Entscheidungsstichwort (Thema)
Überprüfung von Wiedereinsetzungsgewährung durch FA im finanzgerichtlichen Verfahren; zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Erkrankung des Bürovorstehers
Leitsatz (NV)
1. Die Finanzgerichte dürfen die Rechtmäßigkeit einer vom FA gewährten Wiedereinsetzung uneingeschränkt überprüfen (vgl. BFH-Urteil vom 26. Oktober 1989 IV R 82/88, BFHE 159, 103, BStBl II 1990, 277).
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren, wenn ein RA mit der Bearbeitung einer eigenen fristgebundenen Steuerangelegenheit seinen Bürovorsteher beauftragt und er sich nach dessen Erkrankung nicht um die Fristwahrung kümmert.
Normenkette
AO 1977 § 110
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger ist als Rechtsanwalt an einer Sozietät beteiligt. Zur Erledigung ihrer steuerlichen Angelegenheiten bedienten sich die Kläger seit Jahren des Bürovorstehers der Anwaltskanzlei. Zwischen den Klägern und dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) war die steuerliche Anerkennung eines Mietvertrags mit ihrer Tochter und, damit zusammenhängend die Ermittlung des Nutzungswerts für die Wohnung im eigenen Haus sowie die Bemessungsgrundlage für erhöhte Absetzungen nach § 7b des Einkommensteuergesetzes (EStG) umstritten. Das FA erkannte das Mietverhältnis nicht an. Unter dem 2. Dezember 1987 ergingen dementsprechende Einkommensteuerbescheide 1984 bis 1986 sowie ein Bescheid, durch den der Vorbehalt der Nachprüfung im Einkommensteuerbescheid 1983 aufgehoben wurde. Der Kläger übergab die Bescheide dem Bürovorsteher zur weiteren Bearbeitung. Wenig später erkrankte dieser und war längere Zeit arbeitsunfähig. Mitte Januar fand der Kläger die Steuerbescheide im Schreibtisch des Bürovorstehers. Am 15. Januar 1988 legten die Kläger Einspruch ein und beantragten gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zuvor hatte das FA unter dem 6. Januar 1988 einen nach § 175 Abs. 1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid 1986 erlassen, durch den es die Einkommensteuer herabsetzte. Mit gesondertem Schreiben vom 25. Februar 1988 gewährte das FA Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Später wies es den Einspruch als unbegründet zurück. Das Finanzgericht (FG) verneinte die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung und wies die Klage ab.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des § 110 AO 1977, der §§ 21, 7b EStG, des Art.103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. § 93 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie des Art.6 GG.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
1. Die von den Klägern gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art.103 Abs. 1 GG, § 93 Abs. 1 i.V.m. § 119 Nr.3 FGO) liegt nicht vor. Das FG hat keine Überraschungsentscheidung getroffen. Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem FG ist zu ersehen, daß die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Gegenstand der Erörterungen war. Die Kläger hatten daher Gelegenheit zur Darlegung ihres Standpunkts und haben sie auch wahrgenommen.
2. Das FG hat zu Recht die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verneint.
Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).
a) Die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ist ein unselbständiger Bestandteil der Entscheidung zur Hauptsache. Dies gilt auch dann, wenn - wie im Streitfall - Wiedereinsetzung nicht im Rahmen der Hauptsacheentscheidung gewährt wird, sondern durch ein eigenes Schreiben. Das FG durfte die Entscheidung des FA uneingeschränkt überprüfen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Oktober 1989 IV R 82/88, BFHE 159, 103, BStBl II 1990, 277) und die Klage wegen Versäumung der Einspruchsfrist abweisen, obwohl das FA Wiedereinsetzung gewährt hatte (BFH-Urteil vom 2. Oktober 1986 IV R 39/83, BFHE 147, 407, BStBl II 1987, 7).
b) Die Kläger haben die Einspruchsfrist schuldhaft versäumt.
aa) Ein Verschulden des Klägers ist entgegen der Rechtsansicht des FG nicht bereits darin zu sehen, daß er in seiner eigenen Steuerangelegenheit nicht persönlich die Einhaltung der Einspruchsfrist überwachte. Übergibt ein Rechtsanwalt oder Steuerberater seinem Büro eine eigene Sache zur Bearbeitung, so gelten hinsichtlich der Fristüberwachung keine anderen Grundsätze als bei Angelegenheiten von Mandanten (BFH-Urteil vom 10. Januar 1958 III 342/57 U, BFHE 66, 310, BStBl III 1958, 119).
Ein Verschulden des Klägers liegt deshalb vor, weil er sich nicht sofort, nachdem er von der Erkrankung des Bürovorstehers erfahren hatte, mit seiner Steuerangelegenheit befaßte. Der Kläger, der die Steuerbescheide selbst erhalten hatte, wußte, daß das FA das Mietverhältnis mit der Tochter nicht anerkannt hatte. Auch war ihm bekannt, daß ihm der Bürovorsteher bis zu dessen Erkrankung noch kein Einspruchsschreiben zur Unterschrift vorgelegt hatte. Der Kläger hätte deshalb seine Steuerangelegenheit selbst in die Hand nehmen müssen. Er hätte sofort Nachforschungen über den Verbleib der Steuerbescheide und den Ablauf der Einspruchsfrist anstellen müssen. Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb dies nicht schon vor dem Auffinden der Steuerbescheide Mitte Januar 1988 möglich war.
bb) Auch für die Klägerin kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht. Sollte sie dem Kläger Vollmacht zur Einlegung von Rechtsbehelfen erteilt haben, so wäre ihr das Verschulden des Klägers als Vertreterverschulden gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 zuzurechnen. Sollte keine Vollmacht vorgelegen haben, so handelte sie selbst schuldhaft, weil sie dann persönlich für die Einhaltung der Einspruchsfrist Sorge tragen mußte.
3. Der Einspruch vom 15. Januar 1988 gegen den nach § 175 Abs. 1 Nr.1 AO 1977 geänderten Einkommensteuerbescheid 1986 vom 6. Januar 1988 führt zu keiner Prüfung der Rechtmäßigkeit dieses Bescheids. Denn nach § 351 Abs. 1 AO 1977 können Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, nur insoweit angefochten werden, als die Änderung reicht, es sei denn, daß sich aus den Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten etwas anderes ergibt. Durch den Änderungsbescheid vom 6. Januar 1988 wurde die Einkommensteuer gegenüber dem Bescheid vom 2. Dezember 1987 gemindert. Eine weitere Herabsetzung der Steuer können die Kläger nicht erreichen.
Fundstellen
Haufe-Index 419060 |
BFH/NV 1993, 578 |