Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung (Ein- oder Zweifamilienhaus), wenn bei Wohnungseigentum zwei Wohnungen mit nur einem Miteigentumsanteil verbunden sind
Leitsatz (NV)
1. Das grundsätzlich zum Grundvermögen gehörende Wohnungseigentum (§ 68 Abs. 1 Nr. 3 BewG) bildet nach § 93 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BewG eine wirtschaftliche Einheit und gilt damit als ein Grundstück i.S. des BewG (§ 70 Abs. 1 BewG).
2. Zum Sinn und Zweck der Fiktion des § 93 Abs. 1 Satz 1 BewG.
3. Bei der Entscheidung darüber, was als wirtschaftliche Einheit zu gelten hat, sind neben objektiven auch subjektive Merkmale maßgebend, die allerdings dann außer Betracht bleiben müssen, wenn sie zu objektiven Merkmalen in Widerspruch stehen.
4. Bei Wohnungseigentum sind zwei mit nur einem Miteigentumsanteil verbundene Wohnungen grundsätzlich zu einer wirtschaftlichen Einheit i.S. des BewG zusammenzufassen, sofern nicht die Verkehrsanschauung entgegensteht.
5. Zu den gemeinsamen Ländererlassen vom 20. Oktober 1981 (BStBl I 1981, 640).
Normenkette
BewG §§ 2, 68 Abs. 1 Nr. 3, §§ 70, 93 Abs. 1 S. 1; WEG § 1 Abs. 5, §§ 3, 5 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kl. hat mit Kaufvertrag vom Februar 1982 das Wohnungseigentum Nr. 1 an einem Grundstück erworben. Für dieses Wohnungseigentum war vom FA auf den 1. Januar 1974 der Einheitswert auf . . . DM und die Grundstücksart Einfamilienhaus festgestellt worden. Mit Bescheid vom 29. Oktober 1982 rechnete das FA das Grundstück dem Kl. zu.
Im Laufe des Jahres 1982 führte der Kl. im Erdgeschoß des an einem Hang gelegenen, zu seinem Sondereigentum gehörenden Gebäudeteils bauliche Veränderungen durch, wobei eine zweite abgeschlossene Wohnung entstand. Diese zweite Wohnung wurde nach Bezugsfertigkeit vom 1. April 1982 an fremdvermietet.
Das FA führte für die zweite Wohnung mit Bescheid vom 30. August 1982 eine Nachfeststellung auf den 1. Januar 1983 durch. Es behandelte diese zweite Wohnung als selbständige wirtschaftliche Einheit und stellte hierfür die Grundstücksart Einfamilienhaus fest. Gegen diesen Nachfeststellungsbescheid hat der Kl. Einspruch eingelegt. Über den Einspruch ist noch nicht entschieden.
Mit Schreiben vom 3. März 1983 beantragte der Kläger, für die von ihm erworbene Wohnung Nr. 1 eine Wert- und Artfortschreibung auf den 1. Januar 1983 vorzunehmen und das Grundstück als Zweifamilienhaus zu bewerten. Diesen Antrag lehnte das FA ab, weil die zweite Wohnung als selbständige wirtschaftliche Einheit anzusehen sei. Der Einspruch blieb erfolglos.
Der auf Aufhebung des Ablehnungsbescheids und der Einspruchsentscheidung gerichteten Klage hat das FG stattgegeben. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Umstand, daß es sich bei den infolge baulicher Maßnahmen gebildeten Raumeinheiten um sonderrechtsfähige Raumeinheiten handle, sei nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Nach seinem äußeren Erscheinungsbild stelle sich das Wohnungseigentum des Kl., das baulich abgesetzt sei und deshalb eine gewisse Selbständigkeit besitze, wie ein normales Zweifamilienhaus dar.
Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt das FA, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet.
1. Das grundsätzlich zum Grundvermögen gehörende Wohnungseigentum (vgl. § 68 Abs. 1 Nr. 3 BewG) bildet nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BewG eine wirtschaftliche Einheit und gilt damit als ein Grundstück im Sinne des BewG (§ 70 Abs. 1 BewG). Sinn und Zweck der Fiktion des § 93 Abs. 1 Satz 1 BewG besteht einmal darin, den Besonderheiten der Rechtsfigur des Wohnungseigentums bewertungsrechtlich Rechnung zu tragen, indem das Wohnungseigentum aus der Einheit des bebauten Grundstücks herausgenommen und diesem gegenüber verselbständigt wird (vgl. Senatsurteil vom 18. September 1985 II R 232/84, BFHE 144, 454, BStBl II 1985, 705). Zum anderen wird dadurch klargestellt, daß das Sondereigentum an der Wohnung (zum Gegenstand des Sondereigentums vgl. § 5 Abs. 1 WEG) und der Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum (§ 1 Abs. 5, § 5 Abs. 2, 3 WEG) nicht getrennt, sondern als Einheit zu bewerten sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Februar 1979 III R 73/77, BFHE 128, 83, BStBl II 1979, 547).
