Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzugsfähigkeit der Rückstellungen für Schlussgewinnanteile bei einem Lebensversicherer vor 1993
Leitsatz (NV)
Mit Ablauf des Kalenderjahres, das dem vereinbarten Ablauf kapitalbildender Lebensversicherungsverträge vorausgeht, wirkt die Rückstellung der Schlussgewinnanteile für diese Verträge zumindest wie eine Schuld i.S. des § 103 Abs. 2 BewG in der Fassung vor 1993. Sie ist daher zum 1. Januar des Jahres des Vertragsendes vom Rohbetriebsvermögen abziehbar.
Normenkette
BewG § 103 Abs. 2; BewDV § 53 Abs. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft das Lebensversicherungsgeschäft. Zum 31. Dezember 1988 bilanzierte sie eine Rückstellung für Beitragsrückerstattung in Höhe von X DM, die sie bis auf einen Teilbetrag von … DM gemäß § 53 Abs. 4 der am streitigen Stichtag noch geltenden Durchführungsverordnung zum Bewertungsgesetz (BewDV) lediglich zu 90 v.H. als Schuldposten in die Vermögensaufstellung auf den 1. Januar 1989 übernahm. Den Teilbetrag zog sie vollen Umfangs als Schuldposten ab. Dem folgte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) bis auf einen Betrag von Y DM. Insoweit entfiel der genannte Teilbetrag auf die Rückstellung von Schlussgewinnanteilen bezüglich solcher Versicherungen, deren vereinbarte Laufzeit 1989 ablief.
Nach den allgemeinen Bedingungen der Klägerin für die kapitalbildende Lebensversicherung sind die Versicherungsnehmer gemäß einem aufsichtsrechtlich genehmigten Geschäftsplan am erwirtschafteten Überschuss zu beteiligen. Das geschieht in Form laufender Gewinnanteile und durch einen Schlussgewinnanteil. Nach dem Geschäftsplan wird der Schlussgewinnanteil ―soweit hier maßgeblich― in fest vereinbarter Höhe gezahlt bei Ablauf der Versicherung oder bei Tod, Vollendung des 85. Lebensjahres oder Rückkauf, sofern eines dieser Ereignisse im letzten Jahr vor Ablauf eintritt.
Nach Ansicht der Klägerin liegen hinsichtlich dieser Schlussgewinnanteile nach § 103 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes in der zum streitigen Stichtag geltenden Fassung (BewG) voll abziehbare Betriebsschulden vor. Das FA nimmt demgegenüber aufschiebend bedingte Lasten an und ließ durch Bescheid vom … Juni 1994, mit dem es den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1989 auf … DM feststellte, auch die Rückstellung dieser Schlussgewinnanteile von Y DM gemäß § 53 Abs. 4 BewDV nur in Höhe von 90 v.H. zum Abzug zu.
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Es führte mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 608 veröffentlichten Urteil aus, bei der Rückstellung dieser Schlussgewinnanteile handele es sich um echte Schuldposten. Bereits zum Bilanzstichtag stehe nämlich fest, welche individuellen Versicherungsverhältnisse im nächsten Jahr spätestens zum vereinbarten Zeitpunkt auslaufen. An der Höhe des dabei auszuzahlenden Schlussgewinnanteils ändere sich auch dann nichts mehr, wenn der Versicherte noch vor diesem Zeitpunkt verstirbt oder das 85. Lebensjahr vollendet. Der Annahme echter Schuldposten stehe § 8 i.V.m. den §§ 4 bis 7 BewG nicht entgegen, weil die Ansprüche auf diese Schlussgewinnanteile nicht befristet, sondern lediglich betagt seien.
Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung der §§ 103 BewG und 53 BewDV. Gemäß Abs. 1 dieser Vorschriften seien abziehbare Schuldposten nur solche Verbindlichkeiten, deren sämtliche Voraussetzungen bereits am Bewertungsstichtag vorliegen. Zu diesen Voraussetzungen gehörten aber auch der Ablauf der Versicherung bzw. der Rückkauf oder der Tod des Versicherten im letzten Jahr vor Ablauf. Dabei handele es sich nicht um bloße Fälligkeitsregelungen. Da nicht gewiss sei, welche der genannten Anspruchsvoraussetzungen eintreten werden, stellten diese Voraussetzungen vielmehr aufschiebende Bedingungen i.S. des § 6 Abs. 1 BewG dar. Diese Eigenschaft verlören sie nicht durch die Gewissheit, dass eine von ihnen eintreten werde, zumal der Zeitpunkt, wann dies geschehen werde, ungewiss bleibe. Die Berechtigten könnten ihre Ansprüche am Bewertungsstichtag noch nicht durchsetzen; auch seien sie nicht verpflichtet, die Ansprüche bereits zu diesem Stichtag der Vermögensteuer zu unterwerfen.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Es kann auf sich beruhen, ob am Bewertungsstichtag bereits nach § 103 Abs. 1 BewG abziehbare Verpflichtungen zur Auszahlung der streitbefangenen Schlussgewinnanteile bestanden. Zumindest wirken die zurückgestellten Schlussgewinnanteile mit Ablauf des Kalenderjahres (§ 106 Abs. 2 BewG), das dem vereinbarten Ablauf des jeweiligen Lebensversicherungsvertrages vorausgeht, wie Schulden und sind daher zumindest gemäß § 103 Abs. 2 BewG zum 1. Januar des Jahres des Vertragsendes vom Rohbetriebsvermögen der Klägerin abzuziehen.
