Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung, Auflösung des Arbeitsverhältnisses, Gesellschafter-Geschäftsführer
Leitsatz (NV)
1. Ein bestehendes Arbeitsverhältnis wird i.S. von § 3 Nr. 9 EStG aufgelöst, wenn ein (leitender) Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis beendet und den Geschäftsbetrieb des bisherigen Arbeitgebers im Rahmen einer neu gegründeten GmbH als deren Gesellschafter-Geschäftsführer (mit)fortführt (Anschluss an BFH-Urteil vom 9. Mai 2007 XI R 52/05, BFH/NV 2007, 1857).
2. Eine vom Arbeitgeber veranlasste Vertragsauflösung liegt vor, wenn der Arbeitgeber die entscheidende Ursache für die Auflösung gesetzt hat. Diese wird von demjenigen gesetzt, der die Auflösung “betrieben” hat, von dem also die (Initiative zur) Beendigung des Dienstverhältnisses ausgegangen ist (vgl. BFH-Urteile vom 10. November 2004 XI R 51/03, BFHE 208, 186, BStBl II 2005, 441, und XI R 63/03, BFHE 207, 336, BStBl II 2005, 181).
3. Ob die Vertragsauflösung vom Arbeitgeber veranlasst wurde, ist anhand der Umstände des Einzelfalls vom FG als Tatsacheninstanz zu entscheiden. Dabei kann im Regelfall davon ausgegangen werden, dass bei Zahlung einer Abfindung der Arbeitgeber die Auflösung auch veranlasst hat (vgl. BFH-Urteile vom 10. November 2004 XI R 14/04, BFH/NV 2005, 1247, und in BFHE 207, 336, BStBl II 2005, 181, m.w.N.).
Normenkette
EStG § 3 Nr. 9
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Nach dem zwischen der Einzelfirma X (Inhaber M) und dem Kläger geschlossenen Arbeitsvertrag vom Dezember 1992 galt der Manteltarifvertrag für Angestellte im privaten Transport- und Verkehrsgewerbe; das unbefristete Arbeitsverhältnis begann im Januar 1993 bei einem Gehalt von monatlich 3 500 DM brutto. Dem Kläger wurde eine der Einzelprokura bei Kapitalgesellschaften entsprechende Vollmacht erteilt, die X im Innen- und im Außenverhältnis zu vertreten. Im Falle längerer Krankheit oder bei Ableben des M sollte in Übereinstimmung mit dessen Ehefrau der Kläger entscheiden, das Geschäft weiterzuführen oder dessen Liquidation abzuwickeln.
Mit Vertrag vom 3. April 1995 gründeten der Kläger und M die X-GmbH. Vom Stammkapital der Gesellschaft in Höhe von 50 000 DM übernahmen der Kläger und M jeweils 25 000 DM; sie wurden zu jeweils alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführern bestellt.
Mit Kaufvertrag vom 10. April 1995 verkaufte die X die Büro- und Geschäftsausstattung, die Lagereinrichtung/Flurförderzeuge sowie den Fuhrpark an die X-GmbH zu einem Gesamtkaufpreis von 195 000 DM.
Mit Aufhebungsvertrag vom 20. April 1995 zwischen dem Kläger und der X wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers im gegenseitigen Einvernehmen unter Verzicht auf jegliche gegenseitigen Ansprüche zum 30. April 1995 gegen eine einmalige Abfindung in Höhe von 24 000 DM aufgelöst. Diese erhielt der Kläger im Juni 1995 in bar ausgezahlt. Mit Anstellungsvertrag ebenso vom 20. April 1995 zwischen der X-GmbH und dem Kläger wurde dieser, beginnend ab Mai 1995 unbefristet als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer zu einem Monatsgehalt von 7 000 DM brutto nebst Gewinn-Tantieme eingestellt.
Im Anschluss an eine Außenprüfung bei der X erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1995 (Streitjahr) und beurteilte die gezahlte Abfindung in voller Höhe als steuerpflichtigen Arbeitslohn.
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt (Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1230).
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 3 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Das FG habe zu Unrecht die Zahlung der X an den bei ihr angestellten Kläger als steuerbegünstigte Abfindung nach § 3 Nr. 9 EStG beurteilt, ohne den sozialpolitischen Zweck der Vorschrift zu beachten. Denn der Kläger arbeite als Gesellschafter-Geschäftsführer zusammen mit M in der neu gegründeten X-GmbH in derselben Branche und bei weitgehend identischem Tätigkeitsbereich weiter. Bei wirtschaftlicher Betrachtung stehe die Zahlung angesichts der zeitlichen Abfolge der Verträge und der Statusverbesserung ausschließlich im Gesamtzusammenhang mit dem Aufstieg des Klägers als Gesellschafter-Geschäftsführer. Daher sei das neue Dienstverhältnis als Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses zu sehen. Zudem sei die erforderliche Auflösungs-Veranlassung durch den Arbeitgeber nicht nachgewiesen.
Das FA beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zutreffend hat das FG den an den Kläger gezahlten Betrag als Abfindung i.S. des § 3 Nr. 9 EStG beurteilt.
