr. 2 VStG, der den Steuersatz für die in § 1 Abs. 1 Nr. 2 und § 2 Abs. 1 Nr. 2 VStG bezeichneten Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen regelt, mit Art. 3 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) für unvereinbar erklärt wurde.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung von Bundesrecht, da die Erhebung von Vermögensteuer bei Kapitalgesellschaften gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Die Klägerin rügt außerdem die Verletzung von Art. 100 Abs. 1 GG, weil das FG das Verfahren nicht gemäß § 13 Nr. 11 und § 80 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) ausgesetzt und die Rechtsfrage nicht dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt habe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung sowie die angegriffenen Vermögensteuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidungen aufzuheben, hilfsweise eine Entscheidung des BVerfG zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 10 Nr. 2 VStG einzuholen.
Zur Begründung macht die Klägerin im wesentlichen folgendes geltend: Das FG, das zutreffend davon ausgehe, daß die Kapitalgesellschaften von dem Beschluß des BVerfG in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 zu § 10 Nr. 1 VStG formell nicht betroffen seien, habe seine Kompetenz überschritten, wenn es, anstatt die Entscheidung des BVerfG einzuholen, aufgrund eigener Beurteilung die Verfassungswidrigkeit der Vermögensteuer für juristische Personen festgestellt und hieraus die Rechtsfolge geschlossen habe, daß die vom BVerfG zu § 10 Nr. 1 VStG getroffenen Übergangsbestimmungen auch für § 10 Nr. 2 VStG gelten sollen.
Entscheidungsgründe
2. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Zutreffend hat das FG entschieden, daß die angefochtenen Vermögensteuerbescheide auf den 1. Januar der Jahre 1989, 1990 und 1991 rechtmäßig sind und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen.
Nach dem zu den streitigen Veranlagungsstichtagen geltenden VStG unterlag das steuerpflichtige Vermögen der Klägerin (§ 9 Nr. 2b VStG) einem Steuersatz von 0,6 v.H. (§ 10 Nr. 2 VStG).
Die den Steuersatz für nichtnatürliche Personen regelnde Vorschrift des § 10 Nr. 2 VStG ist ebenso wie die des § 10 Nr. 1 VStG und die übrigen Regelungen des VStG weiterhin auf alle bis zum 31. Dezember 1996 verwirklichten Tatbestände anzuwenden. Der Senat nimmt insoweit auf seine nunmehr ständige Rechtsprechung Bezug (vgl. Beschluß vom 18. Juni 1997 II B 33/97, BFHE 182, 379, BStBl II 1997, 515; Urteil vom 30. Juli 1997 II R 9/95, BFHE 183, 235, BStBl II 1997, 635; Beschlüsse vom 30. Juli 1997 II B 7/97, BFH/NV 1998, 351; vom 15. Oktober 1997 II B 60/97, BFH/NV 1998, 502, Anmerkung, und vom 29. Oktober 1997 II B 67/97, BFH/NV 1998, 361; Urteil vom 24. Juni 1998 II R 104/97, Deutsches Steuerrecht 1998, 1173).