1. Gemäß § 103 Abs. 1 BewG werden bei der Feststellung der Einheitswerte des Betriebsvermögens Schulden, die mit der Gesamtheit oder einzelnen Teilen des gewerblichen Betriebes in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, als Betriebsschulden abgezogen. Gemäß Abs. 2 der Vorschrift sind bei Versicherungsunternehmen auch versicherungstechnische Rücklagen abziehbar, soweit sie für Leistungen aus den laufenden Versicherungsverträgen erforderlich sind. Der in § 103 Abs. 2 BewG ebenso wie in § 53 Abs. 1 BewDV verwendete Begriff der versicherungstechnischen Rücklagen ist veraltet und mittlerweile ―so in § 20 Abs. 1 und § 21 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG)― durch den Ausdruck "versicherungstechnische Rückstellungen" ersetzt worden (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 28. November 1969 III 95/64, BFHE 98, 50, BStBl II 1970, 236, 238).
Ferner ist inzwischen gefestigte Rechtsprechung, dass die nach § 103 Abs. 2 BewG i.V.m. § 53 Abs. 1 BewDV erfassten Rückstellungen nicht in jeder Beziehung die Voraussetzungen einer Betriebsschuld erfüllen müssen. Genügten sie diesen Voraussetzungen, wären sie bereits nach § 103 Abs. 1 BewG abziehbar. Vielmehr müssen die nach § 103 Abs. 2 BewG abziehbaren Rückstellungen lediglich Posten betreffen, die unter Berücksichtigung der Eigenart des Versicherungsgeschäftes wie Schulden wirken (vgl. BFH-Urteile vom 30. November 1973 III R 63/71, BFHE 111, 162, BStBl II 1974, 159; vom 10. Mai 1972 III R 76/66, BFHE 106, 449, BStBl II 1972, 823, sowie vom 19. Januar 1972 I 114/65, BFHE 104, 422, BStBl II 1972, 392; anders noch BFH in BFHE 98, 50, BStBl II 1970, 236, 238, 239). Von den betrieblichen Schulden i.S. des § 103 Abs. 1 BewG noch weiter entfernt sind die in § 53 Abs. 4 BewDV angesprochenen Überschussrücklagen beim Lebensversicherungsgeschäft; ansonsten wäre es nämlich nicht zulässig, ihren Abzug entgegen § 103 Abs. 2 BewG auf 90 v.H. zu beschränken. Diese Feststellung entbindet aber nicht von der Notwendigkeit, die jeweilige Überschussrückstellung daraufhin zu überprüfen, ob sie nicht ganz oder teilweise die Voraussetzungen eines Abzugs zumindest nach § 103 Abs. 2 BewG erfüllt. Ist dem im Einzelfall so, kann § 53 Abs. 4 BewDV als nachrangiges Recht einen Abzug zu 100 v.H. nicht hindern.
2. Im Streitfall wirkt die Rückstellung wegen der streitigen Schlussgewinnanteile zum Stichtag 1. Januar 1989 zumindest wie eine Schuld i.S. des § 103 Abs. 2 BewG; sie ist daher zu 100 v.H. vom Rohvermögen der Klägerin abziehbar. Mit Ablauf des vorletzten Versicherungsjahres steht fest, dass der Schlussgewinnanteil bezüglich bestimmter Versicherungsverhältnisse in feststehender, nicht mehr veränderbarer Höhe ausbezahlt werden muss. Mit diesem Zeitpunkt ist gewiss, dass der Schlussgewinnanteil zu zahlen ist. Ungewiss ist nur noch, ob die Auszahlung erst zum vereinbarten und erlebten Ende des Versicherungsverhältnisses oder wegen Todes bzw. wegen der Vollendung des 85. Lebensjahres des Versicherten oder wegen Kündigung im letzten Versicherungsjahr schon im Verlauf dieses Jahres zu erfolgen hat. Für die Frage, ob die Rückstellung wie eine Schuld wirkt, ist aber die Gewissheit entscheidend, dass aufgrund bestimmter Versicherungsverhältnisse gezahlt werden muss, und nicht die Ungewissheit des Zeitpunkts der Auszahlung innerhalb der vom letzten Versicherungsjahr aus der Sicht des streitigen Stichtags jeweils noch zur Verfügung stehenden Zeitspanne. Anderenfalls käme dem § 103 Abs. 2 BewG gegenüber Abs. 1 der Vorschrift keine selbständige Bedeutung zu. Denn sobald auch die Ungewissheit über den Zeitpunkt, zu dem die Auszahlung zu erfolgen hat, beseitigt ist, ergibt sich die Abziehbarkeit der Schlussgewinnanteile auch dann bereits aus § 103 Abs. 1 BewG, wenn es sich dabei nicht um eine bloße Fälligkeitsregelung handeln sollte.
Fundstellen
Haufe-Index 952734 |
BFH/NV 2003, 1149 |