Die Fiktion des § 93 Abs. 1 Satz 1 BewG schließt jedoch im übrigen nicht die allgemeinen Abgrenzungsregeln für die Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit als Bewertungsgegenstand aus, wie sie allgemein in § 2 BewG und besonders für Grundstücke in § 70 Abs. 2 BewG normiert sind. Allgemein ist die Entscheidung darüber, was als wirtschaftliche Einheit zu gelten hat, nach den Anschauungen des Verkehrs zu treffen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 BewG). Dabei sind die örtliche Gewohnheit, die tatsächliche Übung, die Zweckbestimmung und die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit der einzelnen Wirtschaftsgüter zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 Satz 4 BewG). Maßgebend sind demnach neben objektiven Merkmalen auch subjektive Merkmale, die allerdings dann außer Betracht bleiben müssen, wenn sie in Widerspruch zu objektiven Merkmalen stehen (vgl. BFH-Urteile vom 15. Juni 1983 III R 40/82, BFHE 139, 201, BStbl II 1983, 752, und vom 23. Januar 1985 II R 35/82, BFHE 143, 152, BStBl II 1985, 336).
Diese Maßstäbe sind grundsätzlich auch für die Bestimmung des Bewertungsgegenstandes bei den nach dem WEG möglichen Rechtsfiguren anwendbar, wobei allerdings objektive Merkmale tatsächlicher Art mit solchen Merkmalen, die ihre Wurzel in der Rechtskonstruktion haben, in Widerspruch stehen können. So hat die Rechtsprechung bei Wohngrundstücken einerseits die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit davon abhängig gemacht, daß sie für sich allein veräußert werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 25. Feburar 1983 III R 81/82, BFHE 138, 468, BStBl II 1983, 552, m.w.N.), andererseits es aber abgelehnt, auf die bei allen abgeschlossenen Wohnungen abstrakt bestehenden Möglichkeit abzustellen, Wohnungseigentum zu schaffen (vgl. BFH-Urteil vom 2. Oktober 1970 III R 163/66, BFHE 100, 213, 216, BStBl II 1970, 822).
Daran ist für die Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit bei Wohnungseigentum und Teileigentum grundsätzlich festzuhalten. Das bedeutet, daß zwei Wohnungen, die mit nur einem Miteigentumsanteil verbunden sind, grundsätzlich zu einer wirtschaftlichen Einheit im Sinne des BewG zusammenzufassen sind. Eine Ausnahme besteht jedoch dann, wenn in diesem Fall der tatsächliche Befund der Verkehrsanschauung entgegensteht. Dies ist möglich, wenn - wie im Streitfall - mit einem Miteigentumsanteil das Sondereigentum an mehreren Wohnungen verbunden ist, die zusammen keine geschlossene Einheit bilden (zur Zulässigkeit vgl. Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 9. März 1971 BReg. 2 Z 15/71, Deutsche Notar-Zeitschrift 1971, 473). In diesem Fall muß die nach dem WEG gegebene rechtliche Möglichkeit, daß der Eigentümer sein Wohnungseigentum in eine der Zahl der abgeschlossenen Wohnungen entsprechende Zahl selbständiger Wohnungseigentumsrechte unterteilen kann, an den besonderen bewertungsrechtlichen Vorschriften gemessen werden (§ 68 Abs. 1 Nr. 3, § 70 Abs. 1, § 93 Abs. 1 i.V.m. § 2 BewG). Liegen die Wohnungen in demselben Haus unmittelbar übereinander oder nebeneinander und sind sie nach den tatsächlichen Gegebenheiten baulich (bautechnisch) so miteinander verbunden, daß sie sich - gedanklich aus dem Gesamtbauwerk herausgelöst - als ein Raumkörper darstellen, so können sie zu einer einzigen wirtschaftlichen Einheit zusammengefaßt werden. Der Senat vermag insoweit nicht die Auffassung zu teilen, die in den gemeinsamen Ländererlassen vom 20. Oktober 1981 (BStBl I 1981, 640) unter 2. b) zum Ausdruck kommt. Besteht keine derartige Verbindung, weil sich die Wohnungen getrennt durch andere im Sondereigentum stehende Wohnungen im Gebäude befinden, muß die lediglich rechtstechnische Zusammenfassung zu einem mit einem Miteigentumsanteil am Grundstück verbundenen Sondereigentum gegenüber dem tatsächlichen Befund zurücktreten.
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall erweist sich die Entscheidung des FG als zutreffend.
Fundstellen
Haufe-Index 415068 |
BFH/NV 1988, 222 |