Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Beendigung einer umsatzsteuerlichen Organschaft vor Stellung des Insolvenzantrags
Leitsatz (NV)
- Durch die Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass die für die umsatzsteuerrechtliche Organschaft erforderliche wirtschaftliche Eingliederung bereits dann vorliegen kann, wenn zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft aufgrund gegenseitiger Förderung und Ergänzung mehr als nur unerhebliche Beziehungen bestehen.
- Geklärt ist auch, dass der Vorsteuerrückforderungsanspruch des Fiskus nach § 17 UStG wegen Insolvenz der Organgesellschaft gegen den Organträger zu richten ist, wenn die von der Organgesellschaft geschuldeten Entgelte noch zur Zeit des Bestehens der Organschaft uneinbringlich geworden sind.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2; UStG 1999 § 2 Abs. 2 Nr. 2, § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
FG des Landes Brandenburg (Urteil vom 25.06.2003; Aktenzeichen 1 K 701/01) |
Tatbestand
I. Der Kläger, Beschwerdeführer und Antragsteller (Kläger) gründete 1991 ein Einzelunternehmen, das Transportleistungen, Tief- und Straßenbau, Sanierungsarbeiten und Deponiepflege sowie den Handel mit diversen Baustoffen zum Unternehmensgegenstand hatte.
Seit Juli 1997 war der Kläger einziger Gesellschafter einer GmbH. Gegenstand dieses Unternehmens waren "die Abwicklung sowie Ausführung von Transport- und Tiefbauverträgen sowie die Durchführung sämtlicher Umweltschutzmaßnahmen". Der Kläger und C waren allein vertretungsberechtigte Geschäftsführer.
Ab 1997 vermietete das Einzelunternehmen verstärkt Maschinen und Fahrzeuge an die GmbH. Im Streitjahr 1999 wurden keine Umsätze mehr aus Vermietung, sondern nur noch aus einzelnen Werklohnarbeiten an die GmbH erzielt. Im Februar 1999 verkaufte die GmbH an den Kläger sechs Maschinen zu einem Preis von 133 000 DM, wovon fünf Maschinen im Juni 1999 erheblich billiger weiter veräußert wurden.
Am 30. Juni 1999 stellten die Geschäftsführer den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH. Der Kläger wurde mit Wirkung von diesem Tage als Geschäftsführer abberufen.
Nach einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung nahm der Beklagte, Beschwerdegegner und Antragsgegner (das Finanzamt ―FA―) an, zwischen dem Einzelunternehmen und der GmbH habe eine umsatzsteuerliche Organschaft bestanden, und veranlagte den Kläger entsprechend zur Umsatzsteuer.
Die Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) bejahte eine Organschaft bis zum 30. Juni 1999. Zu diesem Zeitpunkt sei auch das Entgelt für die Leistungsbezüge der GmbH schon uneinbringlich gewesen, so dass die Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) zu Recht beim Kläger (Organträger) erfolgt sei. Das FG ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Beschwerde, die er auf alle drei Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stützt (Aktenzeichen des Bundesfinanzhofs ―BFH―: V B 158/03).
Der Kläger meint, grundsätzliche Bedeutung habe die Frage der wirtschaftlichen Eingliederung der GmbH in sein Einzelunternehmen; die Vorentscheidung weiche von den Urteilen des BFH vom 7. August 2002 I R 83/01 (BFH/NV 2003, 345) und vom 3. April 2003 V R 63/01 (BFHE 202, 79) ab. Zu klären sei
- wo die Bestimmungskriterien für das Vorhandensein eines sogenannten Gesamtkonzepts lägen,
- ob sich dieses Gesamtkonzept des Organträgers vorrangig auf wirtschaftliche Vorgänge außerhalb des Organkreises beziehe (gemeinsame Bearbeitung von Fremdaufträgen) oder ob bloße Werklohnleistungen des Organträgers direkt an die Organgesellschaft als Leistungsempfänger und Maschinenverkäufe der Organgesellschaft an den Organträger eine wirtschaftliche Eingliederung auslösen könnten,
- wann die Unerheblichkeit bezüglich der wirtschaftlichen Beziehungen der Organunternehmen in diesem Zeitpunkt beginne,
- ob bezüglich des Vorsteuerrückforderungsanspruchs nach § 17 UStG gegen den Organträger auf den Rückforderungszeitpunkt oder auf den Begründungs- und Entstehungszeitpunkt abzustellen sei.
Außerdem rügt er Abweichung der Vorentscheidung von dem BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 345.
Einen Verfahrensfehler (Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs) sieht der Kläger darin, dass das FG seinen Vortrag, dass seine Einzelfirma seit dem 30. April 1999 keine eigene gewerbliche Tätigkeit mehr ausgeübt habe, bei der Entscheidung über den Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft ohne ersichtliche Gründe nicht erwogen habe.
