Entscheidungsstichwort (Thema)
Äußerung vorläufiger Rechtsmeinung kein Richterablehnungsgrund; Befangenheit aber bei Nahelegung der Klagerücknahme i. V. m. Ankündigung der Zurückweisung
Leitsatz (NV)
Hinweise eines Richters auf seine - vorläufige - Meinung über den voraussichtlichen Ausgang des Prozesses sind grundsätzlich kein Ablehnungsgrund. Sie sind durch die richterliche Hinweis- und Aufklärungspflicht gedeckt.
Ein Ablehnungsgrund kann dagegen vorliegen, wenn eine auf Klagerücknahme zielende Anfrage erkennen läßt, es sei dem Richter an einer Beendigung des Verfahrens um jeden Preis gelegen.
Eine Anregung, ,,die Klage zurückzunehmen, da sie in den vergangenen zwei Jahren nicht begründet worden ist und deshalb kostenpflichtig zurückgewiesen werden muß", ist geeignet, Mißtrauen gegen die Unvoreingenommenheit des Richters zu rechtfertigen.
Normenkette
FGO §§ 51, 76, 79; ZPO § 42 Abs. 2
Gründe
. . .
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der angefochtene Beschluß aufgehoben und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt.
1. Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen in seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 51 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Beurteilung davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflußt ausfiele (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. September 1977 I B 32/77, BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12, m. w. N.). Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabes Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten.
2. Die mit Verfügung vom 1. August 1986 an die Klägerin ergangene Anregung des abgelehnten Richters, ,,die Klage zurückzunehmen, da sie in den vergangenen zwei Jahren nicht begründet worden ist und deshalb kostenpflichtig zurückgewiesen werden muß", ist geeignet, bei der Klägerin Mißtrauen gegen die Unvoreingenommenheit des Richters zu rechtfertigen.
Ein Ablehnungsgrund ist allerdings nicht schon darin zu sehen, daß sich der Berichterstatter aufgrund des bisherigen Sach- und Streitstands eine Meinung über den voraussichtlichen (für die Klägerin ungünstigen) Ausgang des Verfahrens gebildet und diese Ansicht der Klägerin im Schreiben vom 1. August 1986 mitgeteilt hat. Hinweise eines Richters auf seine - vorläufige - Meinung über den voraussichtlichen Ausgang des Prozesses sind grundsätzlich durch die richterliche Hinweis- und Aufklärungspflicht (§§ 76 ff., 79 FGO) gedeckt und liegen in der Regel auch im wohlverstandenen Interesse der Beteiligten. Die Beteiligten erhalten auf diese Weise Gelegenheit, ihre eigene, von der des Richters abweichende Rechtsauffassung näher zu erläutern und dabei zusätzliche Gesichtspunkte vorzutragen oder ihr bisheriges Vorbringen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zu ergänzen (vgl. BFH-Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, 149, BStBl II 1985, 555). Derartige Hinweise würden erschwert, wenn alles, was der Richter zum möglichen Ausgang des Verfahrens äußert, als Parteilichkeit anzusehen wäre. Auch die Anregung eines bestimmten prozessualen Verhaltens, z. B. einer Klagerücknahme, liegt noch im Rahmen der richterlichen Aufklärungs- und Hinweispflicht, wenn erkennbar bleibt, daß der Richter seine Anregung oder Empfehlung vorbehaltlich neuer Erkenntnisse und neuen entscheidungserheblichen Vortrags ausgesprochen hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 5. März 1971 VI B 64/70, BFHE 102, 10, BStBl II 1971, 527; in BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555; Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs - VGH - Kassel vom 11. Oktober 1982 V TE 58/82, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1983, 901). Anders ist es jedoch zu beurteilen, wenn eine auf die Klagerücknahme zielende Anfrage erkennen läßt, es sei dem Richter an einer Beendigung des Verfahrens um jeden Preis gelegen (BFHE 144, 144, 150, BStBl II 1985, 555) oder wenn durch die Anfrage der unrichtige Eindruck vermittelt wird oder werden kann, daß die Klagerücknahme nach dem bisherigen Sach- und Streitstand die einzig sinnvolle prozessuale Handlung sei (vgl. VGH-Kassel in NJW 1983, 901 zur Anregung, die Hauptsache für erledigt zu erklären; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 8. Aufl., § 54 Anm. 11 b; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 45. Aufl., § 42 Anm. 2 B ,,Ratschlag"; a. A. Zöller / Vollkommer, Zivilprozeßordnung, 15. Aufl., § 42 Rdnr. 26).
Hätte sich der Berichterstatter im Streitfall darauf beschränkt, die Klägerin unter Hinweis auf die sich aus § 40 Abs. 2 FGO ergebende Rechtsfolge an die Abgabe der Klagebegründung zu erinnern, so könnte diese Äußerung nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen. Die von dem abgelehnten Richter in seiner Verfügung vom 1. August 1986 gewählte Formulierung zielt jedoch nicht auf die Einreichung der Klagebegründung, sondern auf eine Klagerücknahme ab. Zwar hat der Berichterstatter in seiner dienstlichen Äußerung zu dem Ablehnungsgesuch erklärt, er habe den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin nur auf die sich aus § 40 Abs. 2 FGO ergebende Rechtsfolge hinweisen wollen. Dieser Wille ist aber in der Verfügung vom 1. August 1986 nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gekommen. Vielmehr konnte bei der Klägerin aufgrund dieses Schreibens der Eindruck entstehen, der Berichterstatter wolle ihr die Klagerücknahme nahelegen und habe sich schon jetzt auf die Rechtsauffassung festgelegt, die Klage könne keinen Erfolg haben. Der Eindruck der Voreingenommenheit des Richters war aus der Sicht der Klägerin auch deshalb berechtigt, weil sie in der Klageschrift beantragt hatte, das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung über die Klage III K 244/83 anzuordnen und ihr eine Frist von sechs Wochen nach Aufnahme des Verfahrens für die Begründung der Klage zu bewilligen. Über diesen Antrag hatte das FG im August 1986 noch nicht entschieden. Auch der Berichterstatter ist in seiner Verfügung vom 1. August 1986 nicht auf diesen Antrag eingegangen, obwohl die Klägerin im Schriftsatz vom 27. Juli 1984 an die noch ausstehende Entscheidung über diesen Antrag erinnert hatte.
Die Klägerin hatte unter diesen Umständen Grund zu der Besorgnis, der Berichterstatter wolle sie zur Abgabe einer auf die Beendigung des Prozesses gerichteten prozessualen Erklärung veranlassen, weil er sich bereits eine abschließende Meinung über den Ausgang des Verfahrens gebildet habe.
3. Da der angefochtene Beschluß schon aus diesem Grunde aufzuheben ist, braucht der Senat nicht zu prüfen, ob ein Verfahrensfehler des FG darin zu sehen ist, daß es der Klägerin die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters nicht schon vor der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch bekanntgegeben hat (vgl. hierzu Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juni 1968 2 BvR 599, 677/67, BVerfGE 24, 56; BFH-Beschluß vom 31. Mai 1972 II B 34/71, BFHE 105, 337, BStBl II 1972, 576; VGH-Kassel in NJW 1983, 901).
Fundstellen
Haufe-Index 415414 |
BFH/NV 1989, 638 |