Entscheidungsstichwort (Thema)

Anteilige Tilgung der Umsatzsteuer bei Geschäftsführerhaftung

 

Leitsatz (NV)

Hat das FA bei der Inanspruchnahme des Geschäftsführers einer Gesellschaft als Haftenden unter Angabe überschaubaren Zahlenmaterials dargetan, daß die Zahlungen der Gesellschaft auf ihre Umsatzsteuerschulden erheblich unter der auf andere Zahlungsverpflichtungen erbrachten Tilgungsquote lagen, so kann der Haftungsbescheid gegen den Geschäftsführer vom FG nicht mit der Begründung aufgehoben werden, aus dem Zahlenmaterial sei die Nichteinhaltung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung der Umsatzsteuer nicht ersichtlich.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 69, 34; UStG 1980 § 18

 

Tatbestand

Das FA hat den Kläger als Geschäftsführer einer GmbH wegen rückständiger Umsatzsteuer 1979 mit 1981, Lohnsteuer März 1981, Lohnsteuer Dezember 1981, evangelischer Kirchensteuer 1981 und römisch-katholischer Kirchensteuer Dezember 1981 sowie Nebenabgaben mit insgesamt 878 761,86 DM in Haftung genommen (Haftungsbescheid vom 30. März 1982). Davon entfallen auf:

Umsatzsteuer und Nebenabgaben 857 690,25 DM

Lohnsteuer und Kirchensteuern (römisch-katholisch und evangelisch) 21 071,61 DM

zusammen 878 761,86 DM.

Auf die Klage, mit der die Aufhebung des Haftungsbescheides begehrt wurde, hat das FG den Haftungsbescheid in Höhe von 857 690,25 DM (Umsatzsteuer einschließlich Nebenabgaben sowie Nebenabgaben zur Lohn- und Lohnkirchensteuer) aufgehoben; im übrigen (also wegen Lohnsteuern und Kirchensteuern) hat es die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat das FG ausgeführt, der Haftungsbescheid sei insoweit zu Unrecht ergangen, als er die Umsatzsteuer und die Nebenabgaben betreffe. Denn eine schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers hinsichtlich der unterbliebenen Tilgung der Umsatzsteuerschulden und der Nebenabgaben sei dem Kläger nicht nachgewiesen. Die Umsatzsteuerschulden seien - entgegen der Auffassung des FA - anders als Lohnsteuerschulden nicht bevorzugt, also nicht vor anderen Verbindlichkeiten zu tilgen, sondern etwa in dem gleichen Umfang wie die letzteren. Gehe man hiervon aus, so käme eine schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers i.S. des § 69 AO 1977 nur in Betracht, wenn er als Geschäftsführer der GmbH den Steuergläubiger hinsichtlich der Umsatzsteuer schlechter behandelt hätte als die anderen Gläubiger. Dies sei jedoch nicht nachgewiesen; deshalb sei die Ermessensentscheidung des FA fehlerhaft. Die GmbH habe in den Jahren 1979 mit 1981 ca. 16 Mio DM vereinnahmt. Aus der Tatsache allein, daß sie diesen Betrag - nach Abzug von Löhnen und Gehältern mit ca. 5 Mio DM - in Höhe von 9 Mio DM zur Tilgung von geschäftlichen Verbindlichkeiten und nur in Höhe von 2 Mio DM zur Tilgung von Steuern und Nebenleistungen verwendet habe, lasse sich eine Bevorzugung der privaten Gläubiger nicht herleiten.

Dagegen bestehe der Haftungsbescheid hinsichtlich der Lohnsteuer und der Kirchensteuern zu Recht. Denn diese Steuerschulden hätten bevorzugt, also vor den geschäftlichen Verbindlichkeiten getilgt werden müssen.

Mit der Revision begehrt das FA sinngemäß, das finanzgerichtliche Urteil, soweit der Klage stattgegeben wurde, aufzuheben und die Klage auch insoweit abzuweisen. Das FA rügt unrichtige Anwendung der §§ 69, 34 AO 1977.

Das FA hält zunächst daran fest, die Umsatzsteuerschulden hätten bevorzugt befriedigt werden müssen. Selbst wenn man dieser Auffassung nicht folge, also eine im Vergleich zur Tilgung anderer Verbindlichkeiten in etwa anteilige Befriedigung für ausreichend erachte, hätte das FG das Vorliegen einer schuldhaften Pflichtverletzung des Klägers nach § 69 AO 1977 bei dem vorliegenden Sachverhalt nicht verneinen dürfen. Das FA verweist in diesem Zusammenhang auf seine die Zeit von 1979 mit 1981 betreffenden Darlegungen in der Einspruchsentscheidung über die Entwicklung der Zahlungseingänge (16 Mio DM) und der geleisteten Auszahlungen für Löhne und Gehälter (5 Mio DM) sowie der Tilgung von Fremdverbindlichkeiten (9 Mio DM) einerseits und das stetige Ansteigen der Umsatzsteuerschulden der GmbH im nämlichen Zeitraum andererseits. Da der Kläger diesen Darlegungen trotz mehrfacher Aufforderung nicht widersprochen habe, hätte das FG nicht zu der Schlußfolgerung gelangen dürfen, eine Benachteiligung des Steuergläubigers hinsichtlich der Umsatzsteuerschulden und Nebenabgaben sei nicht ausreichend feststellbar.

