Entscheidungsstichwort (Thema)
Schuldhafte Versäumung der Beschwerdefrist wegen unterlassener eigenverantwortlicher Nachprüfung des Fristablaufs durch den Prozessvertreter
Leitsatz (NV)
- Ungeachtet eines unverschuldeten Büroversehens bleibt der Prozessvertreter stets verpflichtet, den Fristablauf eigenverantwortlich nachzuprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung der fristgebundenen Handlung vorgelegt wird. Dies gilt gleichermaßen, wenn ihm die Akte bei der Bearbeitung der Sache nicht vorgelegen hat.
- Eine Aussetzung des Beschwerdeverfahrens im Hinblick auf ein vor dem BVerfG anhängiges Verfahren kommt im Rahmen eines unzulässigen Beschwerdeverfahrens nicht in Betracht, weil dem BFH insoweit eine Sachentscheidung zu der möglicherweise vorgreiflichen Rechtsfrage verwehrt ist.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, §§ 74, 116 Abs. 2 S. 1; ZPO § 85 Abs. 2
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Die Beschwerde ist verspätet eingelegt worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist kann wegen des den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) zuzurechnenden Verschuldens ihrer Prozessvertreter nicht gewährt werden.
1. Die Beschwerde ist nicht innerhalb der gesetzlichen, nicht verlängerungsfähigen Beschwerdefrist beim Bundesfinanzhof (BFH) eingelegt worden. Gemäß § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils des Finanzgerichts (FG) beim BFH einzulegen. Das angefochtene Urteil ist den Prozessvertretern der Kläger gegen Empfangsbekenntnis am 16. Februar 2001 zugestellt worden. Die Monatsfrist endete danach mit Ablauf des 16. (Freitag) März 2001 (vgl. § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―, und §§ 187 Abs. 1 und 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ―BGB―). Die Beschwerde ist jedoch erst am Montag, den 19. März 2001 ausweislich des Eingangsstempels beim BFH eingegangen und damit ―unstreitig― nicht innerhalb der Beschwerdefrist.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumte Beschwerdefrist kann nach § 56 Abs. 1 FGO nicht gewährt werden.
a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass die Kläger bzw. ihre Prozessbevollmächtigten ohne Verschulden gehindert waren, die Beschwerdefrist einzuhalten und die dafür erheblichen Tatsachen spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses schlüssig dargetan werden (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Mai 1996 X B 12/96, BFH/NV 1996, 833). Ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten ist den Klägern nach § 85 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 FGO zuzurechnen.
b) Es kann offen bleiben, ob die Prozessvertreter die Voraussetzungen für ein unverschuldetes Büroversehen der Büroangestellten X hinreichend dargetan haben. Ein Bevollmächtigter ist verpflichtet, seinen Bürobetrieb so zu organisieren, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen sind (vgl. im Einzelnen BFH-Beschluss vom 13. Oktober 1993 X R 112/92, BFH/NV 1994, 328, m.w.N.). Ein Prozessvertreter darf mechanische Tätigkeiten von untergeordneter Bedeutung einer zuverlässigen Bürokraft überlassen. Dazu gehört auch die Berechnung einfacher und in dem jeweiligen Büro geläufiger Fristen (BFH-Beschluss in BFH/NV 1994, 328, m.w.N.), die Eintragung in das Fristenkontrollbuch und die weitere Kontrolle derartiger Fristen.
Für die Fristnotierung im Kalender und die Überwachung der Fristen muss eine bestimmte Fachkraft verantwortlich sein. Unterläuft ihr dabei ein Versehen, so braucht der Prozessvertreter dieses grundsätzlich nicht als eigenes Verschulden zu vertreten.
Allerdings setzt das voraus, dass alle Vorkehrungen dafür getroffen worden sind, die nach vernünftigem Ermessen geeignet sind, ein Fristversäumnis auszuschließen und der Prozessvertreter insbesondere durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokraft für das Befolgen seiner sachgerechten Anordnungen Sorge trägt (BFH-Beschluss in BFH/NV 1994, 328, m.w.N.). Der Bevollmächtigte darf sich dann darauf verlassen, sein sonst zuverlässiges Personal werde seine Weisungen befolgen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Prozessvertreter mit ihrem Wiedereinsetzungsantrag insbesondere ausreichend zur Art und zum Inhalt der befolgten Anordnungen und der notwendigen regelmäßigen Belehrungen sowie der Überwachung ausreichend vorgetragen haben.
c) Ungeachtet eines möglichen unverschuldeten Büroversehens bleibt der Prozessvertreter stets verpflichtet, den Fristablauf eigenverantwortlich nachzuprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung der fristgebundenen Handlung vorgelegt wird (BFH-Beschluss in BFH/NV 1994, 328). Dies gilt gleichermaßen, wenn ihm die Akte bei der Bearbeitung der Sache nicht vorgelegen hat (BFH-Beschlüsse vom 8. April 1992 II R 73/91, BFH/NV 1992, 829, 830, m.w.N., und in BFH/NV 1994, 328).
d) Im Streitfall tragen die Prozessvertreter selber vor, dass jeweils eine Vorfrist von 10 Tagen vor Fristablauf vermerkt wird und der zuständige Bearbeiter am Tag des Ablaufs der Vorfrist einen Auszug aus dem Fristenbuch mit dem Hinweis auf den Fristablauf persönlich von der Büroangestellten X übergeben bekommt.
Darüber hinaus wird der Vorgang aber auch einen Tag vor Ablauf der Frist dem zuständigen Bearbeiter übergeben.
Die Beschwerdeschrift trägt das Datum des 16. (Freitag) März 2001, also des letzten Tages der Beschwerdefrist. Selbst wenn eine intensivere Prüfung der Fristberechnung im Zeitpunkt des Ablaufs der Vorfrist nicht in Betracht gekommen sein sollte, so war der bearbeitende Prozessbevollmächtigte jedenfalls spätestens am Tag der Erstellung der Beschwerdeschrift zur Nachprüfung der Fristberechnung verpflichtet und wäre in der Lage gewesen, die Beschwerdeschrift noch am selben Tage z.B. per Telefax oder per Boten fristwahrend beim BFH anzubringen.
Unter diesen Umständen kann nicht von einer unverschuldeten Fristversäumnis durch die Prozessvertreter ausgegangen werden.
3. Die Frage einer Aussetzung des Beschwerdeverfahrens gemäß § 74 FGO im Hinblick auf das gegen das Urteil des BFH vom 11. August 1999 XI R 77/97 (BFHE 189, 413, BStBl II 1999, 771) anhängige Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Az. 2 BvR 2194/99, welches vom BVerfG zur Stellungnahme zugestellt worden ist, stellt sich bei einem unzulässigen Rechtsmittel ―wie hier― nicht; denn dem erkennenden Senat ist dadurch eine Sachentscheidung zu der möglicherweise vorgreiflichen Rechtsfrage verwehrt (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1996, 833, 834).
Fundstellen
Haufe-Index 644726 |
BFH/NV 2002, 39 |