Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache; Verletzung rechtlichen Gehörs; Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung; vermeintlich fehlerhafte Rechtsanwendung des FG
Leitsatz (NV)
1. Die Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen für Stiefkinder Kindergeld zu gewähren ist, ist nicht grundsätzlich bedeutsam, da sie sich eindeutig aus dem Gesetz beantworten lässt.
2. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist bereits unzulässig, wenn nicht dargetan wird, welchen entscheidungserheblichen Vortrag das FG nicht beachtet hat.
3. Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Abweichung des FG-Urteils von einem BFH-Urteil liegt nur vor, wenn die Sachverhalte, die beiden Entscheidungen zugrunde liegen, vergleichbar sind.
4. Die Rüge der vermeintlich fehlerhaften Rechtsanwendung des FG vermag die Zulassung der Revision nach ständiger Rechtsprechung nicht zu rechtfertigen.
Normenkette
EStG § 63 Abs. 1 Nr. 2; FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 116 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 12.05.2005; Aktenzeichen 2 K 587/03) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhielt in der Zeit von April bis November 2001 für seinen im Januar 1978 geborenen Stiefsohn S und für seine im Dezember 1979 geborene Stieftochter C Kindergeld. Beide Kinder befanden sich im Studium und erhielten jeweils Barunterhalt von ihrer Mutter und ihrem leiblichen Vater. Sie hatten in diesem Zeitraum bereits einen eigenen Hausstand außerhalb der elterlichen Wohnung.
Im März 2001 verließ die Ehefrau des Klägers den gemeinsamen ehelichen Haushalt. Nachdem sie die Auszahlung des Kindergeldes an sich beantragt hatte, hob die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kläger mit bestandskräftigem Bescheid vom 28. November 2001 für die Zeit ab Dezember 2001 auf.
Im Juni 2003 teilte die Ehefrau des Klägers der Familienkasse mit, der Kläger habe das in der Zeit von April bis November 2001 für ihre Kinder erhaltene Kindergeld weder an die Kinder noch an sie selbst weitergeleitet. Die beiden Kinder seien während dieser Zeit nur von ihrem leiblichen Vater und von ihr selbst unterhalten worden.
Mit Bescheid vom 23. Juni 2003 hob die Familienkasse gegenüber dem Kläger die Kindergeldfestsetzung auch für die Zeit von April bis November 2001 auf und forderte den ausbezahlten Betrag in Höhe von insgesamt 5 200 DM zurück.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) führte in seiner Entscheidung im Wesentlichen aus:
Der Kläger habe keinen Anspruch auf Kindergeld, weil die Kinder bei ihm weder nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als eigene Kinder noch nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG als Kinder seines Ehegatten zu berücksichtigen seien.
Selbst bei Annahme einer Kindergeldberechtigung des Klägers sei der Kindergeldanspruch aber nach § 64 Abs. 3 EStG entfallen, weil der Kläger seinen Stiefkindern für die Monate April bis November 2001 keine Unterhaltsrente bezahlt habe. Der Kläger könne sich wegen der Rückzahlungsverpflichtung nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) auch nicht auf Vertrauensschutz berufen, da er seine Mitwirkungspflicht nach § 68 Abs. 1 EStG verletzt habe.
Zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich der Kläger in erster Linie auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Es sei zu klären, ob die Familienkasse berechtigt sei, 19 Monate nach ihrem Bescheid vom 28. November 2001 ihm gegenüber (noch) Rückforderungsansprüche geltend zu machen. Denn mit diesem Bescheid habe die Familienkasse konkludent die Rechtmäßigkeit der vorherigen Zahlungen bestätigt.
Ferner sei grundsätzlich bedeutsam, ob ihm Kindergeld nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 EStG zustehe. Die Kinder seien in den gemeinsamen Haushalt mit seiner Ehefrau aufgenommen gewesen und schon vor der Trennung ausgezogen. Nach der Vereinbarung mit seiner Ehefrau habe ihm das Kindergeld bis November 2001 zugestanden. Die Kinder seien als Studenten ohne eigenes Einkommen gewesen, so dass seine Ehefrau stets kindergeldberechtigt gewesen sei. Es liege daher kein Grund für eine Rückforderung vor. Das FG habe seinen, des Klägers, Klagevortrag hierzu schlichtweg übergangen und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Zur Verdeutlichung werde ein Auszug aus dem "Merkblatt Kindergeld" der Bundesagentur für Arbeit vom Januar 2001 vorgelegt, woraus sich ergebe, dass ihm, dem Kläger, auch kein berechtigter Vorwurf wegen angeblicher Verletzung von Mitwirkungspflichten gemacht werden könne. Denn die Bundesagentur habe in ihrem Katalog bezüglich Kindergeld bei über 18 Jahre alten Kindern Meldepflichten im Trennungsfall der Eltern gerade nicht aufgeführt.
