Entscheidungsstichwort (Thema)
Kaufrechtsvermächtnis zugunsten eines Miterben
Leitsatz (NV)
- Wird einem von mehreren Erben testamentarisch das Recht eingeräumt, ein Nachlassgrundstück zu einem unter dem Verkehrswert liegenden Preis zu erwerben, liegt ein Vorausvermächtnis vor, weil dem Erben damit ein über seine Erbenstellung hinausgehender Vermögensvorteil zugewendet wird.
- Gegenstand des Kaufrechtsvermächtnisses ist das in dem Übernahmerecht liegende Gestaltungsrecht und nicht erst der durch dessen Ausübung entstehende Übertragungsanspruch. Die Erbschaftsteuer entsteht allerdings insoweit erst mit der Ausübung des Gestaltungsrechts.
- Das Gestaltungsrecht ist nicht mit dem Steuerwert des Grundstücks zu bewerten, sondern mit dem gemeinen Wert, der nach dem Verkehrswert des Grundstücks zu schätzen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Erben das Grundstück bereits zu einem Anteil in Höhe seiner Erbquote "gehört" und ihm zu diesem Anteil auch der Übernahmepreis gebührt.
Normenkette
ErbStG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Abs. 1; BGB § 2150
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (EFG 2000, 1015) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine drei Geschwister, die Beigeladenen, sind zu gleichen Teilen Erben nach ihrem am 26. Februar 1995 verstorbenen Vater (E). Zum Nachlass des E gehörte u.a. ein gemischt genutztes Grundstück mit einem erhöhten Einheitswert von 163 940 DM, das dem Kläger bereits zu Lebzeiten des E als Betriebsgrundstück für seinen Handwerksbetrieb gedient hatte.
E und seine vorverstorbene Ehefrau hatten dem Kläger in einem notariellen Testament vom 21. Dezember 1990 "im Wege des Vermächtnisses und Vorausvermächtnisses" das Recht eingeräumt, das Grundstück zu 80 v.H. des Verkehrswertes zu übernehmen. Von dem Übernahmepreis sollten ―ebenfalls als Vorausvermächtnisse― der Kläger ein Viertel und der Beigeladene zu 2. vorab einen Betrag von 45 000 DM erhalten. Der verbleibende Betrag stand den Beigeladenen zu je einem Drittel zu.
Nach Ausübung des Übernahmerechts erklärte die Erbengemeinschaft in notarieller Urkunde vom 10. Oktober 1995 die Auflassung des Grundstücks an den Kläger. Ausgehend von einem vom Gutachterausschuss ermittelten Verkehrswert des Grundstücks am Todestag des E von 1 260 000 DM legten sie als Übernahmepreis einen Betrag von 1 008 000 DM zugrunde.
Der Kläger setzte das Grundstück in der für die Erben nach E abgegebenen Erbschaftsteuererklärung als Nachlassgegenstand mit dem erhöhten Einheitswert an. Eine Nachlassverbindlichkeit im Hinblick auf das zu seinen Gunsten ausgesetzte Übernahmerecht zog er nicht ab. Auch einen Erwerb aufgrund der diesbezüglichen Anordnung erklärte er nicht.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) beurteilte die Anordnung zu Gunsten des Klägers entsprechend der Formulierung im Testament als Vorausvermächtnis, als dessen Gegenstand er das mit dem gemeinen Wert zu bewertende Übernahmerecht ansah. Den gemeinen Wert ermittelte er durch Abzug des Übernahmepreises vom Verkehrswert des Grundstücks, d.h. mit einem Betrag von 252 000 DM. In gleicher Höhe zog er bei der Nachlasswertermittlung eine Verbindlichkeit ab. Den sich danach ergebenden (negativen) Nachlasswert rechnete er allen Erben entsprechend ihren Erbquoten zu gleichen Teilen zu. Die Erbschaftsteuer gegen den Kläger wurde im Erbschaftsteuerbescheid vom 21. Januar 1997 auf 10 785 DM festgesetzt.