Gleichzeitig mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision hat der Kläger die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids für 1999 beantragt (Aktenzeichen des BFH: V S 16/03).
Das FA ist der Beschwerde und dem AdV entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Verbindung der Verfahren beruht auf § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO.
III. Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung der Revision kann gemäß § 116 Abs. 1 FGO durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen (§ 116 Abs. 3 Satz 1 FGO). In der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
1. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine klärbare und klärungsbedürftige Rechtsfrage voraus. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung ist darzulegen, inwieweit die aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig, d.h. in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten ist. Dies erfordert regelmäßig eine Auseinandersetzung mit den in der Rechtsprechung zu dieser Frage vertretenen Auffassungen (vgl. BFH-Beschluss vom 12. Juli 2002 II B 33/01, BFH/NV 2002, 1482).
Zur Frage der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft gibt es eine Fülle von höchstrichterlichen Entscheidungen. In keiner kommt der vom Kläger für maßgeblich gehaltene Begriff des Gesamtkonzepts vor. Aus der Beschwerdeschrift ergibt sich nicht, warum die von der Rechtsprechung des BFH bisher entwickelten Rechtsgrundsätze zur Lösung des Streitfalles nicht ausreichen sollen. Das FG hat zwar ebenfalls den Begriff des "Gesamtkonzepts" verwandt, ist aber ansonsten ausdrücklich von den Rechtsgrundsätzen des BFH-Urteils in BFHE 202, 79 ausgegangen; danach kann die für die umsatzsteuerrechtliche Organschaft erforderliche wirtschaftliche Eingliederung bereits dann vorliegen, wenn zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft aufgrund gegenseitiger Förderung und Ergänzung mehr als nur unerhebliche Beziehungen bestehen; insbesondere braucht die Organgesellschaft nicht wirtschaftlich vom Organträger abhängig sein. Das FG hat ausführlich begründet, warum es diese Voraussetzungen nach den Gesamtumständen des Streitfalls für erfüllt hielt. Aus dem Umstand, dass der Kläger die Entscheidung des FG für unrichtig hält, folgt nicht, dass es um keine Einzelfallentscheidung geht, sondern eine weitere Verfeinerung der Rechtsprechung des BFH im Interesse der Allgemeinheit notwendig ist.
Dasselbe gilt für die Ansicht des Klägers, die Beziehungen zwischen Kläger und GmbH seien unerheblich gewesen. Schließlich ist auch geklärt, dass der Vorsteuerrückforderungsanspruch des Fiskus nach § 17 UStG wegen Insolvenz der Organgesellschaft gegen den Organträger zu richten ist, wenn die von der Organgesellschaft geschuldeten Entgelte noch zur Zeit des Bestehens der Organschaft uneinbringlich wurden. Noch nicht geklärt ist lediglich, ob sich der Rückforderungsanspruch auch dann gegen den Organträger richtet, wenn die Uneinbringlichkeit der Forderungen erst nach Beendigung der Organschaft eingetreten ist (BFH-Beschluss vom 6. Juni 2002 V B 110/01, BFH/NV 2002, 1267, m.N.).
2. Soweit der Kläger eine "umsatzorientierte Prüfung der wirtschaftlichen Eingliederung" für notwendig hält, und in diesem Zusammenhang Divergenz zum BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 345 rügt, verkennt er, dass nach ständiger Rechtsprechung des Senats für die umsatzsteuerrechtliche Organschaft andere Voraussetzungen gelten als im Ertragsteuerrecht (vgl. zuletzt BFH in BFHE 202, 79).
3. Der Kläger hat auch nicht ordnungsgemäß gerügt, das FG habe ihm das rechtliche Gehör versagt (vgl. § 119 Nr. 3 FGO), indem es seinem Vortrag keine besondere Beachtung schenkte, die Einzelfirma habe mit Entlassung der Mitarbeiter am 30. April 1999 keine eigene gewerbliche Tätigkeit mehr entfaltet. Es fehlt die schlüssige Darlegung, dass dieser Vortrag entscheidungserheblich war. Auf die gewerbliche Tätigkeit kommt es nicht an, sondern darauf, ob die GmbH bis zum 30. Juni 1999 gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG "in das Unternehmen" des Klägers eingegliedert war. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angefochtenen Feststellungen des FG dauerte sein Unternehmen jedenfalls bis Juni 1999 fort, als der Kläger die im Februar 1999 erworbenen Maschinen weiterveräußerte. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass die Vorentscheidung auf der Nichtberücksichtigung des Vortrags des Klägers beruhte.
IV. Mit der Abweisung der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision, ist der angefochtene Umsatzsteuerbescheid für 1999 unanfechtbar geworden. Eine AdV eines unanfechtbaren Verwaltungsakts kommt nicht mehr in Betracht (BFH-Beschluss vom 22. November 2000 V S 15/00, BFH/NV 2001, 620).
Fundstellen