Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzlicher Richter; Beitrittsrecht des BMF; Fortsetzungsfeststellungsklage
Leitsatz (NV)
1. Zur ordnungsgemäßen Besetzung der Richterbank bei Entscheidungen des VII. Senats des BFH in Urteilssachen.
2. Das Beitrittsrecht des BMF gemäß § 122 Abs. 2 FGO ist nicht verfassungswidrig.
3. Zu den Anforderungen an eine Fortsetzungsfeststellungsklage (Feststellungsinteresse), wenn die Finanzbehörde eine im bisherigen Verfahren angefochtene Zwangsgeldandrohung aufgehoben hat.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 97, 101 Abs. 1 S. 2; FGO § 100 Abs. 1 S. 4, § 122 Abs. 2; GVG § 21g Abs. 2; AO 1977 § 328
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) gab als Vormund für seinen Mündel dessen Einkommensteuererklärung 1988 auf dem amtlichen Vordruck ab. Er erklärte in der mit der Einkommensteuererklärung eingereichten Anlage KSO Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von . . . DM. Die in Zeile 28 der Anlage vorgedruckte Versicherung, daß er die Angaben zu den Einkünften aus Kapitalvermögen wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen gemacht habe, unterschrieb er nicht. Der Kläger weigerte sich auch in dem nachfolgenden Schriftwechsel mit dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -), die Anlage KSO zu unterschreiben. Er berief sich darauf, daß er bereits auf dem Mantelbogen der Einkommensteuererklärung mit seiner Unterschrift versichert habe, er habe die Angaben in der Erklärung, zu der auch die Anlage KSO gehöre, wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Für eine zusätzliche unterschriftliche Versicherung unter der Anlage KSO fehle es an einer Rechtsgrundlage.
Das FA drohte daraufhin dem Kläger die Festsetzung eines Zwangsgeldes von 100 DM an, falls er der Aufforderung der Abgabe der unterschriebenen Anlage KSO 1988 nicht nachkomme. Die dagegen eingelegte Beschwerde wies die zuständige Oberfinanzdirektion zurück. Auf die Klage des Klägers hob das Finanzgericht (FG) die Zwangsgeldandrohung des FA sowie dessen Aufforderungen an den Kläger zur Abgabe einer unterschriebenen Anlage KSO zur Einkommensteuererklärung seines Mündels auf. Der erkennende Senat wies die Revision des FA gegen das Urteil des FG durch Vorbescheid als unbegründet zurück. Nachdem das FA mündliche Verhandlung beantragt hatte, hob es die gegen den Kläger ergangene Zwangsgeldandrohung sowie die Aufforderungen zur Abgabe einer unterschriebenen Anlage KSO zur Einkommensteuererklärung 1988 seines Mündels ersatzlos auf und erklärte den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
Der Kläger hat keine Erledigungserklärung abgegeben. Er beantragt, unter Zurückweisung der Revision des FA gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) festzustellen, daß die Zwangsgeldandrohung und die Aufforderungen des FA zur Abgabe einer unterschriebenen Anlage KSO rechtswidrig gewesen seien.
Er meint, das berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung (hier: Satisfaktionsinteresse) ergebe sich bereits daraus, daß er mit einem Beugemittel, einer Ungehorsamsfolge überzogen und damit in seine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) eingegriffen worden sei. Er fühle sich nach dessen Erledigungserklärung als Opfer einer mißbräuchlichen Prozeßtaktik des FA, bei dem dieses durch seinen Antrag auf mündliche Verhandlung den zu seinen (des Klägers) Gunsten ergangenen Vorbescheid beseitigt habe. Die Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung sei nicht beseitigt, da insoweit ein rechtsverbindlicher Verzicht des FA für die Folgejahre nicht abgegeben werden könne, zumal dieses im Schriftsatz . . . weiterhin die Auffassung vertrete, daß es grundsätzlich die gesonderte Unterschrift unter der Anlage KSO verlangen könne. Als Träger des öffentlichen Amtes des Vormundes habe er auch ein Rehabilitierungsinteresse dem Mündel und dem Vormundschaftsgericht gegenüber, daß festgestellt werde, er habe sich zu Recht geweigert, die geforderte Unterschrift zu leisten. Insoweit sei sein berechtigtes Feststellungsinteresse schließlich deshalb zu bejahen, weil er auch künftig für die Übernahme von Vormundschaften zur Verfügung stehe, für die mit Gewißheit die angeführte Wiederholungsgefahr bestehe.
