Leitsatz (amtlich)
1. Der Verlust einer betrieblich veranlaßten Darlehnsforderung kann bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG in dem Zeitpunkt gewinnmindernd berücksichtigt werden, in dem der Verlust feststeht. Der Senat hält an seiner abweichenden Entscheidung IV 88/62 vom 8. Oktober 1964 (HFR 1965, 23) nicht mehr fest.
2. Die Hingabe von Darlehen ist regelmäßig eine dem Anwalt berufsfremde Tätigkeit, wenn nicht ganz besondere Umstände den Zusammenhang mit der Anwaltstätigkeit ergeben.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, 3-4, § 18
Tatbestand
Der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) war Rechtsanwalt, der den Gewinn aus seiner Berufstätigkeit nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelte. In der Einkommensteuererklärung für das Kalenderjahr 1962 setzte er als Betriebsausgabe den Betrag von 10 298,40 DM als "Aufwendungen zur Sicherung von Honorarforderungen" ab. Diesem Abzug lag folgender Sachverhalt zugrunde. Der Steuerpflichtige war bereits seit der Schulzeit mit dem Kaufmann V. bekannt. V. befand sich im Jahre 1960 in finanziellen Schwierigkeiten. Er beauftragte den Steuerpflichtigen mit der Wahrnehmung seiner Interessen bei den Besprechungen mit seinen Gläubigern. Der Steuerpflichtige erhielt keine Kostenvorschüsse. Bis zum März 1960 waren für den Steuerpflichtigen aus dem Mandat Ansprüche von rd. 29 000 DM für Gebühren und Auslagen entstanden. V. bat den Steuerpflichtigen Mitte März um seine Hilfe gegenüber der Kreissparkasse, die nicht mehr bereit war, seine Schecks in Höhe von 40 000 DM einzulösen. Ohne die Einlösung der Schecks wollten verschiedene Gläubiger des V. nicht länger stillhalten. V. erklärte dem Steuerpflichtigen, er erwarte in den nächsten Tagen den Eingang von 65 000 DM. Auf Vorschlag des Leiters der Sparkasse nahm der Steuerpflichtige bei der Sparkasse ein in zwei Wochen rückzahlbares Darlehen von 40 000 DM auf, dessen Valuta er dem V. sofort zur Verfügung stellte. Der Steuerpflichtige sah das Geldgeschäft als kurzfristige Überbrückungsmaßnahme an. Er hielt sie auch im eigenen Interesse für erforderlich, da bei einem wirtschaftlichen Zusammenbruch des V. seine Honorarforderungen verloren gewesen wären. V. beglich den überwiegenden Teil der Darlehnsforderung ratenweise unmittelbar an die Kreissparkasse. Den Restbetrag von 10 298,40 DM mußte der Steuerpflichtige im Streitjahr 1962 an die Sparkasse zahlen, nachdem V. inzwischen in Konkurs geraten war.
Das FA lehnte den Abzug des Betrages als Betriebsausgabe ab.
Die Sprungberufung des Steuerpflichtigen hatte keinen Erfolg.
Das (FG) führte aus: Bei dem Steuerpflichtigen sei ein gewisser innerer Zusammenhang des Geldgeschäfts mit seiner beruflichen Tätigkeit nicht zu verkennen. Seine Honorarforderungen seien durch die schlechte finanzielle Lage des V. gefährdet gewesen. Der Steuerpflichtige habe auf Grund der Angaben des V. annehmen können, daß die Darlehnshingabe wesentlich dazu beitragen werde, dessen Betrieb finanziell zu retten. Dennoch sei der streitige Betrag keine Betriebsausgabe. Bei dem Betrag handle es sich um die Rückzahlung des Restes einer Darlehnsschuld gegenüber der Sparkasse. Die Rückzahlung eines Darlehens könne begrifflich keine Betriebsausgabe sein. Die Zahlung im Jahr 1962 habe nicht der Sicherung der damals schon verlorenen Honorarforderungen gedient. Die Schädigung des Vermögens des Steuerpflichtigen bestehe darin, daß V. seine Darlehnsverpflichtung nicht habe restlos erfüllen können. Dieser Vermögensschaden könne bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG nicht berücksichtigt werden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die als Revision zu behandelnde Rechtsbeschwerde des Steuerpflichtigen führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG.
Die Vorentscheidung enthält keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen zu der Frage, ob die Darlehnsgeschäfte betrieblich veranlaßt waren. Das FG ging von der ständigen, bereits durch den RFH begründeten höchstrichterlichen Rechtsprechung aus, daß Geldgeschäfte eines Anwalts, die nicht unmittelbar zur Ausführung eines im Rahmen der Anwaltstätigkeit liegenden Auftrags dienen, grundsätzlich anwaltsfremde Geschäfte sind (so RFH-Urteil IV 128/38 vom 22. September 1938, RStBl 1939, 26, mit Hinweis auf die vorhergehende Rechtsprechung). Auch die Hingabe von Darlehen ist regelmäßig eine dem Anwalt berufsfremde Tätigkeit, wenn nicht ganz besondere Umstände den Zusammenhang mit der Anwaltstätigkeit ergeben.