Der Einspruch des Klägers, mit dem er u.a. geltend machte, dass es sich bei der hinsichtlich des Grundstücks getroffenen Anordnung nicht um ein Vermächtnis, sondern um eine Teilungsanordnung handele, führte aus anderen Gründen zum Erlass eines geänderten Erbschaftsteuerbescheides vom 8. August 1997, durch den das FA die Steuer auf 9 234 DM herabsetzte. Hinsichtlich des Gegenstandes des Vermächtnisses hielt es an seiner Rechtsauffassung fest.
Die daraufhin erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob die Erbschaftsteuerbescheide und die Einspruchsentscheidung mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 1015 veröffentlichten Urteil auf. Es ging wie das FA davon aus, dass es sich bei der zu Gunsten des Klägers getroffenen Anordnung um ein Vorausvermächtnis und nicht um eine Teilungsanordnung handele. Gegenstand des Vermächtnisses sei allerdings nicht ―wie vom FA angenommen― das Übernahmerecht als Gestaltungsrecht, sondern der durch dessen Ausübung rückwirkend auf den Zeitpunkt des Erbfalls entstandene Anspruch auf Übertragung des Grundstücks. Das Übernahmerecht stelle nicht mehr als eine unbestimmte Anwartschaft dar. Tatsächlich erworben habe der Kläger letztlich ausschließlich einen schuldrechtlichen Anspruch auf das Grundstück. Dieser Anspruch sei mit dem erhöhten Einheitswert des Grundstücks zu bewerten. Eine Bewertung mit dem gemeinen Wert komme nicht deshalb in Betracht, weil der Kläger sich durch die Ausübung des Übernahmerechts zugleich zur Zahlung des Übernahmepreises verpflichtet habe. Grundlage für den Anspruch auf Übernahme des Grundstücks sei das Testament des E, während die Verpflichtung zur Zahlung des Übernahmepreises auf der rechtsgeschäftlichen Erklärung des Klägers beruhe. Es fehle daher an einem Gegenseitigkeitsverhältnis von Anspruch und Verpflichtung, weshalb die Grundsätze zur Bewertung von in einem derartigen Verhältnis stehenden Sachleistungsansprüchen und -verpflichtungen nicht anwendbar seien. Der Übernahmepreis sei allerdings bei der Ermittlung des Wertes des Vermächtniserwerbs gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) abzuziehen.
Mit der Revision rügt das FA eine Verletzung von § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 9 des Bewertungsgesetzes (BewG). Gegenstand des Vermächtnisses zu Gunsten des Klägers sei das Recht, das Grundstück zu erwerben. Dieses Recht sei mit dem gemeinen Wert zu bewerten. Ein auf den Erwerb eines Grundstücks gerichtetes sog. Kaufrechtsvermächtnis unterscheide sich von einem mit dem erhöhten Einheitswert zu bewertenden reinen Grundstücksvermächtnis dadurch, dass bei diesem der Anspruch auf Übertragung des Grundstücks unmittelbar mit dem Erbfall entstehe, bei jenem dagegen erst mit Ausübung des Übernahmerechts. Da der Zeitpunkt des Erbfalls den Wertermittlungsstichtag bestimme (§§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 11 ErbStG), müsse sich die Bewertung danach richten, was zu diesem Zeitpunkt erworben werde.
Das FA beantragt, das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 19. November 1999 9 K 249/97 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Der Auffassung des FG, Gegenstand des Vermächtnisses zu Gunsten des Klägers sei der durch die Ausübung des Übernahmerechts entstandene Anspruch auf Übereignung des Grundstücks, kann nicht gefolgt werden.