Durch die Verwaltungsakte des FA sei er auch in seiner Berufsausübung als Steuerberater diskriminiert worden, da er mittelbar einer Steuerverfehlung bezichtigt worden sei. Anordnungen, die die Gefahr der Selbstbezichtigung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit mit sich brächten, dürften nicht erzwungen werden. Sein Feststellungsinteresse folge auch daraus, daß zwischen Zwangsgeld und Strafe eine Wechselbeziehung bestehe. Wegen der Nähe der Zwangsgeldandrohung zum Strafrecht bleibe für ihn auch nach der Aufhebung der Verfügung eine Stigmatisierung zurück.
Das FA und der dem Verfahren beigetretene Bundesminister der Finanzen (BMF) halten ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Feststellung nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO nicht für gegeben. Sie machen geltend, das FA habe dem Begehren des Klägers in vollem Umfang entsprochen. Es werde wegen der Besonderheit des Falles auch für die Folgejahre darauf verzichten, vom Kläger als Vormund die Unterschrift unter der Anlage KSO zu verlangen, so daß keine Wiederholungsgefahr bestehe. Der Ruf des Klägers gegenüber dem Vormundschaftsgericht sei durch den vorliegenden Rechtsstreit, dessen Gegenstand nicht die Mißbilligung des Verhaltens des Klägers im Sinne einer Wertung, sondern eine objektive Rechtsfrage gewesen sei, nicht berührt worden. Zudem könne der Kläger dem Vormundschaftsgericht gegenüber nachweisen, daß er im Ergebnis mit seinem Klagebegehren erfolgreich geblieben sei. Ein Rehabilitierungsinteresse sei somit nicht erkennbar. Das prozessuale Verhalten des FA sei schließlich auch nicht rechtsmißbräuchlich. Der Antrag auf mündliche Verhandlung zur Beseitigung des Vorbescheids sei eine legale Prozeßbefugnis; der Entschluß, das Verfahren nicht weiter betreiben zu wollen, mit der Folge, den Kläger klaglos stellen zu müssen, sei erst später gefallen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage, weil diese mangels Rechtschutzinteresses unzulässig geworden ist (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
1. Die vom Kläger - auch in der mündlichen Verhandlung - erhobenen verfassungsrechtlichen Einwendungen greifen nicht durch. Der Senat sieht deshalb keinen Anlaß, der Anregung des Klägers entsprechend das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 100 Abs. 1 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen.
a) Der erkennende Senat ist nicht wegen seiner Besetzung an der Entscheidung der Streitsache gehindert. Seine Besetzung im konkreten Fall verstößt weder gegen die Art. 97 und 101 Abs. 1 Satz 2 GG noch gegen § 4 FGO i.V.m. § 21 g Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG). Soweit der Kläger die ,,schematische Überbesetzung" der Senate des Bundesfinanzhofs (BFH) als verfassungswidrig rügt, verweist der Senat auf die Entscheidungen des II. und VIII. Senats des BFH (Urteil vom 11. Dezember 1991 II R 49/89, BFHE 165, 492, BStBl II 1992, 260, und Beschluß vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252). Er schließt sich der Rechtsauffassung der vorgenannten Senate an, die unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG übereinstimmend entschieden haben, daß die Besetzung der Senate des BFH mit einem über die vorgeschriebene Mindestzahl gemäß § 10 Abs. 3 FGO hinausgehenden Richter nicht gegen das Gebot des gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt. Insbesondere für den VII. Senat ist die geschäftsplanmäßige Besetzung mit sechs Richtern im Hinblick auf dessen umfangreichen Zuständigkeitskatalog nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH und die stets überdurchschnittlichen jährlichen Eingangszahlen sachlich zwingend geboten.
