Entscheidungsstichwort (Thema)
Versäumung der Revisionsbegründungsfrist: Ausreichende Rechtsmittelbelehrung, Wiedereinsetzung wegen Erkrankung des Prozessbevollmächtigten
Leitsatz (NV)
- Eine Rechtsmittelbelehrung ist nicht deswegen unvollständig und damit unrichtig im Sinne von § 55 Abs. 2 FGO, weil hierin ein Hinweis auf die Möglichkeit, vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist deren Verlängerung zu beantragen, nicht enthalten ist.
- Eine Erkrankung des Prozessbevollmächtigten kann nur dann als schuldlose Verhinderung des Revisionsführers gewertet werden, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar auftritt und so schwer ist, dass es für den Prozessbevollmächtigten unzumutbar ist, die Frist einzuhalten oder rechtzeitig einen Vertreter zu bestellen.
Normenkette
FGO § 55 Abs. 2, § 56 Abs. 2, § 120 Abs. 1, § 124 Abs. 1, § 155; ZPO § 85 Abs. 2
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) haben gegen ein im wesentlichen klageabweisendes Urteil des Finanzgerichts (FG) Revision eingelegt. Die Frist zur Vorlage der Revisionsbegründung endete am 30. Oktober 2001. Erst nach einem Hinweis der Geschäftsstelle des II. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) legte der Prozessbevollmächtigte der Kläger am 25. November 2001 eine Revisionsbegründung vor und beantragte, wegen der Fristversäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Hierzu machte der Prozessbevollmächtigte der Kläger geltend, die Frist sei überschritten worden, weil er "in der Zeit vom 20. Oktober bis zum 15. November 2001 arbeitsunfähig erkrankt" sei. Er verfüge über keinerlei Mitarbeiter und müsse buchstäblich sämtliche Arbeiten selbst erledigen. Mit Schreiben vom 3. Januar 2002 versicherte der Prozessbevollmächtigte der Kläger diese Angaben an Eides statt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Die Revision ist innerhalb der Revisionsbegründungsfrist zu begründen (§ 120 Abs. 1 FGO). Geschieht dies nicht, ist sie unzulässig (§ 124 Abs. 1 FGO).
a) Die Kläger haben ihre Revision erst nach Ablauf der am 30. Oktober 2001 endenden Revisionsbegründungsfrist und damit verspätet eingereicht.
Es liegt nicht der Fall vor, dass die Rechtsmittelfrist infolge unvollständiger Rechtsbehelfsbelehrung nicht in Lauf gesetzt worden ist (vgl. § 55 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das finanzgerichtliche Urteil enthält eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung. Insbesondere ist diese nicht etwa deswegen unvollständig und damit unrichtig i.S. von § 55 Abs. 2 FGO, weil hierin kein Hinweis auf die Möglichkeit, vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist deren Verlängerung zu beantragen, enthalten ist (vgl. Spindler in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 55 FGO Rdnr. 20; Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Juni 1968 VI C 12/68, Verwaltungs-Rechtsprechung in Deutschland, 20. Band, Nr. 68).
b) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann den Klägern nicht gewährt werden. Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist verhindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dabei muss sich ein Beteiligter das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Der Wiedereinsetzungsantrag ist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 und 2 FGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und die Tatsachen zur Begründung des Antrags innerhalb dieser Frist vorzutragen. Zu dem erforderlichen fristgerechten Vortrag gehören auch die Tatsachen, die die unverschuldete Säumnis belegen sollen (BFH-Urteil vom 20. Februar 1990 VII R 125/89, BFHE 159, 573, BStBl II 1990, 546). Dies setzt eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen voraus (BFH-Beschlüsse vom 20. Juni 1996 X R 95/93, BFH/NV 1997, 40; vom 19. Januar 1993 X R 82/92, BFH/NV 1993, 611; vom 22. Dezember 1994 X R 236/93, BFH/NV 1995, 702).
Die vom Prozessbevollmächtigten innerhalb der Antragsfrist geltend gemachten Tatsachen rechtfertigen keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Denn eine Erkrankung des Prozessbevollmächtigten wird nur dann als schuldlose Verhinderung des Revisionsführers gewertet, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar auftritt und so schwer ist, dass es für den Prozessbevollmächtigten unzumutbar ist, die Frist einzuhalten oder rechtzeitig einen Vertreter zu bestellen (BFH-Beschlüsse des vom 23. Juli 1996 V R 29/96, BFH/NV 1997, 125; vom 11. Oktober 1995 VIII B 106/95, BFH/NV 1996, 332; vom 22. Juli 1991 III B 22/91, BFH/NV 1992, 257).
Diesen Erfordernissen genügt die Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Kläger nicht; er hat lediglich dargetan, arbeitsunfähig erkrankt gewesen zu sein, jedoch nicht behauptet, die Erkrankung sei plötzlich und unvorhersehbar eingetreten und so schwer gewesen, dass es ihm nicht möglich war, die Revisionsbegründung fristgerecht vorzulegen oder auch nur rechtzeitig einen Fristverlängerungsantrag nach § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO zu stellen oder einen Vertreter zu bestellen.
Fundstellen
Haufe-Index 887185 |
BFH/NV 2003, 482 |