a) Als Erwerb von Todes wegen gilt nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG u.a. der Erwerb durch Vermächtnis (§§ 2147 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs ―BGB―). Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der von E und seiner Ehefrau im Testament vom 21. Dezember 1990 zu Gunsten des Klägers getroffenen Anordnung bezüglich des Grundstücks um ein Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB) und nicht um eine Teilungsanordnung (§ 2048 BGB) handelt. Ein Vorausvermächtnis liegt vor, wenn der Erblasser dem durch die Anordnung begünstigten Miterben zusätzlich zum Erbteil einen Vermögensvorteil i.S. von § 1939 BGB zuwenden wollte (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 8. November 1961 V ZR 31/60, BGHZ 36, 115, sowie Palandt/Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 60. Aufl., § 2048 Rn. 5). Davon ist im Streitfall schon deshalb auszugehen, weil der Kläger berechtigt war, das Grundstück zu einem unter dem Verkehrswert liegenden Preis zu erwerben. Damit wurde ihm ein über seine Erbenstellung hinausgehender Vermögensvorteil zugewendet. Der für ein Vermächtnis erforderliche Vermögensvorteil kann im Übrigen schon in der Wahlmöglichkeit bestehen, den Übernahmegegenstand zu erwerben oder davon Abstand zu nehmen (Staudinger/Otte, Bürgerliches Gesetzbuch, 13. Bearb., § 2150 Rn. 11). Dies liegt insbesondere dann nahe, wenn es sich ―wie im Streitfall― bei dem Übernahmegegenstand um ein Grundstück handelt, das den bedeutendsten Sachwert im Vermögen des Erblassers darstellt und zugleich die räumliche und gegenständliche Grundlage für einen Geschäftsbetrieb (hier: das Handwerksunternehmen des Klägers) bildet (vgl. BGH-Urteil in BGHZ 36, 115, 119 f.).
b) Der Bewertung eines Vermächtnisses gemäß § 12 ErbStG hat die Bestimmung dessen vorauszugehen, was der Bedachte "durch Vermächtnis" (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) mit dem Tod des Erblassers erworben hat. Dies ist Gegenstand des Vermächtnisses und nicht dasjenige, was er "aufgrund" des Vermächtnisses, d.h. zu dessen Erfüllung, letztlich erhält (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 10. November 1982 II R 85-86/78, BFHE 137, 500, BStBl II 1983, 329, und vom 25. Oktober 1995 II R 5/92, BFHE 179, 148, BStBl II 1996, 97).
Bei dem Kaufrechtsvermächtnis erwirbt der Bedachte mit dem Tod des Erblassers ein Übernahmerecht. Dabei handelt es sich um ein Gestaltungsrecht, das es dem Bedachten ermöglicht, einen (schuldrechtlichen) Anspruch auf Übertragung des Gegenstandes, wie er sich im Nachlass befindet, gegen Zahlung des vom Erblasser festgelegten Preises zu begründen (vgl. BGH-Urteil vom 28. Januar 1994 V ZR 90/92, BGHZ 125, 41, 55, zum Recht auf Übernahme eines Anerbengutes nach dem Württembergischen Anerbengesetz vom 14. Februar 1930; vgl. auch BFH-Urteile vom 16. März 1977 II R 11/69, BFHE 121, 519, BStBl II 1977, 640; vom 21. Juli 1993 II R 118/90, BFHE 172, 118, BStBl II 1993, 765, und vom 4. Mai 2000 IV R 10/99, BFHE 191, 529). Das Übernahmerecht als solches und nicht der erst durch dessen Ausübung entstehende Übertragungsanspruch ist Gegenstand des Vermächtnisses (vgl. BGH-Urteil vom 30. September 1959 V ZR 66/58, BGHZ 31, 13, 20; BFH-Beschluss vom 13. April 1994 II B 173/93, BFH/NV 1994, 794). Liegt der Preis ―wie im Streitfall― unter dem Verkehrswert der Kaufsache, so ist der Bedachte bereits durch den Erwerb des Übernahmerechts i.S. von § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG bereichert, weil ihm dadurch eine Rechtsposition zufällt, die einen wirtschaftlichen Vorteil verkörpert. Zivilrechtlich wird sogar ein Vermögensvorteil angenommen, wenn der Preis dem Verkehrswert entspricht (vgl. BGH-Urteil in BGHZ 36, 115). Die Steuer kann allerdings abweichend von § 9 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 ErbStG ―entsprechend der Regelung für den Pflichtteilsanspruch (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG)― erst mit der Geltendmachung des Rechts entstehen, weil der mit dem Erwerb des Rechts verbundene Vorteil sich erst dadurch realisiert. "Durch Vermächtnis" erworben ist gleichwohl allein das Gestaltungsrecht und nicht der erst als Folge seiner Geltendmachung entstehende Anspruch auf Übertragung des Nachlassgegenstandes.
2. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen.
