Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung; rechtliches Gehör
Leitsatz (NV)
- Einer Rechtsfrage, die sich eindeutig aus dem Gesetz beantworten läßt, kommt grundsätzliche Bedeutung nicht zu.
- Ein Haftungsschuldner, dem ein Anfechtungsrecht i.S. des § 166 AO 1977 gegen die der Inanspruchnahme zur Haftung zugrundeliegende Steuerfestsetzung nicht zugestanden hat, kann gegen diese alle Einwendungen geltend machen. Ein über § 166 AO 1977 hinausgehender Ausschluß von Einwendungen gegen die Haftungsinanspruchnahme ist mit dem verfassungsrechtlich garantierten Rechtsschutz des Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbaren.
- Das Recht auf Gehör ist nicht verletzt, wenn das FG Einwendungen des Klägers im Urteil zurückweist.
Normenkette
AO 1977 § 166; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3; GG Art. 19 Abs. 4
Gründe
Die in entsprechender Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden haben keinen Erfolg. Sie sind, soweit sie nicht bereits deshalb unzulässig sind, weil der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) seine auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 FGO gestützten Beschwerden nicht entsprechend den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO begründet hat, jedenfalls unbegründet, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht gegeben sind.
1. Die Rechtssachen haben nicht die vom Kläger behauptete grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), weil die in den Beschwerdeschriften formulierte Rechtsfrage nicht im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und in der Lohnsteuerhaftungssache nicht klärungsfähig ist. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtsfrage u.a. zu, wenn sie im Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und in dem begehrten Revisionsverfahren klärungsfähig ist (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rz. 7, 8). Die in den Beschwerdeschriften formulierte Rechtsfrage, ob § 166 der Abgabenordnung (AO 1977), soweit diese Vorschrift zum Ausschluß von Einwendungen ―gegen die der Haftungsinanspruchnahme zugrundeliegenden Steuerbescheide― von Vertretern oder Bevollmächtigten ohne eigenes Anfechtungsrecht führe, wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unwirksam sei, ist nicht klärungsbedürftig, weil sie sich bereits aus dem Gesetz beantworten läßt (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 9, m.w.N.). Nach § 166 AO 1977 muß derjenige eine dem Steuerpflichtigen gegenüber unanfechtbare Steuerfestsetzung gegen sich gelten lassen, der in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten. Der beschließende Senat hat in seinem Urteil vom 16. Dezember 1997 VII R 30/97 (BFH/NV 1998, 896) zu der in den Beschwerdeschriften aufgeworfenen Rechtsfrage festgestellt, daß die Drittwirkung der Steuerfestsetzung gemäß § 166 AO 1977 gegenüber dem Gesellschafter ―hier dem Geschäftsführer― als Haftungsschuldner nur insoweit eingreifen kann, als er aufgrund der gesetzlichen Regelungen über die Vertretung der Gesellschaft zur Anfechtung der Steuerbescheide befugt gewesen wäre (vgl. auch Beschluß des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 17. Mai 1994 IV B 54/93, BFH/NV 1995, 86, 87). Ein weitergehender Ausschluß von Einwendungen gegen den Haftungsbescheid ist mit dem verfassungsrechtlich garantierten Rechtsschutz i.S. von Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbaren. Die vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam herausgestellte Rechtsfrage ist damit dahingehend geklärt, daß § 166 AO 1977 für die Drittwirkung der Steuerfestsetzung jeweils auf die persönliche Anfechtungsbefugnis des durch den Bescheid (Dritt-)Betroffenen abstellt. Da § 166 AO 1977 allein auf die rechtliche Befugnis zur Anfechtung des Steuerbescheides abstellt (vgl. Senatsurteil vom 20. Januar 1998 VII R 80/97, BFH/NV 1998, 814, 815), kann der Haftende, sofern ihm ein Anfechtungsrecht i.S. des § 166 AO 1977 nicht zugestanden hat, alle Einwendungen gegen die seiner Haftungsinanspruchnahme zugrundeliegende Steuerfestsetzung geltend machen. Den Beschwerdeschriften läßt sich im übrigen nicht entnehmen, daß der Kläger sich mit dieser Rechtsprechung auseinandergesetzt oder daß er neue Gesichtspunkte für eine darüber hinausgehende Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage vorgebracht hätte (vgl. dazu Senatsbeschluß vom 4. Juni 1996 VII S 9/96, BFH/NV 1996, 915, 916). Ob das Finanzgericht (FG) dem Vorbringen des Klägers gegen die seiner Haftungsinanspruchnahme zugrundeliegenden Umsatzsteuerfestsetzungen aus der Zeit vor Übernahme der Geschäftsführertätigkeit die erwünschte Beachtung eingeräumt und daraus die rechtlich zutreffenden Schlußfolgerungen gezogen hat, ist für die Frage der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage und die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung unerheblich (vgl. BFH in BFH/NV 1996, 915, 916).
In der Lohnsteuerhaftungssache scheitert die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der oben bezeichneten Rechtsfrage bereits an der mangelnden Klärungsfähigkeit. Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger die Lohnsteueranmeldungen in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer abgegeben, und er hat diese auch nicht angefochten, so daß die Frage, ob ein Haftungsschuldner mit Einwendungen gegen die Steuerfestsetzung auch dann ausgeschlossen ist, wenn ihm ein Anfechtungsrecht dagegen nicht zugestanden hat, in einem anschließenden Revisionsverfahren nicht zu entscheiden wäre.
2. Soweit der Kläger in der Umsatzsteuersache zusätzlich die Verletzung seines Rechts auf Gehör (§§ 115 Abs. 3 Nr. 3 i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO) geltend macht, liegt dieser Verfahrensfehler ―ungeachtet dessen, daß die in der Beschwerdeschrift zum Ausdruck gebrachte Rüge den Darlegungserfordernissen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht entspricht (vgl. BFH-Beschluß vom 1. Juli 1998 IV B 152/97, BFH/NV 1998, 1511, m.w.N., und Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 65)― nicht vor. Der Kläger führt selbst aus, seine Einwendungen gegen die Inanspruchnahme als Haftender für die ―berichtigte― Umsatzsteuerschuld 1986 seien vom FG zurückgewiesen worden. Damit trifft es nicht zu, daß der Kläger zu diesem Sachverhalt nicht gehört worden ist. Sein Vorbringen richtet sich vielmehr dagegen, daß er mit diesen Einwendungen bei Gericht nicht durchgedrungen ist. Einwände gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils rechtfertigen jedoch aus keinem der in § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO genannten Gründe die Zulassung der Revision (vgl. BFH-Beschluß vom 30. Juni 1998 X B 10 und 11/98, BFH/NV 1998, 1509, m.w.N.).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ab.
Fundstellen
Haufe-Index 171090 |
BFH/NV 1999, 1054 |