Leitsatz (amtlich)
Zur Tarifierung von Radiouhren.
Normenkette
GZT ATV 3; GZT Tarifnr. 85.15; GZT Tarifnr. 91.04
Tatbestand
Die Beklagte (die Oberfinanzdirektion – OFD –) erteilte der Klägerin am 20. Januar und 8. Juni drei verbindliche Zolltarifauskünfte (vZTA) über die von der Klägerin als Uhrenradios bezeichnete, durch eine Gebrauchsanweisung und ein Muster veranschaulichte Waren mit dem Ursprungsland Hongkong. Die Waren bestehen jeweils im wesentlichen aus einem Rundfunkempfangsgerät und einer elektrisch betriebenen Digitaluhr, die gemeinsam in einem, bei den drei Waren verschieden gestalteten Kunststoffgehäuse untergebracht sind. Das Rundfunkempfangsgerät ist jeweils für den Empfang von Rundfunksendungen im Ultrakurz- und Mittelwellenbereich eingerichtet und mit einer Wurfantenne ausgestattet. Die Uhr ist jeweils netzfrequenzgesteuert, besitzt eine LED-Leuchtanzeige mit 24-Stunden-Uhrwerk sowie eine 24-Stunden-Einschalt- und 59-Minuten-Ausschaltautomatik für das Rundfunkempfangsgerät. Die Geräte sind mit einer Einstellskala und verschiedenen Bedienungsknöpfen und -tasten zum Einstellen des Radios und der Uhr versehen. Zur eingestellten Uhrzeit schaltet sich entweder der gewählte Rundfunksender oder ein in der Lautstärke regelbarer Summer ein.
Die OFD ordnete die Waren der Tarifst. 85.15 A III b 2 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu („Empfangsgeräte für Rundfunk”). Die Einsprüche der Klägerin, die die Zuweisung der Waren zur Tarifnr. 91.04 GZT („andere Uhren”) begehrte, blieben ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg. Die OFD hat die zu tarifierenden Waren zu Recht der Tarifst. 85.15 A III b 2 GZT zugewiesen.
Die streitbefangenen Waren werden vom Wortlaut weder der Tarifnr. 85.15 GZT noch der Tarifnr. 91.04 GZT erfaßt. Auch die Vorschriften zu Abschn. XVI und zu Kapitel 85 und 91 GZT enthalten keine Anhaltspunkte für die Tarifierung der Radiouhren (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 9. November 1976 VII K 10/74, BFHE 121, 109). Das gilt im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin auch für die Vorschrift 1 m zu Abschn. XVI GZT, wonach zu diesem Abschnitt „Uhrmacherwaren (Kap. 91)” nicht gehören. Bei den zu tarifierenden Geräten handelt es sich gerade nicht um Uhrmacherwaren i. S. des Kapitels 91 GZT, sondern um zusammengesetzte Waren i. S. der Allgemeinen Tarifierungsvorschrift (ATV) 2 b Satz 2, die nach der ATV 3 zu tarifieren sind.
Für die Tarifierung der streitbefangenen Waren kommen die beiden genannten Tarifnummern des GZT in Betracht. Keine der beiden Tarifnummern enthält die genauere Warenbezeichnung, so daß eine Tarifierung nach der ATV 3 a nicht möglich ist. Die Einreihung der Waren in den GZT hat daher nach der ATV 3 b oder 3 c zu erfolgen. Nach der ATV 3 b ist der charakterbestimmende Bestandteil maßgebend. Wenn sich dieser nicht ermitteln läßt, ist die Ware der im Zolltarifschema zuletzt genannten Tarifnummer zuzuweisen (ATV 3 c).
Nach den Erläuterungen zur Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens – ErlNRZZ – (Teil I der Erläuterungen zum Zolltarif – ErlZT – zur ATV 3, Rdnr. 17) ist das Merkmal, das den Charakter bestimmt, je nach der Art der Waren verschieden; der Charakter der Ware kann sich z. B. aus der Beschaffenheit der Bestandteile, aus ihrem Umfang, ihrer Menge, ihrem Gewicht ihrem Wert oder der Bedeutung eines Stoffes bzw. Bestandteils in bezug auf die Verwendung der Ware ergeben. Der Senat gelangt unter Berücksichtigung aller in Frage kommenden Gesichtspunkte zu dem Ergebnis, daß charakterbestimmender Bestandteil der Waren das Rundfunkempfangsgerät ist.