1. Gemäß § 3 Nr. 9 Satz 1 EStG (i.d.F. des Streitjahres) sind Abfindungen u.a. wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten Auflösung des Dienstverhältnisses, höchstens jedoch 24 000 DM, steuerfrei.
a) Die Auflösung des Dienstverhältnisses verlangt dessen endgültige Beendigung. Im Falle des Wechsels des Arbeitgebers wird allerdings eine rein formale Betrachtung der Zielsetzung des § 3 Nr. 9 EStG (sozialpolitisch begründeter Ausgleich der Folgen eines Arbeitsplatzverlustes) nicht gerecht. Entscheidend ist vielmehr, wie die Beteiligten nach den Umständen des Einzelfalles die Umsetzung des Arbeitnehmers ausgestaltet haben. Wird das bestehende Dienstverhältnis bei Umsetzung eines Arbeitnehmers innerhalb eines Konzerns oder anlässlich eines Betriebsübergangs zwar mit einem neuen Arbeitgeber, aber im Übrigen in Bezug auf den Arbeitsbereich, die Entlohnung und unter Wahrung des sozialen Besitzstandes im Wesentlichen unverändert fortgesetzt, so ist ein Arbeitsplatzverlust, der eine steuerfreie Abfindung rechtfertigen könnte, nicht gegeben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. Dezember 2005 XI R 8/05, BFH/NV 2006, 1071; BFH-Beschluss vom 8. Juli 2005 XI B 32/03, BFH/NV 2005, 1859, jeweils m.w.N.).
Dagegen wird ein bestehendes Arbeitsverhältnis i.S. von § 3 Nr. 9 EStG aufgelöst, wenn im Falle eines sog. Managementbuyout ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis beendet, die von ihm mit gegründete GmbH, an der er zu 50 v.H. beteiligt ist, den Geschäftsbetrieb des Arbeitgebers fortführt und er mit dieser GmbH einen Anstellungsvertrag als Geschäftsführer abschließt. Das Dienstverhältnis als Gesellschafter-Geschäftsführer stellt rechtlich und wirtschaftlich betrachtet keine Fortsetzung des früheren Dienstverhältnisses als Angestellter dar (BFH-Urteil vom 9. Mai 2007 XI R 52/05, BFH/NV 2007, 1857). Die durch eigenen Kapitaleinsatz begründete gesellschaftsrechtliche Beteiligung und die mit der Übernahme der Geschäftsführung als Organ einer GmbH verbundenen besonderen Rechte und Pflichten bringen ein über den Arbeitsplatzverlust hinausgehendes Risiko des aus seinem früheren Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmers mit sich. Damit hat er wirtschaftlich wie rechtlich eine wesentlich andere Stellung als ein nicht finanziell beteiligter (leitender) Angestellter (s. im Einzelnen BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 1857, m.w.N.; s.a. Urteil des Bundesarbeitsgerichts --BAG-- vom 14. Juni 2006 5 AZR 592/05, BAGE 118, 278, Neue Juristische Wochenschrift 2007, 396). Das gilt ebenso für Fälle, in denen ein (auch leitender) Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis beendet und den Geschäftsbetrieb des bisherigen Arbeitgebers im Rahmen einer neu gegründeten GmbH als deren Gesellschafter-Geschäftsfüher fortführt.
b) Die Auflösung des Dienstverhältnisses muss auch vom Arbeitgeber veranlasst sein. Eine solche vom Arbeitgeber veranlasste Vertragsauflösung liegt vor, wenn der Arbeitgeber die entscheidenden Ursachen für die Auflösung gesetzt hat. Dabei ist nicht die arbeitsrechtliche Beurteilung der Auflösung maßgeblich, sondern allein der Umstand, wer die Auflösung "betrieben" hat, von wem also die (Initiative zur) Beendigung des Dienstverhältnisses ausgegangen ist (vgl. dazu BFH-Urteile vom 11. Januar 1980 VI R 165/77, BFHE 129, 479, BStBl II 1980, 205; vom 10. November 2004 XI R 51/03, BFHE 208, 186, BStBl II 2005, 441, und XI R 64/03, BFHE 207, 336, BStBl II 2005, 181, m.w.N.). Ob das Arbeitsverhältnis letztlich einvernehmlich aufgelöst wird, ist danach unerheblich (BFH-Urteil in BFHE 208, 186, BStBl II 2005, 441).
Ob die Vertragsauflösung vom Arbeitgeber veranlasst wurde, ist anhand der Umstände des Einzelfalls vom FG als Tatsacheninstanz zu entscheiden. Dabei kann im Regelfall davon ausgegangen werden, dass bei Zahlung einer Abfindung der Arbeitgeber die Auflösung gewollt und damit auch veranlasst hat; denn anderenfalls wäre er kaum bereit gewesen, eine Abfindung zu zahlen (vgl. BFH-Urteile vom 10. November 2004 XI R 14/04, BFH/NV 2005, 1247, und in BFHE 207, 336, BStBl II 2005, 181, m.w.N.).
2. Diesen Grundsätzen entspricht die Vorentscheidung; sie ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Das FG ist im Streitfall zutreffend von einer wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers mit der X ausgegangen. Auch kann seine Tätigkeit als (Gesellschafter-)Geschäftsführer der X-GmbH nicht als Fortsetzung des ursprünglich zur X bestehenden Arbeitsverhältnisses und damit als insgesamt einheitlich zu betrachtenden Dienstverhältnisses angesehen werden, selbst wenn der Kläger aufgrund seines früheren Arbeitsvertrags eine leitende Funktion ausgeübt hatte. Zudem hat das FG auch unter Berücksichtigung der zeitlichen Abfolge der Verträge im Streitjahr eine Veranlassung der Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den (bisherigen) Arbeitgeber als gegeben erachtet. Diese Würdigung des FG ist nach Maßgabe seiner bindenden tatsächlichen Feststellungen (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) möglich und mangels Verstoßes gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Fundstellen
Haufe-Index 2005676 |
BFH/NV 2008, 1325 |
HFR 2008, 908 |