Entscheidungsstichwort (Thema)
(Einschränkung der Besteuerung des Eigenverbrauchs durch Art. 5 Abs. 6 und Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der 6. EWG-Richtlinie)
Leitsatz (amtlich)
Aufgrund des EuGH-Urteils vom 27.Juni 1989 Rs.50/88 ist grundsätzlich geklärt, daß Art.6 Abs.2 Buchst.a der 6.Richtlinie die Besteuerung der privaten Nutzung eines Betriebsgegenstandes (Verwendungseigenverbrauch) ausschließt, der nicht zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat, und daß sich ein Steuerpflichtiger vor den nationalen Gerichten auf dieses Verbot berufen kann.
Für die Entnahme eines Betriebsgegenstandes zu privaten Zwecken enthält Art.5 Abs.6 der 6.Richtlinie ein entsprechendes Besteuerungsverbot. Einer erneuten grundsätzlichen Klärung, ob sich ein Steuerpflichtiger auf dieses Verbot vor den nationalen Gerichten gegenüber der Besteuerung nach § 1 Abs.1 Nr.2 Buchst.a UStG 1980 berufen kann, bedarf es nicht.
Orientierungssatz
Der deutsche Gesetzgeber entnahm Art. 5 Abs. 6 und Art. 6 Abs. 2 der 6.Richtlinie i.V.m. Art.13 Teil B Buchst. c der 6. Richtlinie ein Verbot der Eigenverbrauchsbesteuerung nur für die Fälle, in denen der Vorsteuerabzug des Unternehmers bei Bezug der Leistung nach § 15 Abs. 2 UStG (wegen Verwendung zur Ausführung steuerfreier Umsätze) ausgeschlossen war. Zur Umsetzung des so verstandenen Verbots wurde § 4 Nr. 28 UStG 1980 geschaffen (vgl. Literatur).
Normenkette
UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2; EWGRL 388/77 Art. 5 Abs. 6; UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a; EWGRL 388/77 Art. 6 Abs. 2 Buchst. a; UStG 1967 § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b; UStR 1988 Abschn. 7 Abs. 3 S. 1, Abschn. 8; UStG 1980 § 4 Nr. 28; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil B Buchst. c; UStG 1980 § 15 Abs. 2
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) --ein Rechtsanwalt-- war bis zum 31.August 1987 (Streitjahr) als freiberuflicher Mitarbeiter eines Rechtsanwalts tätig. Zum 1.September 1987 gründete der Kläger zusammen mit einem anderen Rechtsanwalt zwecks gemeinsamer Berufsausübung eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Nach dem Gesellschaftsvertrag blieben die von den einzelnen Partnern aus eigenen Mitteln angeschafften Kfz im Eigentum des betreffenden Partners; die Kfz-Kosten blieben persönliche Betriebsausgaben des einzelnen Partners.
Der Kläger hatte im März 1984 aus privater Hand (ohne Vorsteuerabzug) ein Kfz erworben und sogleich seiner unternehmerischen Tätigkeit zugeordnet. Im Streitjahr nutzte er das Fahrzeug im Umfang von 76 v.H. für berufliche Zwecke.
Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) nahm mit Beendigung der freiberuflichen Mitarbeit des Klägers bezüglich des PKW einen Entnahmeeigenverbrauch nach § 1 Abs.1 Nr.2 Buchst.a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 an. Das Fahrzeug werde vom Kläger fortan nicht mehr unternehmerisch genutzt. Das FA unterwarf den Eigenverbrauch mit einer Bemessungsgrundlage von 5 160 DM der Umsatzsteuer.
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt.
Das FG bestätigte zwar, daß der Kläger den Eigenverbrauchstatbestand des § 1 Abs.1 Nr.2 Buchst.a UStG 1980 dadurch verwirklicht habe, daß er das zuvor seinem Unternehmen zugeordnete Fahrzeug mit Eintritt in die Sozietät nicht mehr (selbst) unternehmerisch verwende. Als Mitglied der Sozietät sei der Kläger nicht mehr Unternehmer.
Das FG ging aber davon aus, daß die Besteuerung des Eigenverbrauchs durch Art.5 Abs.6 der 6.Richtlinie des Rates (der EG) zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern --gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage-- vom 17.Mai 1977 --77/388 EWG-- Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ABlEG) L 145/1 (6.Richtlinie) eingeschränkt worden sei. Die genannte Richtlinienbestimmung stelle die Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen für unternehmensfremde Zwecke einer Lieferung gegen Entgelt gleich, wenn dieser Gegenstand oder seine Bestandteile zu einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hätten. Hierdurch solle vermieden werden, daß ein vorsteuerbelasteter Gegenstand beim Eigenverbrauch trotz ausgebliebener Vorsteuerentlastung (wie beim Kauf aus privater Hand) nochmals besteuert würde (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 27.Juni 1989 Rs.50/88, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1989, 373, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1989, 518).
Das FA beantragt mit der Beschwerde Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung bzw. wegen Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH).