Ob im Streitfall derartige Umstände vorliegen, kann wegen der persönlichen Beziehungen des Steuerpflichtigen zu V. zweifelhaft sein. Das FG meint, ein gewisser innerer Zusammenhang "dieser Aktion" mit der beruflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen sei nicht zu verkennen. Aus den Darlegungen des FG geht nicht mit ausreichender Deutlichkeit hervor, ob das FG die Darlehnsgeschäfte des Steuerpflichtigen als betrieblich veranlaßt angesehen und auf welche Tatsachen es diese Folgerung gestützt hat. Das FG wird deshalb abschließend klären müssen, ob besondere Umstände vorlagen, die ausnahmsweise die Annahme eines Zusammenhangs der Darlehns "aktion" mit der Anwaltstätigkeit rechtfertigen.
Die betriebliche Veranlassung der Geldgeschäfte ist rechtserheblich. Der BFH hat entschieden, daß bei der Überschußrechnung weder der Zufluß bei Darlehnsaufnahme noch der Abfluß bei Darlehnshingabe wirtschaftlich einen endgültigen Geldzugang oder Geldabgang begründet, der gewinnerhöhend oder gewinnmindernd berücksichtigt werden könnte (BFH-Urteil I R 94/67 vom 8. Oktober 1969, BFH 97, 76, BStBl II 1970, 44). Wird im Fall der Darlehnsaufnahme der Geldzugang durch Rückzahlung des Darlehens wieder rückgängig gemacht, so darf auch dieser Vorgang sich auf die Ermittlung des Gewinns nicht auswirken. Der Steuerpflichtige kann deshalb die Restzahlung von 10 298 DM aufgrund des Darlehnsverhältnisses zu dem Geldinstitut auch bei betrieblicher Veranlassung der Darlehnsaufnahme nicht als Betriebsausgabe abziehen.
Es kann jedoch der Auffassung des FG nicht gefolgt werden, daß der dem Steuerpflichtigen aus der Darlehnshingabe an V. erwachsene Vermögensschaden auch dann unberücksichtigt bleiben müsse, wenn die Hingabe betrieblich veranlaßt sein sollte. Der BFH hat es zwar in der Entscheidung IV 88/62 vom 8. Oktober 1964 (HFR 1965, 23) als kennzeichnend für die vereinfachte Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG bezeichnet, daß Wertverschiebungen im Vermögensbereich des Steuerpflichtigen auf den Gewinn ohne Einfluß bleiben. Der Senat hält an dieser Auffassung für den Fall des Verlustes von betrieblich veranlaßten Darlehnsforderungen nicht mehr fest. Der BFH hat in zahlreichen Entscheidungen ausgesprochen, daß der Gewinnbegriff für das Einkommensteuerrecht in den §§ 4 Abs. 1 und 5 EStG festgelegt ist. Die Vorschrift des § 4 Abs. 3 EStG will in erster Linie eine Erleichterung bei der Ermittlung des Gewinns schaffen. Die erleichterte Gewinnermittlung kann allerdings in den einzelnen Veranlagungszeiträumen zu Gewinnen führen, die beträchtlich von den nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelten Gewinnen abweichen. Die befristete Verschiebung des Gewinnausweises wird jedoch aus Gründen der Vereinfachung in Kauf genommen. Aber im ganzen und auf die Dauer gesehen soll im Rahmen des Möglichen die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG denselben Gesamtgewinn wie der Vermögensvergleich ergeben (vgl. BFH-Urteile I 98/60 S vom 23. November 1961, BFH 74, 535, BStBl III 1962, 199, und I 113/65 vom 3. Juli 1968, BFH 93, 230, BStBl II 1968, 736, mit weiteren Hinweisen). Die Anwendung dieser Rechtsgrundsätze veranlaßt den Senat, die in der Entscheidung IV 88/62 (a. a. O.) vertretene Ansicht aufzugeben. Die Hingabe eines betrieblich veranlaßten Darlehens wirkt sich bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG im Zeitpunkt der Hingabe auf den Gewinn allerdings nicht aus, da noch kein endgültiger Geldabgang vorliegt. Steht jedoch in einem späteren Zeitpunkt zweifelsfrei fest, daß das Darlehen weder ganz noch teilweise zurückgezahlt wird, so wird der Geldbetrag in diesem Zeitpunkt wie ein Zuschuß endgültig verausgabt. Die von der Rechtsprechung (I R 94/67) vorausgesetzte Aufwendung des Geldbetrages ist damit vollzogen. Wegen der Abschnittsbesteuerung läßt die Aufwendung sich jedoch nicht auf den Veranlagungszeitraum der Darlehnshingabe zurückbeziehen. Der Verlust der Darlehnsforderung ist deshalb in dem Veranlagungszeitraum wie eine Betriebsausgabe gewinnmindernd zu berücksichtigen, in dem er endgültig eintritt.
Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen und die Sache nicht spruchreif ist, war die Vorentscheidung aufzuheben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 412986 |
BStBl II 1972, 334 |
BFHE 1972, 311 |