Die Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 GG) ist nicht - wie der Kläger meint - wegen der ,,fehlenden jährlichen Voraus-Bestimmung" und der ,,ungebundenen Bestimmung des Berichterstatters" durch den Vorsitzenden gefährdet. Denn die Zuschreibungspraxis sowie die Mitwirkung der Senatsmitglieder an den zur Entscheidung kommenden Verfahren erfolgt im VII. Senat des BFH nach bestimmten Grundsätzen, die gemäß § 21g GVG jeweils vor Beginn des Geschäftsjahres festgelegt werden, so daß für die vom Kläger befürchtete Einflußnahme des Vorsitzenden auf die Besetzung der Richterbank kein Raum bleibt. Der Senat verweist wegen der Mitwirkung der Senatsmitglieder im übrigen auf seine senatsinternen Mitwirkungspläne für die einzelnen Geschäftsjahre, die dem Kläger bekannt sind.
Soweit der Kläger die Unabhängigkeit der Richter wegen der Bestimmung des Berichterstatters nach Sachgebieten, die im VII. Senat jeweils vor Beginn des Geschäftsjahres zwischen dem Vorsitzenden und den anderen Senatsmitgliedern abgesprochen werden, als gefährdet ansieht, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die Zuschreibung der Streitsachen nach Sachgebieten entspricht einer weit verbreiteten Praxis auch bei anderen obersten Bundesgerichten. Sie ist im Hinblick auf besondere Sachkenntnisse, die notwendige Spezialisierung und beim VII. Senat des BFH auch wegen der unterschiedlichen beruflichen Vorbildung der Richter (Zolljuristen und Steuerjuristen) zumindest sachlich gerechtfertigt. Daß die richterliche Unabhängigkeit durch die Praxis beeinträchtigt werden könnte, ist nicht ersichtlich.
Im Streitfall gehen die generellen Einwendungen des Klägers gegen die ordnungsgemäße Besetzung der Richterbank - unabhängig von den vorstehenden Ausführungen - auch deshalb ins Leere, weil zu dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt eine ,,Überbesetzung" des Senats nicht vorlag und eine Entscheidung in anderer Besetzung nicht möglich war. Die Besetzung des Senats hat sich, nachdem der Vorbescheid in dieser Sache ergangen ist, wesentlich geändert. Von den an dem Vorbescheid mitwirkenden Richtern gehören neben dem Vorsitzenden nur noch die Richter am BFH A (Berichterstatter) und B dem Senat an. Die Bestimmung des Richters am BFH B als einzigem neben dem Vorsitzenden und dem Berichterstatter mit der Sache vertrauten Richter zum (neuen) Mitberichterstatter am 19. August 1991, als der Senat nur mit fünf Richtern besetzt war, war somit aus sachgerechten Gründen geboten, zumal nach dem senatsinternen Mitwirkungsplan die Sache, wenn ein Vorbescheid erlassen worden ist, später - soweit möglich - in derselben Besetzung weiter zu behandeln ist. Seit Oktober 1991 ist zwar der Senat geschäftsplanmäßig wieder mit sechs Richtern besetzt. Da aber der Richter am BFH C wegen Urlaubs an der Teilnahme der mündlichen Verhandlung am 2. Juni 1992 verhindert war, konnte nur in der Besetzung mit den übrigen fünf nicht verhinderten Senatsmitgliedern entschieden werden. Der Kläger hat, nachdem er auf diese Sachlage hingewiesen worden ist, konkrete Einwendungen gegen die Besetzung der Richterbank in der mündlichen Verhandlung auch nicht vorgetragen.
b) Der Kläger wendet sich ferner gegen den Beitritt des BMF zum vorliegenden Verfahren. Nach seiner Auffassung verstößt das in § 122 Abs. 2 FGO geregelte Beitrittsrecht gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG, weil sich durch den Beitritt des BMF die Prozeßstellung der Verwaltung verdoppelt und somit das Prinzip der Waffengleichheit der Beteiligten verletzt wird. Der I. Senat des BFH hat bereits im Urteil vom 14. Dezember 1983 I R 301/81 (BFHE 140, 26, 30, BStBl II 1984, 409) entschieden, daß § 122 Abs. 2 FGO weder gegen Art. 3 GG noch gegen sonstige Verfassungsbestimmungen verstößt. Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung; er sieht auch die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG durch das Beitrittsrecht nicht als verletzt an.