Nach der Darlegung des FA ist die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob Art.5 Abs.6 der 6.Richtlinie in der Auslegung durch das FG der nationalen Abgabenregelung beim Entnahmeeigenverbrauch nach § 1 Abs.1 Nr.2 Buchst.a UStG 1980 entgegenstehe. Dem Wortlaut des deutschen Entnahmetatbestands könne die vom FG vertretene Einengung nicht entnommen werden. Sie lasse sich auch nicht aus anderen Vorschriften herleiten. Da das Urteil des FG dem geltenden nationalen Recht und der Verwaltungsauffassung widerspreche (vgl. Schreiben des Bundesministers der Finanzen --BMF-- vom 29.Dezember 1989 IV A 1 - S 7056a - 43/89 - S 7102 - 24/89, BStBl I 1990, 35; Abschn.7 Abs.3 Satz 1 i.V.m. Abschn.8 der Umsatzsteuer- Richtlinien --UStR-- 1988), bestehe allgemeines Interesse an der Klärung der Rechtsfrage durch den BFH. Wieweit die Regelung in Art.5 Abs.6 und Art.6 Abs.2 Satz 1 Buchst.a der 6.Richtlinie unmittelbar Geltung für das deutsche Umsatzsteuerrecht habe, sei höchstrichterlich noch nicht geklärt und werde im Schrifttum kontrovers behandelt (vgl. Widmann, UR 1990, 7, mit Nachweisen). Der EuGH habe sich bisher ausschließlich zur Anwendung des Art.6 Abs.2 (im Hinblick auf § 1 Abs.1 Nr.2 UStG 1980) und noch nicht zu der des Art.5 Abs.6 der 6.Richtlinie geäußert.
Zudem bestehe allgemeines Interesse an der Entscheidung darüber, ob der BFH trotz des EuGH-Urteils vom 27.Juni 1989 an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalte (Urteil vom 28.Januar 1971 V R 101/70, BFHE 101, 178, BStBl II 1971, 218), wonach die Eigenverbrauchsbesteuerung nach § 1 Abs.1 Nr.2 Buchst.b UStG 1967 nicht davon abhänge, daß der Unternehmer hinsichtlich der auf die Gegenstandsverwendung entfallenden Kosten einen Vorsteuerabzug geltend machen könne.
Insoweit werde auch Abweichung von einer Entscheidung des BFH geltend gemacht.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Klärungsbedarf der Rechtssache wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs.2 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) durch eine Revisionsentscheidung besteht nicht mehr.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Unternehmereigenschaft des Klägers (bisher Einzelunternehmer) mit seinem Eintritt in die Sozietät endet (vgl. dazu BFH, Urteil vom 2.Oktober 1986 V R 91/78, BFHE 147, 548, BStBl II 1987, 44; Beschluß vom 9.März 1989 V B 48/88, BFHE 156, 535, BStBl II 1989, 580). Der Kläger war ab diesem Zeitpunkt auch nicht anderweitig als Unternehmer tätig, etwa durch entgeltliche Überlassung des PKW an die Sozietät.
Das FG ist ferner zutreffend davon ausgegangen, daß die dem EuGH-Urteil zugrunde liegende "Einschränkung" des Eigenverbrauchs weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck oder der Entstehungsgeschichte des § 1 Abs.1 Nr.2 Buchst.a UStG 1980 entnommen werden kann (vgl. dazu den Beschluß des Senats vom 18.April 1991 V R 122/89 --Vorlage an den EuGH--, BFHE 165, 104) . Der deutsche Gesetzgeber entnahm Art.5 Abs.6 und Art.6 Abs.2 der 6.Richtlinie i.V.m. Art.13 Teil B Buchst.c der 6.Richtlinie ein Verbot der Eigenverbrauchsbesteuerung nur für die Fälle, in denen der Vorsteuerabzug des Unternehmers bei Bezug der Leistung nach § 15 Abs.2 UStG (wegen Verwendung zur Ausführung steuerfreier Umsätze) ausgeschlossen war. Zur Umsetzung des so verstandenen Verbots wurde § 4 Nr.28 UStG 1980 geschaffen (vgl. Wachweger, 6. EG-Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuern in den Europäischen Gemeinschaften, Zu Art.5 Abs.6 und Art.6 Abs.2; Schlienkamp, Betriebs-Berater --BB-- 1990, 757; Widmann, UR 1990, 211; Husmann, UR 1990, 293, jeweils mit Nachweisen).
Zutreffend ist auch der Vortrag des FA, daß das EuGH-Urteil vom 27.Juni 1989, auf das sich das FG stützt, nur zu Art.6 Abs.2 und nicht zu Art.5 Abs.6 der 6.Richtlinie ergangen ist.
Gleichwohl ist nach Auffassung des Senats durch dieses EuGH- Urteil auch die hier streitige Anwendung des Art.5 Abs.6 der 6.Richtlinie (des Entnahmeeigenverbrauchs) eindeutig geklärt, so daß es einer weiteren Vorlage im Rahmen eines (zuzulassenden) Revisionsverfahrens nicht mehr bedarf.
