Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung Handelsrecht Gesellschaftsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Die Frage, ob in dem Gewinn einer Personengesellschaft eine Entschädigung im Sinne von § 24 Ziff. 1 EStG enthalten ist, muß ebenso wie die Frage des Veräußerungsgewinns grundsätzlich im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung nach § 215 AO entschieden werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 294/56 U vom 10. September 1957, BStBl 1957 III S. 414, Slg. Bd. 65 S. 468).

Sind dahingehende Feststellungen im Gewinnfeststellungsverfahren unterblieben, so sind die Voraussetzungen für den Erlaß eines Ergänzungsbescheids im Sinne des § 216 Abs. 2 AO gegeben.

 

Normenkette

EStG § 16 Abs. 3, § 24 Ziff. 1, § 34/2/1, § 34/2/2; AO § 215 Abs. 2, §§ 216, 218 Abs. 2, § 232/2; HGB § 89b

 

Tatbestand

Der Bf. war bis zum 30. September 1954 gemeinschaftlich mit seinem Sohn W. - es handelte sich um eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts - als Handelsvertreter tätig. Streitig ist, ob der Bf. für den seiner Beteiligung entsprechenden Anteil an einer Ausgleichszahlung, die die Gesellschaft 1954 gemäß § 89 b HGB erhielt, Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 1 und 2 EStG beanspruchen kann. In der Verlust- und Gewinnrechnung der Gesellschaft ist der Ausgleichsbetrag gesondert als "Abfindung" ausgewiesen. In dem nach § 215 Abs. 2 AO durchgeführten Verfahren über die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung behandelte das Finanzamt den Ausgleichsbetrag als laufenden Gewinn der Gesellschaft, ohne in diesem Verfahren darüber zu entscheiden, ob dieser Betrag als "Veräußerungsgewinn" im Sinne des § 16 Abs. 3 EStG (Aufgabe des Gewerbebetriebs) oder als - nicht zum laufenden Gewinn gehörige - Entschädigung im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG anzusehen sei (vgl. dazu Littmann, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 6. Aufl., Anm. 5 zu § 25 EStG). Der Gewinnfeststellungsbescheid wurde unanfechtbar.

Im Veranlagungsverfahren billigte das Finanzamt dem Bf. die beantragte Steuerermäßigung für einen Teil der Ausgleichszahlung zu. Im Einspruchsverfahren wurde seinem Antrag in vollem Umfange stattgegeben. Auf die Berufung des Vorstehers des Finanzamts versagte das Finanzgericht die beantragte Ermäßigung und setzte die Einkommensteuer nach dem normalen Tarif mit der Begründung fest, daß die Ausgleichszahlung weder Veräußerungsgewinn im Sinne des § 16 EStG noch eine - nicht zum laufenden Gewinn der Gesellschaft gehörige - Entschädigung im Sinne des § 24 EStG sei.

 

Entscheidungsgründe

Der Vorentscheidung ist im Ergebnis beizutreten und die Rechtsbeschwerde (Rb.) als unbegründet zurückzuweisen.

In seiner Entscheidung I 294/56 U vom 10. September 1957 (BStBl 1957 III S. 414, Slg. Bd. 65 S. 468) hat der I. Senat des Bundesfinanzhofs ausgeführt:

"Die Frage, ob der Gewinn ein laufender oder ein Veräußerungsgewinn ist, muß in dem Verfahren der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung (ß 215 AO) entschieden werden; die Entscheidung ist nicht erst im Steuerveranlagungsverfahren der Gesellschafter zu treffen. In dem Veranlagungsverfahren der Gesellschafter wird zwar über die Anwendung der Vergünstigungsvorschriften entschieden. über die Vorfrage aber, ob der Gewinn ein laufender oder ein Veräußerungsgewinn ist, muß mit bindender Wirkung (ß 218 Abs. 2 AO) im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung (ß 215 AO) entschieden werden, um widersprechende Entscheidungen für mehrere Beteiligte auszuschließen und weil die erforderlichen Unterlagen gewöhnlich nur dem Betriebsfinanzamt zur Verfügung stehen. Die Vorschrift des § 215 AO dient der Zweckmäßigkeit. Darum muß auch der Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit bei ihrer Auslegung eine besondere Rolle spielen (Urteil des Reichsfinanzhofs VI 230/38 vom 25. Mai 1938, RStBl 1938 S. 718)."

Aus den gleichen Erwägungen ist auch die für die Anwendung des § 34 Abs. 2 Ziff. 2 EStG bedeutsame Vorfrage, ob die Ausgleichszahlung als eine - dem laufenden Gewinn der Gesellschaft nicht zuzurechnende - Entschädigung im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG anzusehen ist, im Gewinnfeststellungsverfahren und nicht im Veranlagungsverfahren des einzelnen Gesellschafters zu entscheiden. Im Veranlagungsverfahren ist lediglich zu entscheiden, ob eine im Feststellungsverfahren dem laufenden Gewinn der Gesellschaft nicht zugerechnete Entschädigung nach § 24 Ziff. 1 EStG als "außerordentlich" im Sinne des § 34 EStG anzusehen und daher nach dieser Vorschrift tariflich zu begünstigen ist (vgl. Littmann, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 6. Aufl., Anm. 5 zu § 34 EStG).

Die Beachtung der Verfahrensvorschriften in der dargelegten Weise entspricht im übrigen auch deshalb allein dem Sinn der steuerlichen Grundordnung, weil nur auf diese Weise sichergestellt ist, daß die nach dem Gesetz zuständigen Instanzen in dem dafür vorgesehenen Verfahren entscheiden, was insbesondere dann von Bedeutung ist, wenn nach der Geschäftsverteilung der Steuergerichte die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Gewinnfeststellung und die Einzelveranlagung innerhalb des Gerichts aufgeteilt ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 39/58 U vom 26. Juni 1958, BStBl 1958 III S. 364, Slg. Bd. 67 S. 237).

Da die Steuerfestsetzung des Finanzgerichts im Hinblick auf § 218 Abs. 2 AO (Bindung an den Gewinnfeststellungsbescheid) den gesetzlichen Vorschriften entspricht und der Bf. mit seinen gegen die Gewinnfeststellung gerichteten Einwendungen im vorliegenden Verfahren nicht gehört werden kann, muß seine Rb. - die Eheleute haben Zusammenveranlagung beantragt - als unbegründet zurückgewiesen werden (ß 232 Abs. 2 AO).

Verfahrensrechtlich besteht jedoch auch weiterhin die Möglichkeit, daß das Betriebsfinanzamt auf Antrag des Bf. über die noch offenen Fragen zur Gewinnfeststellung gemäß § 216 Abs. 2 AO durch Ergänzungsbescheid entscheidet (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 333/55 U vom 30. Oktober 1958, BStBl 1959 III S. 249, Slg. Bd. 68 S. 653). Zur Frage der steuerlichen Beurteilung des Ausgleichsanspruchs gemäß § 89 b HGB steht eine Entscheidung des erkennenden Senats bevor, die veröffentlicht werden wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409512

BStBl III 1960, 23

BFHE 1960, 57

BFHE 70, 57

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