Der sachliche Grund der Beitrittsregelung besteht darin, daß es dadurch ermöglicht werden soll, zur sachgerechten Entscheidung durch den BMF Material in ein Verfahren einzuführen, das sonst nicht oder nur schwer zugänglich wäre (vgl. im Streitfall die Erwägungen für die bundeseinheitliche Vordruckgestaltung der Anlage KSO). Damit wird zugleich auch dem von den beitrittsbefugten Behörden in besonderem Maße zu vertretenden allgemeinen Interesse am Ausgang des Verfahrens Rechnung getragen. Die Regelung bietet danach einen gewissen Ersatz dafür, daß beim BFH eine Bundesanwaltschaft oder ein Vertreter des öffentlichen Interesses nicht eingerichtet ist (anders in der Verwaltungsgerichtsbarkeit; vgl. §§ 35-37 der Verwaltungsgerichtsordnung). Das Rechts- schutzinteresse der anderen Beteiligten wird dadurch nicht gemindert (Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 14 Aufl., § 122 FGO Tz. 17). Die Rechtsstellung der als Revisionskläger oder -beklagter beteiligten Finanzbehörde wird durch den Beitritt des BMF nicht verdoppelt. Denn der beigetretene BMF nimmt eine objektive Stellung ein; sein Beitritt ist der Rechtsfindung aus dem Einzelfall übergeordneten Gesichtspunkten dienlich. Das findet auch darin eine Bestätigung, daß es immer wieder vorkommt, daß das Vorbringen des BMF im Revisionsverfahren mit dem der beteiligten Finanzbehörde, die sich in der Parteirolle befindet und nur den streitigen Einzelfall zu berücksichtigen hat, nicht übereinstimmt oder den von dieser Behörde verfolgten Interessen nicht dienlich ist. Der Senat hält es somit nicht für erforderlich, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 122 Abs. 2 FGO dem BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG zur Entscheidung vorzulegen.
2. Nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 5. März 1979 GrS 3/78 (BFHE 127, 155, BStBl II 1979, 378; vgl. auch Beschluß vom selben Tag GrS 4/78, BFHE 127, 147, BStBl II 1979, 375) hat der BFH, wenn im Revisionsverfahren der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, die beklagte Behörde als Revisionskläger die Erledigung erklärt und der Kläger seinen Sachantrag aufrechterhält, unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils die Klage als unzulässig abzuweisen und die Kosten des gesamten Verfahrens nach § 135 Abs. 1 FGO dem Kläger aufzuerlegen.
a) Im Streitfall hat sich - wovon auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen - das ursprüngliche Klagebegehren, das auf Aufhebung der Aufforderungen des FA zur Abgabe einer unterschriebenen Anlage KSO und der Androhung des Zwangsgeldes gerichtet war, dadurch erledigt, daß das FA die angefochtenen Verwaltungsakte im Revisionsverfahren aufgehoben hat. Die Vorentscheidung, die über das ursprüngliche Klagebegehren entschieden hat, war deshalb aufzuheben.
b) Da nach der Dispositionsmaxime der Kläger das finanzgerichtliche Verfahren beherrscht (vgl. §§ 65 Abs. 1 Satz 1, 96 Abs. 1 Satz 2 FGO), bestimmt er mit seinen Anträgen den Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung. Die hier vorliegende einseitige Erledigungserklärung des beklagten FA stellt - auch in der Revisionsinstanz - lediglich eine Anregung an das Gericht dar, die Frage der Erledigung zu prüfen und ggf. aus diesem Grunde die Klage mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig abzuweisen (BFH, Großer Senat in BFHE 127, 147 und 155, BStBl II 1979, 375, 377 und 378, 380, 381). Im Streitfall hat der Kläger nach Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsakte seinen ursprünglichen Sachantrag nicht aufrechterhalten. Er beantragt nunmehr, gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO festzustellen, daß die Zwangsgeldandrohung und die Aufforderung des FA zur Abgabe einer unterschriebenen Anlage KSO rechtswidrig gewesen seien.