Das maßgebende Kriterium für die Entscheidung der Frage nach dem charakterbestimmenden Bestandteil ist nach Auffassung des Senats die Bedeutung, die die beiden Bestandteile (Uhr oder Radio) in bezug auf den objektiven Verwendungszweck der Waren haben. Die Gerate enthalten ein voll funktionsfähiges Radioempfangsgerät das als solches unabhängig von der Uhr verwendbar ist. Das gleiche gilt von dem Uhrenbestandteil. Schon bei Betrachtung dieser beiden Funktionen ohne ihre durch die Geräte ermöglichte Kombination ergibt sich eine überwiegende Bedeutung des Radioempfangsgeräts. Denn der potentielle Käuferkreis der Geräte ist im Regelfall für das Ablesen der Uhrzeit auf den Uhrenteil des Gerätes nicht angewiesen.
Deutlicher wird das Überwiegen des Radioteils, wenn man die Art und Weise der Kombination der beiden Bestandteile zusammen mit der Einschalt- und Abschaltautomatik betrachtet. Dadurch soll insbesondere die Verwendung der Geräte als Wecker und beim Einschlafen ermöglicht werden. Bei dieser Verwendung steht die Radiofunktion deutlich im Vordergrund. Es ist Sinn der durch die Uhrenfunktion gesteuerten Ein- und Abschaltautomatik, das Hören vonRadiosendungen vor dem Einschlafen und beim Aufwachen zu ermöglichen. Die Besonderheit der Geräte ist gerade, daß sie anders als normale Wecker nicht nur das reine Wecken (unter Zuhilfenahme eines Summers oder einer Klingel) übernehmen sollen, sondern das Wecken „mit Musik”, was die Bedeutung des Radios im Vergleich zur Uhr heraushebt. Gleiches gilt für die Abschaltautomatik, die erst das Musikhören beim Einschlafen möglich macht, der Radiofunktion also einen neuen Anwendungsbereich eröffnet.
Demgegenüber kann es für die Bestimmung des charakterbestimmenden Bestandteils nicht auf die jeweilige Wertanteile der Bestandteile ankommen. Schon der Gesichtspunkt der Praktikabilität spricht dagegen, auf dieses Kriterium abzustellen. Es dürfte den Zollstellen im Regelfall kaum möglich sein, bei der Abfertigung von Radiouhren die Wertanteile der Bestandteile festzustellen. Das gilt um so mehr, als es bei zahlreichen Einzelteilen des Geräts schwer zu entscheiden ist, ob sie dem Uhrenteil oder dem Radioteil zuzurechnen sind. Der vorliegende Fall belegt das; die Größe der Wertanteile ist zwischen den Beteiligten streitig. Überdies ist es auch unabhängig vom Gesichtspunkt der Praktikabilität bei Geräten wie den streitbefangenen Uhrenradios, die für einen breiten Benutzerkreis bestimmt sind, eher angebracht, auf die Bedeutung der Bestandteile bei der Verwendung der Geräte abzustellen. Soweit der Senat im Urteil in BFHE 121, 109 anders entschieden hat, hält er daran nicht fest.
Die Ausführungen im Vorabsatz gelten entsprechend für die Frage, ob der technische Standard der Bestandteile ein maßgebendes Kriterium sein kann. Auch wenn es zutrifft, was die Klägerin vorträgt, daß der Radioteil technisch von einfacherer Qualität, die Qualität und Ausrüstung des Uhrenteils dagegen höher einzuschätzen ist, ergeben sich daraus keine Gesichtspunkte für die Entscheidung der Frage nach dem charakterbestimmenden Bestandteil. Beide Bestandteile sind voll funktionsfähig und erfüllen für die Benutzer der Geräte ihren Zweck als Radio oder Uhr. Daß das Erscheinungsbild oder der Umfang der beiden Teile der Geräte nicht geeignet sind, Aussagen über den charakterbestimmenden Bestandteil zu machen, hat der erkennende Senat in seinem Urteil in BFHE 121, 109 bereits entschieden. Daran hält er fest.
In seiner Auffassung, daß der Radioteil der streitbefangenen Radiouhren der charakterbestimmende Bestandteil i. S. der ATV 3 b ist, sieht sich der Senat durch die Verordnung (EWG) Nr. 3559/81 (VO Nr. 3559/81) der Kommission vom 8. Dezember 1981 (ABlEG L 356/29 vom 11. Dezember 1981) bestätigt. Zwar ist die Verordnung im vorliegenden Fall nicht unmittelbar anwendbar, da sie nach ihrem Wortlaut nur für Radiouhren gilt, die eine elektronische Quarzuhr enthalten. Die drei streitbefangenen Geräte besitzen dagegen netzfrequenzgesteuerte Uhren. Ob die VO Nr. 3559/81 auf solche Radiouhren entsprechend anzuwenden ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn jedenfalls kann die ihr zugrunde liegende Tarifauffassung – ähnlich wie die ErlNRZZ – als Erkenntnismittel bei der Tarifierung von Radiouhren dienen.