Der Kläger beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Die Frage, ob Umsatzsteuerschulden bevorzugt (wie die Lohnsteuer) oder in etwa gleichmäßig mit anderen Verbindlichkeiten zu befriedigen sind, hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 26. April 1984 V R 128/79 (BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776) im letzteren Sinn - also ebenso wie das FG - entschieden. Das gleiche gilt sinngemäß für die Nebenabgaben (Säumnis-, Verspätungszuschläge und Hinterziehungszinsen).

2. Zur Beurteilung der Frage, ob die Tilgung der Umsatzsteuerschulden in etwa im gleichen Verhältnis wie bei anderen Verbindlichkeiten vorgenommen wurde oder ob dies nicht geschehen ist, mithin dem Kläger also eine Benachteiligung des Steuergläubigers anzulasten wäre, ist folgendes zu erwägen:

Das FG hat zu einer Benachteiligung des Steuergläubigers seinerseits keine Feststellungen getroffen. Es ist der Auffassung, die Ermessensentscheidung des FA sei schon deshalb ermessensfehlerhaft, weil es an hinreichenden Darlegungen des FA über das Verhältnis der gesamten geschäftlichen Verbindlichkeiten und der Steuerschulden einerseits und darüber fehle, in welchem Umfang die beiderseitigen Verbindlichkeiten im jeweiligen Zeitraum - gemeint ist offenbar der jeweilige Jahresabschnitt - getilgt worden seien. Mit diesen Erwägungen ist jedoch die von dem FG gezogene Schlußfolgerung nicht ausreichend gedeckt. Zwar obliegt dem FA für das Vorliegen einer Pflichtverletzung des Klägers, die in der Nichtverwendung vorhandener Mittel zur vollen oder anteiligen Befriedigung des Steuergläubigers bestehen soll, die Beweislast, soweit die diesen Vorwurf belegenden Tatsachen in seinen Wissensbereich fallen. Die bei der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners zu treffende Ermessensentscheidung (§ 191 Abs. 1 AO 1977) ist auch regelmäßig fehlerhaft, wenn das FA von einem nicht aufgeklärten oder falschen Sachverhalt ausgegangen ist.

In der vorliegenden Sache hat aber das FA - anders als im Fall des Urteils des BFH vom 8. Juli 1982 V R 7/76 (BFHE 137, 1, BStBl II 1983, 249) - aufgrund eingehender Ermittlungen bereits in der Einspruchsentscheidung ausführlich den Umfang der Zahlungen der GmbH (in 1979: 6 252 000 DM, in 1980: 5 921 000 DM, in 1981: 2 057 000 DM) dargetan und weiter darauf hingewiesen, daß der nach Abzug von Löhnen und Gehältern in Höhe von ca. 5 Mio DM von der GmbH ausgezahlte Betrag mit 2 Mio DM zur Tilgung von Steuern und mit 9 Mio DM zur Tilgung anderer Verbindlichkeiten verwendet wurde. Sollte diese - vom Kläger bislang unwidersprochen gebliebene - Sachdarstellung zutreffen, würde dies darauf hindeuten, daß die vor allem ab 1980 erheblich angestiegenen Umsatzsteuerverbindlichkeiten (für 1979: 76 560 DM, für 1980: 494 340 DM, für 1981: 195 448 DM) nicht in etwa mit dem gleichen Tilgungsanteil wie die anderen Verbindlichkeiten beglichen worden sind. Jedenfalls ist es angesichts des Mißverhältnisses zwischen den Zahlungen auf die Steuerschulden einerseits - rd. 2 Mio DM - und denjenigen auf andere Verbindlichkeiten andererseits - rd. 9 Mio DM + 5 Mio DM für Löhne - nicht auszuschließen, daß das FA zu Recht von einer Benachteiligung des Steuergläubigers ausgegangen ist und es deshalb sein Ermessen im Ergebnis richtig ausgeübt hat. Es fehlt jedoch zu den Angaben des FA und deren Richtigkeit im einzelnen an tatrichterlichen und damit revisionsrechtlich überprüfbaren Feststellungen (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der erkennende Senat ist daher zur Entscheidung darüber, ob und ggf. inwieweit eine in etwa vergleichbare Tilgungsquote für die Umsatzsteuerschulden eingehalten wurde (vgl. hierzu die Urteile des BFH vom 26. März 1985 VII R 139/81, BFHE 143, 488, BStBl II 1985, 539, und vom 12. Juni 1986 VII R 192/83, BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657), nicht in der Lage. Das gilt auch hinsichtlich der Überprüfung der behördlichen Ermessensentscheidung.

Das finanzgerichtliche Urteil ist somit aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache ist an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 415175

BFH/NV 1988, 219

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