Nach Art.5 Abs.6 der 6.Richtlinie wird einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt "die Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen für seinen privaten Bedarf ..., wenn dieser Gegenstand ... zu einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt" hat.
Die dem EuGH-Urteil vom 27.Juni 1989 zugrunde liegende Vorlagefrage betraf die insoweit identische Formulierung des Art.6 Abs.2 Buchst.a der 6.Richtlinie, wonach Dienstleistungen gegen Entgelt gleichgestellt wird: die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen ..., "wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat".
Der EuGH führte aus, daß die genannte Vorschrift die Nichtbesteuerung eines zu privaten Zwecken verwendeten Betriebsgegenstands verhindern will und demgemäß die Besteuerung der privaten Nutzung eines solchen Gegenstands nur dann verlangt, wenn er zum Abzug der Steuer berechtigt hat, mit der er beim Erwerb belastet war. Im Urteil vom 5.Dezember 1989 Rs.C-165/88 (UR 1991, 81, unter Abs.20) führte der EuGH nochmals aus, daß dieses Ergebnis unmittelbar auf dem Wortlaut von Art.6 Abs.2 Buchst.a der 6.Richtlinie beruhe, "der verhindern soll, daß durch die private Verwendung von Betriebsgegenständen ein von der Mehrwertsteuer befreiter Endverbrauch stattfindet".
Im Urteil vom 27.Juni 1989 legt der EuGH ferner dar, daß sich ein Steuerpflichtiger vor den nationalen Gerichten insofern auf Art.6 Abs.2 der 6.Richtlinie berufen kann, als diese Vorschrift die Besteuerung der privaten Nutzung eines Betriebsgegenstands ausschließt, der nicht zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat. Der EuGH begründete die "Berufbarkeit" damit, daß dieses Verbot vollständig, rechtlich in sich abgeschlossen und daher geeignet ist, in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den einzelnen unmittelbare Wirkungen zu entfalten. Bei insoweit fast identischem Wortlaut des Art.5 Abs.6 und der Systematik der 6.Richtlinie gelten nach Auffassung des Senats die Ausführungen des EuGH-Urteils vom 27.Juni 1989 zur Berufbarkeit des Art.6 Abs.2 Buchst.a der 6.Richtlinie auch im Streitfall.
Ob diese sog. "Berufung" des einzelnen auf eine ihm günstige Richtlinienbestimmung in den Fällen, in denen eine erforderliche Entscheidung des EuGH zur Auslegung dieser Bestimmung noch aussteht, erfordert, daß der Steuerpflichtige ihre Anwendung und damit die bezweckte Abweichung vom deutschen Recht zunächst selbst geltend macht (vgl. FG München, Urteil vom 21.Juni 1990 14 K 14166/83, Entscheidungen der Finanzgerichte 1991, 282), braucht der Senat im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden. Im Hinblick auf die identische Formulierung und deren identischen Sinn und Zweck in Art.5 Abs.6 und Art.6 Abs.2 Buchst.a der 6.Richtlinie hat der EuGH die erforderliche Entscheidung nach Auffassung des Senats bereits getroffen. Eine Vorlagepflicht in einem erst zuzulassenden Revisionsverfahren besteht danach nicht (vgl. insoweit EuGH, Urteil vom 6.Oktober 1982 Rs.283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430).
2. Eine Zulassung der Revision wegen Abweichung des FG-Urteils von einer Entscheidung des BFH (§ 115 Abs.2 Nr.2 FGO) scheidet ebenfalls aus.
Das Urteil des FG beruht auf der Anwendung von Art.5 Abs.6 der 6.Richtlinie als einer Norm, auf die sich der einzelne vor den nationalen Gerichten berufen kann. Das Gemeinschaftsrecht hat auch in Gestalt "berufbarer" Richtlinienbestimmungen Anwendungsvorrang gegenüber nationalem Gesetzesrecht, das von der Richtlinie abweicht (Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 8.April 1987 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223, 244). Soweit das FA sich auf das BFH-Urteil in BFHE 101, 178, BStBl II 1971, 218 beruft, das zur (nationalen) Vorschrift des § 1 Abs.1 Nr.2 Buchst.b UStG 1967 ergangen ist, kommt Divergenz des FG-Urteils nicht in Betracht, weil es nicht diese Vorschrift, sondern die Richtlinienbestimmung mit abweichenden Tatbestandsmerkmalen angewendet hat.
Fundstellen
Haufe-Index 63572 |
BFH/NV 1991, 76 |
BStBl II 1992, 267 |
BFHE 165, 109 |
BFHE 1992, 109 |
BB 1992, 121 |
BB 1992, 121-122 (LT) |
DB 1991, 2471-2472 (LT) |
DStR 1991, 1454 (KT) |
HFR 1992, 195 (LT) |
StE 1991, 383 (K) |