Die Zulassung der Revision sei ferner auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO geboten, da die Entscheidung des FG von dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 23. März 2005 III R 91/03 (BFHE 209, 338, BFH/NV 2005, 1186) abweiche. Nach den Grundsätzen dieses Urteils sei er, der Kläger, entsprechend der bis November 2001 bestehenden Vereinbarung mit seiner Ehefrau vorrangig Berechtigter nach § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG gewesen. Die Trennung habe die Wirksamkeit dieser Berechtigtenbestimmung nicht berührt.
Schließlich sei der zurückgeforderte Betrag der Höhe nach nicht nachvollziehbar begründet, weil die Abrechnung durch die Familienkasse fehlerhaft sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird daher zurückgewiesen (§ 132 FGO).
1. Der Rechtsstreit ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht grundsätzlich bedeutsam i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
Insoweit fehlt es an einer Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen, da sich diese bereits eindeutig aus dem Gesetz beantworten lassen.
a) Die Familienkasse ist grundsätzlich berechtigt, Bescheide über die Festsetzung von Kindergeld innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist (§§ 169 ff. AO 1977) zu ändern bzw. aufzuheben, wenn die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift vorliegen. Daher steht der bestandskräftige Bescheid vom 28. November 2001 dem innerhalb der Vierjahresfrist nach § 70 Abs. 2 EStG ergangenen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Familienkasse vom 23. Juni 2003 nicht entgegen.
b) Auch die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob ihm Kindergeld nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 EStG zustehe, ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut dieser Vorschrift. Danach sind Kinder des anderen Ehegatten nur zu berücksichtigen, solange sie in den gemeinsamen Haushalt aufgenommen sind. Waren die Kinder wie im Streitfall auswärts untergebracht, kommt eine Berücksichtigung beim Stiefvater nicht in Betracht.
2. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang die Verletzung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO als Verfahrensmangel rügt, ist die Beschwerde bereits unzulässig.
Der Kläger hat diesen Verfahrensverstoß nicht nach Maßgabe der gesetzlichen Anforderungen hinreichend bezeichnet (§ 116 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 3 FGO). Er hat nicht dargelegt, welchen entscheidungserheblichen Vortrag das FG nicht beachtet hat.
3. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO zuzulassen.
Die Entscheidung des FG weicht nicht von dem Senatsurteil in BFHE 209, 338, BFH/NV 2005, 1186 ab. Nach dieser Entscheidung können getrennt lebende Eltern bestimmen, wer das Kindergeld erhalten soll, wenn die Kinder in beide Haushalte aufgenommen sind. Die Berechtigtenbestimmung bleibt wirksam, bis sie von einem Berechtigten widerrufen wird. Der Streitfall betrifft aber einen anderen Sachverhalt, da die Kinder weder im Haushalt des Klägers noch im Haushalt der Ehefrau gelebt haben. Ist das Kind nicht in den Haushalt eines Berechtigten aufgenommen, erhält nach § 64 Abs. 3 Satz 1 EStG derjenige das Kindergeld, der dem Kind eine Unterhaltsrente zahlt. Selbst wenn der Kläger als Stiefvater Berechtigter gewesen wäre, hätte er mangels Unterhaltszahlungen an die Kinder keinen Anspruch auf das Kindergeld gehabt.
4. Soweit der Kläger geltend macht, ihm könne kein berechtigter Vorwurf wegen angeblicher Verletzung von Mitwirkungspflichten gemacht werden und der zurückgeforderte Betrag sei der Höhe nach nicht nachvollziehbar begründet, rügt er im Kern eine vermeintlich fehlerhafte Rechtsanwendung des FG. Dies vermag die Zulassung der Revision nach ständiger Rechtsprechung nicht zu rechtfertigen (vgl. BFH-Beschluss vom 10. August 2005 VIII B 29/04, BFH/NV 2006, 77).
Im Übrigen ist der Betrag richtig berechnet. Für den Stiefsohn S erhielt der Kläger Kindergeld in Höhe von 270 DM monatlich, für die Stieftochter C 300 DM monatlich, weil der Sohn des Klägers aus erster Ehe als sog. Zählkind berücksichtigt und die Tochter deshalb für die Höhe des Kindergeldes als drittes Kind behandelt wurde. Für den gemeinsamen Sohn G aus der zweiten Ehe, der folglich als viertes Kind galt, bekam er 350 DM. Da der Kläger für die Kinder S und C keinen Anspruch auf Kindergeld hatte, stand ihm Kindergeld für den Sohn G nur als zweites Kind in Höhe von 270 DM zu. Die Differenz zu dem ausgezahlten erhöhten Kindergeld in Höhe von 80 DM monatlich war daher ebenfalls zurückzufordern. Der Rückforderungsbetrag von 5 200 DM (270 DM + 300 DM + 80 DM = 650 DM x 8 Monate) ist zutreffend ermittelt.
Fundstellen
Haufe-Index 1554011 |
BFH/NV 2006, 1842 |