Die durch diese Vorschrift eröffnete Möglichkeit des Übergangs zur Fortsetzungsfeststellungsklage besteht auch, wenn das den angefochtenen Verwaltungsakt erledigende Ereignis - wie hier - erst im Revisionsverfahren eingetreten ist (§ 121 FGO). Denn der Fortsetzungsfeststellungsantrag stellt eine Einschränkung des ursprünglichen Begehrens und nicht eine Klageänderung i.S. des § 67 FGO dar, die gemäß § 123 FGO im Revisionsverfahren unzulässig wäre. Der Antrag kann auch dann gestellt werden, wenn die Revision nicht vom Kläger, sondern - wie hier - von der nicht antragsbefugten beklagten Behörde eingelegt wurde (zum Vorstehenden vgl. Senatsurteil vom 23. März 1976 VII R 106/73, BFHE 118, 503, BStBl II 1976, 459, 460, m.w.N.). Im Streitfall ist die Fortsetzungsfeststellungsklage aber unzulässig, weil es an dem hierfür erforderlichen Feststellungsinteresse fehlt (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 1988 VII R 55/84, BFH/NV 1988, 453, 454). Die Klage des Klägers ist somit trotz des geänderten (eingeschränkten) Sachantrags als unzulässig abzuweisen.
3. Die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage erfordert nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO neben den allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen ein berechtigtes Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung. Dazu genügt jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende schutz- würdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 100 Rz. 42, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Die begehrte Feststellung muß aber geeignet sein, in einem der genannten Bereiche zu einer Positionsverbesserung des Klägers zu führen (Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 8. Aufl., § 113 Tz. 57). Aus den vom Kläger angeführten Gründen läßt sich ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der aufgehobenen Verwaltungsakte nicht entnehmen. Es sind auch sonst keine Gründe ersichtlich, wonach die begehrte Feststellung eine schutzwürdige Position des Klägers verbessern könnte.
a) Das FA hat nicht nur die Zwangsgeldandrohung, sondern auch sämtliche an den Kläger gerichtete Aufforderungen zur Abgabe einer unterschriebenen Anlage KSO zur Einkommensteuererklärung1988 seines Mündels ersatzlos aufgehoben. Es verlangt somit für das Streitjahr nicht mehr, daß der Kläger die Richtigkeit der Angaben zu den Einkünften aus Kapitalvermögen seines Mündels zusätzlich zu der generellen Wahrheitsversicherung auf der Steuererklärung auf der Anlage KSO nochmals gesondert nach bestem Wissen und Gewissen unterschriftlich versichert. Der Kläger ist durch das ursprüngliche Verlangen des FA nicht mehr belastet. Die begehrte Feststellung wäre nicht geeignet, seine Position in irgendeiner anerkennenswerten Weise zu verbessern.
b) Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich nach der Aufhebung der Zwangsgeldandrohung ein Feststellungsinteresse nicht daraus, daß das FA mit einem Beugemittel wegen ,,Ungehorsam" gegen ihn vorgegangen ist. Die Zwangsmittel nach § 328 der Abgabenordnung (AO 1977) haben keinen Strafcharakter und setzen kein Verschulden des Betroffenen voraus. Soweit sie früher als Ungehorsamsfolgen angesehen worden sind (vgl. § 95 der Reichsabgabenordnung - AO -), entspricht dies im Hinblick auf § 335 AO 1977 nicht mehr der gegenwärtigen Rechtslage (Tipke/ Kruse, a.a.O., § 328 AO 1977 Tz. 16). Die Androhung eines Zwangsgeldes ist somit nicht mit einem Unwerturteil verbunden, das durch gerichtliche Feststellung seiner Rechtswidrigkeit aus der Welt geschafft werden müßte. Sie bringt lediglich die Rechtsauffassung der Verwaltung zum Ausdruck, daß eine bestimmte Handlung, Duldung oder Unterlassung verlangt und zwangsweise durchgesetzt werden kann. Mit der Aufhebung des entsprechenden Verwaltungsakts und der Zwangsgeldandrohung wird der entgegenstehenden Rechtsauffassung des Steuerpflichtigen und seinen schutzwürdigen Interessen Genüge getan. Das gilt auch hinsichtlich des vorangegangenen Eingriffs in die nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Handlungsfreiheit. Diese wird durch jeden Akt der Eingriffsverwaltung berührt; daraus allein folgt aber nach dessen Aufhebung regelmäßig noch kein Feststellungsinteresse i.S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO.