Zwar trifft der Einwand der Klägerin zu, daß sich die Unvereinbarkeitserklärung des BVerfG nur auf § 10 Nr. 1 VStG, nicht jedoch auf die im Streitfall einschlägige Vorschrift des § 10 Nr. 2 VStG bezieht; doch führt dies nach Auffassung des erkennenden Senats für die Frage der weiteren Anwendbarkeit des bisherigen Vermögensteuerrechts zu keinen anderen Folgerungen. Das BVerfG hat in seinem Beschluß in BVerfGE 93, 121, 142, BStBl II 1995, 655, 663 ausdrücklich ausgeführt, daß "§ 10 VStG mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar (ist), weil die Vermögensteuer einheitswertgebundenes und nichteinheitswertgebundenes Vermögen unterschiedlich belastet und sich diese Belastungsunterschiede weder aus den in der Vermögensteuer angelegten oder möglichen Differenzierungen rechtfertigen noch verfassungsgemäß allein dadurch ausräumen lassen, daß das einheitswertgebundene Vermögen nunmehr zu Verkehrswerten belastet würde". Das BVerfG hat hierbei nicht zwischen Nummer 1 und Nummer 2 des § 10 VStG unterschieden. Denn seine Argumentation bezüglich der Art. 3 Abs. 1 GG verletzenden ungleichen Steuerbelastung trifft sowohl für die Vermögensteuerbelastung natürlicher als auch der in § 1 Abs. 1 Nr. 2 und § 2 Abs. 1 Nr. 2 VStG bezeichneten Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen zu. An der Verfassungswidrigkeit des nur für nichtnatürliche Personen geltenden § 10 Nr. 2 VStG bestehen deshalb keine Zweifel.
Daß das BVerfG diese Bestimmung nicht ausdrücklich als mit dem GG für unvereinbar erklärt, sondern sich insoweit auf § 10 Nr. 1 VStG beschränkt hat, beruht ausschließlich darauf, daß es sich im damaligen Ausgangsverfahren um die Vermögensteuerpflicht natürlicher Personen handelte und das FG daher dem BVerfG folgerichtig nur die Frage vorgelegt hat, ob § 10 Nr. 1 VStG mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Das BVerfG hatte infolgedessen formal nur über diese Rechtsfrage zu entscheiden.
Geht man aber davon aus, daß § 10 VStG insgesamt mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, so sind aus der Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 für § 10 Nr. 2 VStG dieselben Folgerungen zu ziehen wie für § 10 Nr. 1 VStG. Das BVerfG hat in seinem Beschluß nicht die Nichtigkeit des § 10 Nr. 1 VStG, sondern lediglich dessen Unvereinbarkeit mit Art. 3 GG ausgesprochen und zugleich die befristete Weitergeltung des bisherigen Vermögensteuerrechts bis zum 31. Dezember 1996 angeordnet. Die befristete Anordnung des für verfassungswidrig erkannten Rechts ist als eine Regelung über dessen zeitlichen Geltungsbereich mit der Folge zu verstehen, daß es für alle innerhalb dieses zeitlichen Geltungsbereichs verwirklichten Sachverhalte noch Rechtswirkung erzeugt. Diese Rechtsauffassung wurde durch den Beschluß des BVerfG vom 30. März 1998 1 BvR 1831/97 (BStBl II 1998, 422) bestätigt. Für den Streitfall bedeutet dies, daß die von der Klägerin angegriffenen Vermögensteuerfestsetzungen für die Jahre 1989, 1990 und 1991 ‐ wie es die Vorinstanz zu Recht getan hat ‐ nach Maßgabe des bisherigen Vermögensteuerrechts (einschließlich der Bestimmung des § 10 Nr. 2 VStG) zu überprüfen sind.
Einwendungen gegen die Höhe der Steuerfestsetzungen wurden weder geltend gemacht noch sind sie sonst ersichtlich. Das FG hat daher die Klage zu Recht abgewiesen.
Da der erkennende Senat in Übereinstimmung mit der Entscheidung des BVerfG in BStBl II 1998, 422 davon ausgeht, daß das bisherige Vermögensteuerrecht trotz seiner Unvereinbarkeit mit Art. 3 GG weiterhin auf alle bis zum 31. Dezember 1996 verwirklichten Tatbestände ohne Verfassungsverstoß anzuwenden ist, entfällt die von der Klägerin angeregte Vorlage an das BVerfG (§ 80 BVerfGG i.V.m. Art. 100 GG).
Fundstellen
Haufe-Index 614007 |
BFH/NV 1998, 1385 |
BFHE 1999, 146 |
DB 1998, 1999 |
DStR 1998, 1467 |
DStRE 1998, 768 |
HFR 1998, 928 |