Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensaussetzung im Nichtzulassungsverfahren
Leitsatz (NV)
1) Die Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts eröffnet auch demjenigen, der bei Gericht vorläufigen Rechtsschutz nach § 361 AO 1977 oder § 69 FGO begehrt, die Möglichkeit, einen Antrag nach § 68 FGO bzw. nach § 123 S. 2 FGO i. V. m. § 68 FGO zu stellen.
2) Macht in solchen Fällen der Antragsteller, Kläger oder Revisionskläger von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, sondern greift er statt dessen den Änderungsbescheid mit dem Einspruch an, so muß das gerichtliche Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung (AdV) gemäß § 74 FGO unterbrochen werden, bis das rechtliche Schicksal des Änderungsbescheids geklärt ist.
3) Dies gilt auch in einem Nichtzulassungsverfahren, dem eine verwaltungsaktbezogene Klage (hier auf Verpflichtung zur AdV) zu Grunde liegt.
Normenkette
FGO §§ 68-69, 74, 115, 121, 123 S. 2
Tatbestand
In dem beim Finanzgericht (FG) anhängigen Klageverfahren streiten die Beteiligten um die Rechtmäßigkeit des vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) gegenüber dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) am 25. Juli 1986 erlassenen Gewerbesteuermeßbescheides, durch den der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag auf 3 035 DM festgesetzt wurde.
Wegen der Aussetzung der Vollziehung dieses Bescheides hat sich der Kläger, nachdem er sich zuvor deswegen erfolglos an das FA und die OFD gewandt hatte, ebenfalls Klage beim FG erhoben. Diesen Rechtsbehelf hat das FG am 5. Mai 1987 als unbegründet abgewiesen, und zwar ohne die Revision zuzulassen.
Daraufhin hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde und Revision eingelegt.
Während des Zulassungsverfahrens, am 22. Februar 1988, hat das FA den Bescheid vom 25. Juli 1986 unter Berufung auf § 172 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geändert und den Gewerbesteuermeßbetrag für 1982 auf 2 350 DM herabgesetzt. Gegen diesen Verwaltungsakt hat der Kläger Einspruch erhoben, über den noch nicht entschieden ist. Eine Prozeßerklärung zu dem hier anhängigen Zulassungsverfahren und zu dem unter dem Az. X R 149/87 anhängigen Revisionsverfahren hat er jedoch nicht abgegeben.
Entscheidungsgründe
Das Zulassungsverfahren war (ebenso wie das Revisionsverfahren - vgl. dazu den Senatsbeschluß X R 149/87 vom heutigen Tage) in entsprechender Anwendung des § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 121 FGO auszusetzen, bis geklärt ist, ob der Änderungsbescheid vom 22. Februar 1988 Bestand hat.
1. Das rechtliche Schicksal des ursprünglichen Bescheides vom 25. Juli 1986, um dessen Aussetzung der Vollziehung es letztlich auch in diesem Zulassungsverfahren geht, ist ungewiß. Dieser Verwaltungsakt ist durch den Änderungsbescheid vom 22. Februar 1988 suspendiert worden und bleibt dies, solange letzterer wirksam bleibt (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Oktober 1982 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231). Während der Suspension ist einem gegen den geänderten Verwaltungsakt anhängigen Klageverfahren die Grundlage entzogen (BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231). Dem kann der Kläger dadurch begegnen, daß er durch einen Antrag nach § 68 FGO den neuen Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens macht. Tut er dies nicht, sondern greift er statt dessen den Änderungsbescheid mit dem Einspruch an, so muß das Verfahren gegen den ursprünglichen Bescheid in entsprechender Anwendung des § 74 FGO solange ausgesetzt werden, bis das rechtliche Schicksal des an seine Stelle getretenen neuen Bescheides endgültig geklärt ist (BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231; zu den näheren Einzelheiten vgl. auch Gräber, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 68 Rz. 25 ff. und Rz. 31).
2. Dies gilt nicht nur, wenn der streitbefangene Verwaltungsakt erst im Revisionsverfahren geändert wird (§ 123 Satz 2 FGO; vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 16. März 1988 X R 27/86, BFHE 153, 46, 48, BStBl II 1988, 629, 630; Gräber, a. a. O., Rz. 4), sondern entsprechend auch dann, wenn das Verfahren nicht die Anfechtung eines Verwaltungsakts, sondern die Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsakts (vgl. Gräber, a. a. O., § 69 Rz. 146 m. w. N.) oder - wie hier - die Verpflichtung des FA hierzu zum Gegenstand hat.
Die entsprechende Anwendung des § 68 FGO in einem Zulassungsverfahren, dem eine verwaltungsaktbezogene Klage zugrunde liegt, ist geboten, weil hier die Verfahrens- und Interessenlage die gleiche ist wie in dem gesetzlich (in § 68 FGO bzw. in § 123 Satz 2 FGO i. V. m. § 68 FGO) geregelten Fall: Dort wie hier hätte die in jedem Stadium des Verfahrens zulässige Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts (vgl. auch § 77 Abs. 3 und § 127 FGO) zur Folge, daß dem seinetwegen anhängigen gerichtlichen Verfahren der Gegenstand entzogen würde und der Betroffene mit seinem Rechtsschutzbegehren wieder ,,von vorne" beginnen müßte, wenn ihm nicht die Möglichkeit eröffnet wäre, das gegen den ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakt begonnene Verfahren gegenüber dem an dessen Stelle getretenen Hoheitsakt fortzusetzen (vgl. dazu generell: Gräber, a. a. O., § 68 Rz. 1). Im Interesse des Rechtsuchenden und unter dem Gesichtspunkt der Prozeßökonomie ist daher eine Gleichbehandlung beider Fallgestaltungen geboten, zumal sich der Umstand, daß der angefochtene Verwaltungsakt im Klage- und Revisionsverfahren unmittelbaren, im Zulassungsverfahren dagegen nur mittelbaren Verfahrensbezug erkennen läßt, als irrelevanter Unterschied erweist (vgl. auch v. Bornhaupt, Finanz-Rundschau 1984, S. 559 und die, allerdings nicht weiter erläuterte, verfahrensrechtliche Abwicklung in dem durch das BFH-Urteil vom 26. November 1985 IX R 107/84, BFH/NV 1986, 284 entschiedenen Fall).
3. Der Aussetzung des Verfahrens stehen auch sonstige formelle Gründe nicht entgegen: Weder der Umstand, daß der Kläger neben der Nichtzulassungsbeschwerde auch Revision eingelegt hat (vgl. Gräber, a. a. O., § 116 Rz. 6 m. w. N.), noch daß dies - soweit eine zulassungsbedürftige Revision in Frage steht - vor Ergehen oder vor Zugang der Zulassungsentscheidung geschehen ist (vgl. dazu Gräber a. a. O., § 120 Rz. 12 a. E.), macht das vom Kläger unverändert weiterverfolgte Rechtsmittelbegehren mit der Folge unzulässig, daß ein Antrag nach § 68 FGO von vornherein ausgeschlossen wäre (vgl. Gräber, a. a. O., § 68 Rz. 9).
Fundstellen
Haufe-Index 416028 |
BFH/NV 1989, 380 |