Die Auffassung des Klägers, mit dem Verlangen nach Unterschriftsleistung unter der Anlage KSO und dessen Erzwingung werde er einer Steuerverfehlung bezichtigt, trifft somit nicht zu. Der Kläger hat auch nicht dargetan, daß die Verweigerung der Unterschrift zu Strafverfolgungsmaßnahmen gegen ihn geführt hat oder daß solche drohen. Es ist ferner nicht ersichtlich, inwiefern mit der geforderten Unterschrift unter der Anlage KSO die Gefahr der Selbstbezichtigung mit einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verbunden sein soll. Auf die behauptete Wechselbeziehung zwischen Strafe und Zwangsgeld kommt es somit für das im Streitfall maßgebliche Feststellungsinteresse nicht an.
c) Die vom Kläger angeführte Wiederholungsgefahr vermag ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der aufgehobenen Verwaltungsakte nur dann zu begründen, sofern diese als hinreichend konkret einzuschätzen ist (Gräber/von Groll, a.a.O., § 100 Rz. 42, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Daran fehlt es im Streitfall. Das FA hat nicht nur für die streitbefangene Einkommensteuererklärung 1988 des Mündels des Klägers nachträglich von seinem Verlangen zur Unterschriftsleistung unter der Anlage KSO und ihrer zwangsweisen Durchsetzung abgesehen, sondern in seinem Schriftsatz . . . sowie in der mündlichen Verhandlung erklärt, daß es auch für die Folgejahre die Unterschrift unter der Anlage KSO nicht verlangen werde. Damit ist für die künftigen Steuererklärungen des Steuerpflichtigen, soweit er vom Kläger als Vormund vertreten wird, eine hinreichend konkrete Gefahr, daß die Aufforderuung zur Unterschriftsleistung unter der Anlage KSO wiederholt wird, nicht gegeben, zumal das FA selbst in dem genannten Schriftsatz die Wiederholungsgefahr ausdrücklich verneint.
Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß das FA sich grundsätzlich weiterhin für berechtigt hält, eine gesonderte Unterschrift unter der Anlage KSO zu verlangen. Denn es hat ausgeführt, daß es wegen der Besonderheiten des vorliegenden Falles, auf die im Zusammenhang mit der gebotenen Ermessensausübung bei der Zwangsgeldandrohung auch der Kläger in seiner Revisionserwiderung hingewiesen hat, von seinem Verlangen zur Unterschriftsleistung absehe und dies auch künftig so handhaben werde. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß das FA in der Folgezeit von dieser ausdrücklichen Erklärung Abstand nehmen werde. Unter diesen Umständen kommt es zum Ausschluß der Wiederholungsgefahr entgegen der Auffassung des Klägers nicht darauf an, ob das FA insoweit zu einer rechtsverbindlichen Verzichtserklärung für die Folgejahre rechtlich befugt ist.
d) Es kann auch nicht als mißbräuchliche Prozeßtaktik des FA angesehen werden, wenn dieses, nachdem es sich zunächst mit dem Antrag auf mündliche Verhandlung gegen den zu seinen Ungunsten ergangenen Vorbescheid gewandt hat, nunmehr aufgrund der Besonderheiten des Falles, auf die sich auch der Kläger beruft (hier: von einem Steuerberater als Vormund für den Mündel erstellte Steuererklärung), durch Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsakte den Kläger klaglos stellt, so daß es einer Entscheidung der streitigen Rechtsfrage nicht mehr bedarf. Die Besonderheiten des vorliegenden Falles erscheinen aus der nachträglich gewonnenen Sicht des FA - und auch bei objektiver Beurteilung - zumindest nicht ungeeignet, eine vom Regelfall abweichende Behandlung des Klägers hinsichtlich der Erzwingung der streitigen Unterschriftsleistung zu rechtfertigen. Bei dem prozessualen Verhalten des FA mag auch die geplante Änderung der Besteuerung der Zinserträge (Anhebung der Sparer-Freibeträge, Steuererhebung durch Zinsabschlag; vgl. Referentenentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Zinsbesteuerung, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1992, Heft 10 S. IV), mitursächlich gewesen sein, insoweit daraus entnommen werden könnte, daß die Unterschrift unter der Anlage KSO künftig an Bedeutung verliert oder gar entbehrlich wird. Das unabhängig vom Streitfall verbleibende allgemeine Bedürfnis nach Klärung der Rechtsfrage, ob eine gesonderte Unterschrift unter der Anlage KSO verlangt werden kann, reicht für die Bejahung des besonderen Feststellungsinteresses für die Fortsetzungsfeststellungsklage nicht aus (Gräber/von Groll, a.a.O., § 100 Rz. 45; BFH-Urteil vom 22. August 1985 IV R 118/83, BFH/NV 1986, 196).