Für die Bewertung folgt aus den Ausführungen zu 1., dass das Übernahmerecht nicht mit dem für den Gegenstand maßgebenden Steuerwert (Einheitswert) angesetzt werden kann, sondern nach § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 9 Abs. 1 BewG mit dem gemeinen Wert zu bewerten ist; dieser ist nach dem Verkehrswert des Gegenstandes zu schätzen, auf den sich das Übernahmerecht bezieht. Für den Ansatz des Übernahmerechts mit dem gemeinen Wert spricht zudem, dass der Anspruch auf Übertragung des Nachlassgegenstandes und die Verpflichtung zur Zahlung des Übernahmepreises ebenso miteinander verknüpft sind wie ein Sachleistungsanspruch und eine Zahlungsverpflichtung aus einem Gegenseitigkeitsverhältnis (vgl. Schlichting, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl., § 2174 Rdnr. 5), die ebenfalls mit dem gemeinen Wert zu bewerten sind (vgl. BFH-Urteile vom 6. Dezember 1989 II R 103/86, BFHE 159, 542, BStBl II 1990, 434, und vom 15. Oktober 1997 II R 68/95, BFHE 183, 248, BStBl II 1997, 820).
Soweit dem BFH-Urteil vom 12. Juli 1961 II 164/59 S (BFHE 73, 343, BStBl III 1961, 391) eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, hält der Senat daran nicht mehr fest.
Die durch den Bescheid vom 8. August 1997 geänderte Steuerfestsetzung lässt danach im Ergebnis keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers erkennen.
Das FA hat zwar den Wert des Vermächtniserwerbs des Klägers unzutreffend berechnet, indem es vom Verkehrswert des Grundstücks lediglich den Unterschiedsbetrag zwischen diesem Wert und dem Übernahmepreis abgezogen hat. Es hätte vielmehr berücksichtigen müssen, dass der Kläger das Grundstück aufgrund seiner durch den Erbfall eingetretenen dinglichen Mitberechtigung bereits zu einem Viertel erworben hatte und ihm ferner der Übernahmepreis zu einem Viertel "gebührte". Dies bedeutet, dass er nur einen Übernahmepreis von (1 008 000 DM ./. 252 000 DM =) 756 000 DM für den Erwerb der den Beigeladenen zustehenden dinglichen Mitberechtigung an dem Grundstück im Umfang von (75 v.H. von 1 260 000 DM =) 945 000 DM aufzuwenden hatte. Der Wert seines Vermächtniserwerbs belief sich daher nicht auf 252 000 DM, sondern lediglich auf einen Betrag von 189 000 DM.
Dieser Fehler wird indes dadurch ausgeglichen, dass das FA bei der Ermittlung des Nachlasswertes davon ausgegangen ist, die Vermächtnisverbindlichkeit sei mit Wirkung gegenüber allen Erben, d.h. auch gegenüber dem Kläger, zu berücksichtigen. Richtigerweise durfte sie nur bei den Beigeladenen und nicht auch beim Kläger berücksichtigt werden, weil der Kläger den ihm zustehenden Anteil am Grundstück bereits durch den Erbfall erlangt hatte, so dass er durch das Vermächtnis letztlich nicht beschwert war. Der Wert des Reinnachlasses, an dem alle Erben zu gleichen Teilen beteiligt waren, belief sich daher nicht ―wie vom FA zuletzt errechnet― auf ./. 116 383 DM, sondern auf (./. 116 383 DM + 252 000 DM =) 135 617 DM, der Anteil des Klägers mithin auf (135 617 DM x 1/4 =) 33 904 DM. Dieser Betrag, der Vermächtniserwerb in Höhe von 189 000 DM und die Vorerwerbe (35 000 DM) ergeben zusammen aber ebenfalls einen Gesamterwerb von 257 904 DM, wie er auch dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Für eine Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen i.S. von § 139 Abs. 4 FGO besteht kein Anlass. Die Beigeladenen waren weder im Verfahren vor dem FG noch im Revisionsverfahren vertreten und es ist auch nicht erkennbar, dass ihnen besondere außergerichtliche Kosten entstanden sind (vgl. BFH-Urteil vom 29. Oktober 1985 IX R 23/85, BFH/NV 1986, 406).
Fundstellen
Haufe-Index 726103 |
BFH/NV 2002, 788 |
HFR 2002, 620 |