Nach den Erwägungsgründen der VO Nr. 3559/81 ist bei der Tarifierung von Radiouhren „auf die Verwendung” der Geräte abzustellen. Das bestätigt die Richtigkeit der Auffassung des Senats, daß entscheidendes Kriterium für die Bestimmung des charakterbestimmenden Bestandteils deren Bedeutung in bezug auf die Verwendung des Geräts ist. Die Erwägungsgründe der VO Nr. 3559/81 bestätigen ferner, daß „der Wert der beiden Teile nicht als maßgebendes Merkmal für die Tarifierung angesehen werden” kann. Zwar ist der Senat im Gegensatz zu den Ausführungen in den Erwägungsgründen der Verordnung der Meinung, daß auch dem Erscheinungsbild der Geräte keine Bedeutung zukommt. Der besondere Hinweis auf die Verwendungsmöglichkeiten des Radiobestandteils in den Erwägungsgründen der VO Nr. 3559/81 spricht aber dafür, daß auch die Verordnung in erster Linie von der Erwägung ausgeht, daß die Verwendungsmöglichkeiten des Geräts beim Radioempfang im Vordergrund stehen.
Der Berücksichtigung der VO Nr. 3559/81 in dem vorstehenden Sinne kann nicht entgegengehalten werden, sie gelte nur für Quarzuhren. Aus den Erwägungsgründen der Verordnung ergibt sich deutlich, daß die besonderen Eigenschaften, die eine Quarzuhr im Vergleich zu einer netzfrequenzgesteuerten Uhr hat, keinerlei Einfluß auf die Tarifierung der Radiouhren durch die Verordnung hatte. Der Verordnung kann also nicht etwa im Wege des Umkehrschlusses entnommen werden, Radiouhren mit netzfrequenzgesteuerten Uhren seien jedenfalls der Tarifnr. 91.04 GZT zuzuweisen.
Gegen die Berücksichtigung der VO Nr. 3559/81 als Erkenntnismittel bei der Tarifierung kann auch nicht eingewendet werden, die Verordnung sei ungültig, weil sie nicht im Einklang mit der Ermächtigung in der Verordnung (EWG) Nr. 97/69 (VO Nr. 97/69) des Rates vom 16. Januar 1969 (ABlEG L 14/1 vom 21. Januar 1969) stehe. Nach der zweiten Begründungserwägung zu dieser Verordnung soll durch die Erläuterungsverordnungen, zu deren Erlaß die Kommission ermächtigt wird, „der Inhalt der Tarifnummern und der Tarifstellen des GZT erläutert werden, ohne deren Wortlaut zu ändern”. Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, steht die VO Nr. 3559/81 im Einklang mit dem GZT, insbesondere mit der ATV 3 b, ändert dessen Wortlaut also nicht ab. Überdies hat, wie der EuGH mehrfach entschieden hat, der Rat mit der VO Nr. 97/69 der Kommission in diesem Bereich einen großen Beurteilungsspielraum bezüglich der Entscheidung zwischen zwei oder mehreren für die Einreihung einer bestimmten Ware in Betracht kommenden Tarifnummern eingeräumt (vgl. z. B. Urteil vom 28. März 1979 Rs. 158/78, EuGHE 1979, 1103). Mit ihrer Entscheidung, welcher Bestandteil bei bestimmten Radiouhren charakterbestimmend ist, hat sich die Kommission im Rahmen dieses Beurteilungsspielraums gehalten.
Der Senat hält eine Vorlage an den EuGH nach Art. 177 Abs. 1 und 3 EWGV nicht für erforderlich. Die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts ist hier derart offenkundig, daß kein Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415). Grundlage für diese Auffassung ist insbesondere die VO Nr. 3559/81. Daraus ist nach Überzeugung des Senats mit genügender Deutlichkeit zu schließen, daß die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und der EuGH zum gleichen Ergebnis wie der erkennende Senat kämen. In Anbetracht der neuen Lage, die durch den Erlaß der VO Nr. 3559/81 entstanden ist, sieht sich der Senat auch nicht durch sein vor Erlaß der VO Nr. 3559/81 ergangenes Urteil in BFHE 121, 109 veranlaßt, von einer Zweifelhaftigkeit der zu entscheidenden Frage der Auslegung des GZT auszugehen.
Fundstellen
Haufe-Index 510444 |
BFHE 1985, 388 |