e) Ein berechtigtes Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung ergibt sich schließlich auch nicht daraus, daß diesem wegen der vorausgegangenen, inzwischen aufgehobenen Maßnahmen des FA und der dadurch eingetretenen Folgen Genugtuung verschafft werden müßte. Die Feststellung, daß der aufgehobene Verwaltungsakt rechtswidrig war, kann zur Rehabilitierung des Betroffenen dann erforderlich sein, wenn von dem Verwaltungsakt oder seiner Begründung eine noch andauernde diskriminierende Wirkung ausgeht und der Betroffene dadurch objektiv in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt ist (vgl. Kopp, a.a.O., § 113 Tz. 60, 61; Urteile des Senats vom 27. Mai 1975 VII R 80/74, BFHE 116, 315, BStBl II 1975, 860, und in BFHE 118, 503, BStBl II 1976, 459, 460). Der Kläger hat nicht erkennbar dargelegt, daß er durch die Aufforderung des FA, die Anlage KSO zu unterschreiben, und die zu ihrer Durchsetzung ergangene Zwangsgeldandrohung in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt und folglich diskriminiert worden ist.
Wie bereits ausgeführt, waren die Maßnahmen des FA nicht mit einem Unwerturteil gegenüber dem Kläger verbunden. Es ist auch nicht ersichtlich, daß das Ansehen des Klägers als Vormund bei seinem Mündel oder beim Vormundschaftsgericht wegen der gegen ihn ergangenen Verwaltungsakte beeinträchtigt sein könnte. Das Verlangen des FA zur Unterschriftsleistung unter einer Anlage zur Einkommensteuererklärung und die Androhung der zwangsweisen Durchsetzung betraf die dem Kläger als gesetzlichem Vertreter gemäß § 34 Abs. 1 AO 1977 obliegenden steuerlichen Pflichten und damit sein öffentlich-rechtliches Verhältnis als Vormund gegenüber dem FA. Das bürgerlich-rechtliche Verhältnis zwischen Vormund und Mündel (hier: §§ 1896 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) und die insoweit bestehenden Bestellungs-, Aufsichts- und Genehmigungsrechte des Vormundschaftsgerichts werden durch die Art und Weise, in der der Vormund der Steuererklärungspflicht für den Mündel nachkommt, nicht berührt, soweit nicht objektiv eine Pflichtverletzung gegenüber dem Mündel gegeben ist. Der Kläger hat auch nicht einmal behauptet, daß dem Vormundschaftsgericht seine Meinungsverschiedenheit mit dem FA über die Verpflichtung zur Unterschriftsleistung unter der Anlage KSO überhaupt bekannt geworden ist und daß sein Verhalten und die darauf beruhenden Verwaltungsakte des FA Anlaß zur Beanstandung oder Mißbilligung durch das Vormundschaftsgericht gewesen sind. Sollte dies doch der Fall gewesen sein, so würde es zur Rehabilitierung des Klägers gegenüber dem Vormundschaftsgericht völlig ausreichen, daß er diesem durch Vorlage der im Revisionsverfahren ergangenen Aufhebungsverfügung des FA nachweist, daß er sich mit seiner Rechtsauffassung zu der streitigen Rechtsfrage gegenüber dem FA im Ergebnis durchgesetzt hat. Auch im Hinblick auf die etwaige Übernahme weiterer Vormundschaften ist weder dargetan noch ersichtlich, inwiefern sich die rechtliche, wirtschaftliche oder ideelle Position des Klägers in der Öffentlichkeit oder gegenüber dem Vormundschaftsgericht durch die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der bereits aufgehobenen Verwaltungsakte verbessern würde. Das gilt auch im Hinblick auf den Beruf des Klägers als Steuerberater.
Fundstellen
Haufe-Index 418524 |
BFH/NV 1993, 46 |
BB 1992, 1401 |